Hamburg steht auf der Liste der Bundesländer mit den meisten psychischen Erkrankungen ganz oben. Es trifft immer mehr jüngere Menschen.

Hamburg. In keinem anderen Bundesland werden so viele psychische Erkrankungen diagnostiziert, nirgendwo fehlen Arbeitnehmer wegen dieser Symptome länger an ihrem Arbeitsplatz: Hamburg steht auf der Liste der Bundesländer mit den meisten psychischen Erkrankungen ganz oben.

"Acht Prozent der 1,7 Millionen Hamburger sind derzeit behandlungsbedürftig", sagt Thomas Grabenkamp, Geschäftsführer der Psychotherapeutenkammer Hamburg. Er bestätigt damit die jüngsten Erhebungen der Hamburger Techniker Krankenkasse (TK) und der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK), die zu den größten deutschen Kassen gehören.

So zählte die TK in Hamburg 44,7 Prozent mehr Fehltage wegen psychischer Erkrankungen als im bundesdeutschen Durchschnitt: Bei fast drei der durchschnittlich gut 13 Tage, die sich die Mitglieder der Kasse im vergangenen Jahr krankschreiben ließen, lag als Diagnose ein psychisches Leiden zugrunde. Ein Anstieg um 12,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Zwar gelten vor allem Menschen zwischen 35 und 54 Jahren als gefährdet, weil sie oftmals Job, Kindererziehung oder die Pflege ihrer Angehörigen miteinander vereinbaren müssen. "Wir haben aber auch bei jüngeren Beschäftigten in den vergangenen Jahren einen deutlichen Anstieg von Krankschreibungen aufgrund psychischer Diagnosen festgestellt", sagt TK-Expertin Gudrun Ahlers.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch die DAK, die gestern ihren Gesundheitsreport vorlegte. Danach gab es im vergangenen Jahr in Deutschland insgesamt 13,5 Prozent mehr Fehltage aufgrund psychischer Leiden wie Depressionen. Diese Erkrankungen machen mit gut zwölf Prozent ein Achtel des gesamten Krankenstandes aus. 2009 waren es noch 10,8 Prozent. Seelische Erkrankungen spielen damit eine annähernd doppelt so große Rolle wie noch 1998.

Durchschnittlich 80 Tage sind Patienten, die als chronisch depressiv gelten, krankgeschrieben. Der Schaden, der der deutschen Volkswirtschaft dadurch entsteht, ist immens. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden schätzt ihn mittlerweile auf nahezu 30 Milliarden Euro. "Die zunehmende Zahl der Fälle und die steigende Dauer der Behandlungen machen uns Sorgen", sagt TK-Sprecherin Michaela Hombrecher. Um die Not zu lindern, gebe es zu wenige ambulante Angebote für die Betroffenen. Hans-Peter Unger, Chefarzt am Zentrum für seelische Gesundheit der Asklepios-Klinik Harburg, sieht es ganz ähnlich: "Gerade bei schweren Störungen reicht die Versorgung in Hamburg nicht aus."

Die Psychotherapeutenkammer Hamburg geht davon aus, dass allein für die Betreuung von Erwachsenen in der Hansestadt gut 200 ausgebildete Fachleute fehlen. "Die 537 von den Kassen zugelassenen Therapeuten reichen schon für die 1,4 Millionen Menschen in der Stadt, die älter sind als 18 Jahre, nicht aus", sagt Kammer-Geschäftsführer Grabenkamp.

Nach Berechnungen der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung dauert es gegenwärtig zweieinhalb Monate von der Überweisung des Hausarztes bis zum ersten Kontakt des Patienten zu einem Therapeuten. In Hamburg, davon ist Grabenkamp überzeugt, dürfte die Lage "deutlich schlechter" sein. "Immerhin melden sich bei den Hamburger Therapeuten auch Menschen aus der Metropolregion. Und die zählt vier bis fünf Millionen Menschen."