In der Gamesbranche finden immer mehr Musiker, Philosophen oder Anwälte einen Job. Hamburger Firmen suchen 400 Fachkräfte.

Hamburg. Wenn es nach den Eltern von Kai und Christian Wawrzinek gegangen wäre, dann hätten ihre Söhne heute eine Anwaltskanzlei und eine Zahnarztpraxis. Immerhin haben beide in ihren Studienfächern sogar promoviert. Ihr Geld verdienen die Brüder aber mit Computerspielen in ihrer Firma Goodgame Studios, die gerade ein Büroloft im noblen Altonaer Westend Village bezogen hat. Der Umzug war dringend nötig: Innerhalb von sieben Monaten war die Zahl der Mitarbeiter stark gestiegen, von 20 auf 100. In einem Jahr sollen es doppelt so viele Beschäftigte sein, die an den langen Holztischen vor Computern brüten und Onlinespiele entwerfen.

Dass ein Zahnarzt und ein Anwalt so viel Erfolg haben, ist typisch für die junge, boomende Spielebranche. Einige der 65 Hamburger Firmen werden sogar von Unter-30-Jährigen ohne Hochschulabschluss geführt, wie etwa Innogames oder Farbflut. Quereinsteiger aus anderen Fachbereichen, die sich fürs Programmieren interessieren, haben hier beste Einstiegschancen. "Viele Kreative und Informatiker eignen sich das spezifische Fachwissen für die Spieleproduktion erst in den Firmen an", sagt Achim Quinke vom Branchennetzwerk Gamecity. Der Grund: Aus den IT-Studiengängen kommen bei Weitem nicht genug Absolventen, um die hohe Nachfrage nach Fachpersonal zu befriedigen. Allein in Hamburg, der deutschen Hochburg für Onlinespiele, sind nach Gamecity-Schätzungen mehr als 400 Stellen offen.

Wie schwierig es ist, gutes Personal zu finden und zu halten, wissen auch Kai und Christian Wawrzinek von Goodgame Studios. "Früher hatten wir auf der Website Fotos von unseren Mitarbeitern mit vollem Namen", sagt Kai Wawrzinek, 33. "Da riefen aber ständig Headhunter an." Auch deshalb war der Umzug in die schicken neuen Büroräume sinnvoll - man will den Angestellten etwas bieten. Kostenlose Getränke, Müsli oder Obst zum Beispiel, nach 18 Uhr auch Bier. Das Fitnessstudio ist gratis, der Swimmingpool allerdings nur im Sommer nutzbar.

Mit einem Kredit über 500.000 Euro hatten sich die Brüder nach ihren Studienabschlüssen in Kiel selbstständig gemacht und 2009 die Computerspielefirma gegründet. Das Programmieren haben die beiden Autodidakten als Jugendliche gelernt und damit während ihres Studiums Geld verdient. "Ein Quereinstieg ist nicht unüblich in der Spielebranche - viele Menschen programmieren auch ohne Studium gut genug, um hier zu arbeiten", sagt Christian Wawrzinek, 30. "Das Entscheidende ist vor allem das private Interesse an der Spielewelt." So sind unter ihren 100 Mitarbeitern Dutzende, die aus anderen Fächern kommen.

Bei den Gamedesignern, also jenen Kreativen, die ein Spielekonzept entwickeln und das Drehbuch erstellen, stehen die Chancen für einen Quereinstieg am besten. "Erst seit Kurzem gibt es aus diesem Bereich überhaupt Hochschulabsolventen", sagt Kai Wawrzinek. Die Mitarbeiter, die er und sein Bruder für diese Aufgaben eingestellt haben, kommen deshalb ursprünglich aus den Disziplinen Philosophie, Germanistik, BWL oder Prozessleitelektronik. Die meisten Programmierer bei Goodgame Studios haben zwar eine entsprechende Ausbildung hinter sich, unter ihnen sind aber auch ein Werkzeugmacher und ein früherer Marinesoldat, ein Bauzeichner und ein Meteorologe. "Unsere Beschäftigten müssen ohnehin Autodidakten sein, weil sich die Anforderungen so schnell verändern."

Auch Gunther Rehfeld, Professor an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften mit Schwerpunkt Computerspiele, hält die Chancen für Quereinsteiger für unterschätzt: "Es erfordert andere Kenntnisse als das reine Programmieren, um die Ebenen eines Spiels zu entwerfen oder Geschichten zu erzählen." Neben Designern hätten so auch Drehbuchautoren, Szenografen, Musiker, Komponisten, Dramaturgen, aber auch Projektmanager die Beschäftigungsmöglichkeiten im Spielemarkt für sich entdeckt.

Sprachen und interkulturelle Kenntnisse sind ebenfalls gefragt. Beim Marktführer Bigpoint mit 520 Mitarbeitern in Hamburg übersetzen Muttersprachler die Spiele in mehr als 20 Sprachen und achten auf Besonderheiten aus 35 verschiedenen Kulturen. "Im arabischen Raum sollten zum Beispiel in unserem Bauernhofspiel 'Farmerama' keine Schweine vorkommen und die Bekleidung von weiblichen Figuren angemessen sein", erklärt Bigpoint-Personalchefin Gitta Blatt. "Aber wir stellen auch gern Quereinsteiger aus dem Filmbereich wie Producer, Drehbuchschreiber oder Internetspezialisten ein - es gibt gar nicht genug Bewerber mit Erfahrungen bei Onlinespielen." Eines haben alle Beschäftigten in der Branche gemeinsam: den Spaß am Spiel, beruflich und privat.