Cloppenburger Fahrradhersteller sammelt 77 Millionen Euro ein. Der Chef Mathias Seidler ist begeisterter Radler und kommt aus Hamburg

Hamburg. Bei Mathias Seidler ging die Liebe durch die Nase. "Ich war hin und weg, als ich in die Fabrik kam. Dieser Geruch nach Gummi und Fett, wie ein Ausflug in die Kindheit", schwärmt der Hamburger von seinem Antrittsbesuch bei Derby Cycle, der Fahrradfabrik in Cloppenburg, wo Bremsen montiert, Rahmen angepasst, Träume auf zwei Rädern entstehen. In seiner Jugend war Seidler kaum vom Sattel heruntergekommen, er holte bei Radrennen einen Titel nach dem nächsten, wurde Hamburger und Norddeutscher Meister. Seidler hat sich auf seinen guten Riecher verlassen. Er verließ beruflich die Heimat an der Elbe in Richtung Niedersachsen - auch wenn er privat noch in Hamburg wohnt - und sorgt seit 2001 als Geschäftsführer bei Derby für eine Erfolgsmeldung nach der nächsten.

Am Freitag erreichte der 47-Jährige den bisherigen Höhepunkt seiner Karriere: Seidler hat die Firma mit gut 500 Mitarbeitern erfolgreich an die Börse gebracht. Der verdiente Lohn für einen Manager, der bei Derby im vergangenen Jahrzehnt den Umsatz verdoppelt, eine ordentliche Rendite eingefahren hat und der Produktion in Deutschland treu geblieben ist.

Die Aktie des Fahrradherstellers wurde am Freitag zum ersten Mal auf dem Parkett in Frankfurt am Main gehandelt. Insgesamt erlöste der Börsengang 76,1 Millionen Euro. Das zum Ausgabepreis von 12,50 Euro im Wesentlichen an institutionelle Anleger gebrachte Papier startete mit einer Erstnotierung von 13,15 Euro. "Wir sind sehr zufrieden und fühlen uns fair bewertet", sagte Seidler im Gespräch mit dem Abendblatt. Das Papier gab zwischenzeitlich etwas nach und beendete den Tag bei einem Kurs von 12,65 Euro.

Der Börsengang des Fahrradherstellers, der seine Marken Kalkhoff, Raleigh, Rixe, Focus und Univega in Deutschland und in mehr als 40 Ländern vertreibt, ist in diesem Jahr der erste Neueinstieg in den Prime Standard, die höchste Transparenzklasse der Deutschen Börse. Nächste Kandidaten sind der gerade erst aus der Insolvenz entlassene Wäschehersteller Schiesser, die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd, das Flughafen- und Infrastrukturunternehmen Hochtief Concessions und die Kabelnetzgesellschaft Kabel Baden-Württemberg.

Triebfeder des Börsengangs bei Derby Cycle ist neben dem Management auch der Frankfurter Finanzinvestor Finatem, der bisher zu 85 Prozent an dem Unternehmen beteiligt war und mit dem Gang aufs Parkett Kasse machen will. Den Frankfurtern sollen nun knapp 75 Prozent des eingesammelten Geldes zufließen.

Insgesamt 18,6 Millionen Euro aus dem Börsengang kann Seidler aber für seine weitere Wachstumsstrategie nutzen. Auch wenn der begeisterte Sportler in den Cloppenburger Wiesen und Wäldern gemeinsam mit seinen Angestellten, darunter ehemalige Olympiasieger wie Daniel Becke, in die Pedale tritt, das größte Wachstumspotenzial sieht er bei den Elektrofahrrädern. Diesen batteriebetriebenen Modellen, denen bisher eher das Image von Rollstühlen in der Fahrradwelt anhaftete, traut Seidler eine kleine Revolution zu. "Das Elektrofahrrad verändert unsere Branche radikal", sagt der Ökonom, der spätestens seit seiner Zeit im Produktmanagement bei Beiersdorf einen Blick für Marktveränderungen hat. Vorbild des Familienvaters ist dabei Accell, der weltweit größte Fahrradhersteller in den Niederlanden, der in den vergangenen Jahren nicht nur eine gute Entwicklung an der Börse genommen, sondern einen Markt für Elektroräder bei den fahrradvernarrten Holländern aufgebaut habe. "Auch wir sind Marktführer bei Elektrorädern, wollen unsere Position dabei aber noch weiter stärken", sagte Seidler.

Gemeinsam mit einem Partnerunternehmen habe Derby im vergangenen Jahr eine Batterie entwickelt, die die bisherige Leistung nach eigenen Angaben um 80 Prozent erhöht und eine Reichweite von 140 Kilometern ermöglicht. "Hier sind wir noch lange nicht am Ende", sagt Seidler. Die Millionen aus dem Börsengang sollen aus diesem Grund auch in die weitere Forschung für schnellere, leichtere und kostengünstigere E-Bikes fließen.

Bisher ist der Marktanteil der Räder mit Akku und einem heute praktisch lautlosen, kleinen Motor mit fünf Prozent zwar noch gering. Aber auch der Zweirad-Industrie-Verband geht von einem großen Wachstum aus. Neben dem Schwerpunkt Elektroräder hat sich Derby auf die gehobene Preisklasse und den Vertrieb über den Fachhandel spezialisiert.

Mit den eingesammelten Millionen will Derby diesen Vorteil im Vertrieb jetzt auch internationalisieren. Seidler hat dabei insbesondere die USA im Visier. Vielleicht ist dieser Blick in die weite Welt auch der Herkunft Seidlers zu verdanken - ein Hamburger Kaufmann schaut eben gerne über die Hafenkante hinaus.