Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos reden die Mächtigen. Im Abendblatt geben renommierte Ökonomen den Politikern Tipps.

Hamburg. Die Finanzmarktkrise hat die Welt seit gut zwei Jahren fest im Griff. Ob der Höhepunkt bereits erreicht wurde, kann niemand mit Gewissheit sagen. Ein Kollaps des globalen Finanzsystems konnte bis heute, gut zwei Jahre nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers, verhindert werden - maßgeblich durch staatliche Eingriffe. Ein Kraftakt, für den fast alle Industrieländer einen hohen Preis zahlten: Die Staatsverschuldung ist durch milliardenschwere Rettungspakete für Banken und Konjunkturhilfen auf Höchststände geklettert. Nationen mussten unter finanzielle Rettungsschirme schlüpfen, um einen Staatsbankrott zu verhindern. Angesicht steigender Wachstumsraten zeichnet sich in der realen Wirtschaft - mit Deutschland als Vorreiter unter Europas Industriestaaten - wieder eine Entspannung ab. Welche gemeinsamen Werte und Prinzipien in dieser neuen Realität gelten sollen, darüber diskutieren in diesen Tagen die Spitzen aus Politik und Wirtschaft auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Das Abendblatt hat bei deutschen Forschungsinstituten nachgefragt, wo aus ihrer Sicht die größten Aufgaben bestehen.

Schuldenabbau: " Die größte Herausforderung ist jetzt die Nachbereitung der Krise", sagt der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, dem Abendblatt. "Wir müssen in der Finanz- und in der Geldpolitik wieder zu angemessenen und normalen Strukturen zurückkehren." Oberstes Ziel dabei sei der Schuldenabbau. "Wir brauchen wieder dauerhaft ausgeglichene Staatshaushalte", sagt Hüther. "Der Staat muss sich von konjunkturellen Interventionen verabschieden und wieder krisenfest werden. Die Notenbanken, die den Geldmarkt gestützt haben, müssen die Geldmenge wieder sukzessive reduzieren."

Ähnlich sieht dies Thomas Straubhaar, Direktor vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI). Das Ziel des Schuldenabbaus sei jedoch nur mittelfristig erreichbar, mahnt er zur Geduld: "Nach einer Rezession braucht ein Land viel Zeit, viel Geld und viel Vertrauen, um wieder Fuß zu fassen." Länder wie Griechenland und Irland, die in der finanziellen Klemme steckten, hätten derzeit beispielsweise keinen Spielraum für weitere Senkungen der Staatsausgaben oder Steuererhöhungen. "Bis dahin dauert es mindestens drei Jahre." Vielmehr brauchen sie Geld zur Unterstützung und müssten darauf vertrauen, dass Europa Lösungen findet, damit kein Euro-Land in die staatliche Insolvenz rutscht.

Die Euro-Länder müssten sich deshalb auf eine Transferunion einstellen, in der reichere Länder die ärmeren unterstützten. "Der Euro wird bestehen bleiben", ist Straubhaar sicher: "Jede Alternative wäre mit sehr viel mehr Kosten verbunden."

Inflation: Angesichts steigender Rohstoffpreise und höherer Löhne droht in vielen Ländern ein deutlicher Anstieg der Inflation - und damit zugleich eine schleichende Geldentwertung. "Noch ist die Inflationsrate in Deutschland mit rund zwei Prozent niedrig, doch die Inflationsspirale gewinnt an Fahrt und wird in zwei Jahren auf drei bis vier Prozent klettern", ist Straubhaar überzeugt. "2012 dürfte die Inflationsrate zwischen zwei und drei Prozent liegen und 2013 auf drei bis vier Prozent ansteigen", schätzt auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann.

Allerdings warnen die Experten zugleich vor hohen Inflationsraten von mehr als vier Prozent, da sie erhebliche volkswirtschaftliche Schäden verursachen, so Hüther. "Inflation ist aus politischer Sicht ein süßes Gift, um kurzfristig die hohe Schuldenlast abzubauen", erläutert auch Straubhaar. "Langfristig gewinnt man damit nichts, da die Refinanzierung teurer wird. Es ist nur ein Spiel mit dem Feuer. Hier müssen die Notenbanken gegensteuern."

Amerika: Für die Weltwirtschaft am bedeutendsten ist die weitere Entwicklung der USA, meint Straubhaar. Amerika müsse zu seiner alten Stärke zurückfinden, die hohe Langzeitarbeitslosigkeit abbauen und seinen Schuldenstand reduzieren. Dies sei auch für die wirtschaftliche Entwicklung Chinas und Europas von entscheidender Bedeutung. "Alle, die USA, China und Europa, müssen daran interessiert sein, dass es allen drei Regionen wirtschaftlich gut geht. Denn alle brauchen sich gegenseitig als Handelspartner und Absatzmärkte", so Straubhaar. Auf mittlere Sicht würden China und die USA wirtschaftlich auf Augenhöhe operieren. Der europäische Binnenmarkt sei ein wichtiges drittes Gegengewicht.

Energie und Umwelt: Angesichts der Folgen des Klimawandels müsse die Welt bezüglich Umwelt und Ressourcen umdenken. "Wir müssen unsere Energieproduktion global stärker auf alternative Energien umstellen", meint Hüther. Statt heute rund 15 Prozent sollten langfristig mindestens 40 bis 50 Prozent durch alternative Energien erzeugt werden. Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon nannte das aktuelle Wirtschaftsmodell einen "globalen Selbstmordpakt" und mahnte eine Revolution des freien Marktes für Nachhaltigkeit an: "Der Klimawandel zeigt uns, dass das alte Modell überholt ist." (abendblatt.de)