Niels Stolberg transportiert Brückenteile, Lokomotiven und andere tonnenschwere Technik - auch durch die Nordostpassage. Ein Besuch in Bremen

Bremen. Das graue Zwielicht ist schon wieder da, früh an einem Nachmittag im Dezember. Doch der Arbeitstag ist längst nicht zu Ende. Niels Stolberg sitzt mit drei seiner Manager auf roten Sofas in seinem weitläufigen Büro. Die Männer - ein Deutscher, ein Niederländer und ein Zypriot - besprechen mit ihrem Chef wie jeden Tag die aktuelle Lage, und das ist bei der Reederei Beluga Shipping immer auch die Weltlage. Auf allen Meeren fahren die Schwergutfrachter des Bremer Schifffahrtsunternehmens, bis in die entlegensten Häfen tragen sie ihre Ladung. Das zeigt die Reederei ihren Besuchern gleich auf dem Monitor am Empfang. Alle Positionen der Beluga-Schiffe sind darauf mithilfe der Satellitenortung zu sehen. "Wir fahren auch abgelegene Häfen an. Das ist lukrativer, als nur die großen Umschlagzentren zu bedienen", sagt Stolberg auf der Ledercouch.

Neue Wege zu suchen, das hat sich der 50-Jährige Mitte der 90er-Jahre zum Ziel gesetzt. Mit einem Geschäftspartner gründete Stolberg 1995 Beluga Shipping, zunächst als Befrachter für Schwergutladung. 1998 setzte das Unternehmen sein erstes Schiff, die "Beluga Performer", in Fahrt. Bis heute wurden daraus 69 Spezialfrachter, die fast alles transportieren, was sich über Wasser fahren lässt: Kraftwerks- oder Brückenteile, andere Schiffe huckepack, mal ein halbes Dutzend Lokomotiven oder sperrige Ausrüstungen für die Öl- und Gasindustrie, die an Land wie auf dem offenen Meer entladen werden. Beluga Shipping stieg zum Weltmarktführer für Projekt- und Schwergutladung auf, mit maßgeschneiderten Frachtern. "Wir entwickeln unsere Schiffe in enger Abstimmung mit unseren Kunden aus der Industrie selbst", sagt Stolberg, der das Unternehmen seit 2006 allein führt. "Unsere Flotte zählt zu den modernsten der Welt."

Die Einführung des Containers vor mehr als 50 Jahren machte die Schifffahrt uniformer. Streng normiert und pünktlich wie früher nur die Eisenbahn, fahren die Linienreedereien heutzutage Stückgut in Millionen von Stahlkisten um die Erde. Der Container ist das logistische Fundament des modernen Welthandels. Individuell aber blieb der Transport von Projektladung. Hunderte Tonnen schwere Einzelstücke müssen präzise geladen und gesichert werden. Gelöscht werden sie oft in Häfen, die Containerschiffe niemals anlaufen, ob in Afrika oder Asien, in Südamerika - oder im Norden von Sibirien.

Zweimal bereits, 2009 und 2010, fuhren Beluga-Frachter durch die Nordostpassage, die Wasserstraße zwischen Russland und dem Nordpol. Nur wenige Wochen im Jahr ist die Strecke frei von Eis. Für eine Containerlinie würde die Passage keinen Sinn machen, für einzelne Fahrten mit Projektladung schon, denn der Weg von Asien nach Europa wird hier dramatisch verkürzt. Stolberg gibt an, dass Beluga die erste Reederei überhaupt sei, die je mit Handelsschiffen die Nordostpassage durchquert habe. Manche Schifffahrtsexperten widersprechen ihm, dies sei zuvor bereits einem finnischen Tanker gelungen. Pionierarbeit aber hat Stolberg zweifellos geleistet. "Das Durchfahren der Nordostpassage haben wir zwei Jahre lang vorbereitet, auch in Zusammenarbeit mit den russischen Behörden. Das war extrem aufwendig."

Innovationen wie diese mögen vor allem wie ein PR-Gag wirken, aber Stolberg will damit Geld verdienen. Das gilt auch für seine Experimente mit Sky Sails, einem in Hamburg gefertigten Zugdrachen für Schiffe. Noch ist nicht klar, ob das Konzept tatsächlich für die Praxis taugt, ob der Brennstoffverbrauch auf Schiffen damit grundsätzlich gesenkt werden kann. Aber die wichtigsten Erfahrungen, die es bislang mit dem Hilfsantrieb gibt, wurden auf Testfahrten bei Beluga Shipping gesammelt. Im kommenden Jahr will Stolberg erneut zwei Atlantikpassagen mit dem Zusatzsegel fahren lassen - und dabei stetige Winde nutzen wie früher die großen Lastensegler.

Angebot und Nachfrage zusammenführen, den Markt auf neue Chancen testen, das kann der Sohn eines Kapitäns aus Brake an der Unterweser. So steigt er gemeinsam mit dem Baukonzern Hochtief in das neue Geschäft beim Aufbau von Offshore-Windparks auf Nord- und Ostsee ein. Das erste Montageschiff wird in Polen derzeit gebaut. Bis zu zehn Einheiten soll die künftige Flotte von Beluga Hochtief Offshore in einiger Zeit umfassen, sagt Stolberg, Schiffe für Montagen, Reparaturen, die Verlegung von Seestromkabeln für den Anschluss der Windparks.

In der Branche munkelt man bereits, Stolberg habe sich finanziell übernommen. Nur deshalb sei im Sommer der US-Finanzinvestor Oaktree Capital Management mit einem Minderheitsanteil bei Beluga Shipping eingestiegen. Der Reeder weist das zurück: "Während andere nach der Krise noch ihre Wunden lecken, greifen wir an", sagt Stolberg vor allem mit Blick auf das Offshore-Montagegeschäft. Beluga mache auch dieses Jahr Gewinn, sagt er, doch veröffentlichen will er ihn nicht.

Stolberg will als Schutz gegen Piraten Bundespolizei oder Marine an Bord

Dass er seine Geschäfte steuern kann, hat Stolberg bewiesen. In einem sehr speziellen Geschäft hingegen wird er selbst gesteuert, und das macht ihn wütend. Die wachsende organisierte Kriminalität der Piraterie hat den Bremer Reeder bereits viel Geld und beinahe auch das Leben von Seeleuten gekostet. 2008 kaufte Stolberg die "BBC Trinidad" nach dreiwöchiger Kaperung für 1,1 Millionen Dollar Lösegeld frei.

Im Oktober stürmten Piraten vor Kenia die "Beluga Fortune", ließen aber von dem Schiff ab, als Marineeinheiten nahten. "Am Schluss der Kaperung versuchten die Piraten, das Schiff mit Brandbeschleunigern in Flammen zu setzen, nachdem sich die Besatzung in einen Schutzraum zurückgezogen hatte. Wir können es unseren seefahrenden Kollegen nicht länger zumuten, derlei Gefahren ausgesetzt zu sein. Wir brauchen für unsere Schiffe einen echten Schutz vor Piraten an Bord, sei es von der Bundespolizei oder der Marine." Die zusätzlichen Kosten dafür sei er bereit zu tragen. Ohne Aufbauhilfe für die Piratenbasis Somalia allerdings, ohne ein "Zusammenspiel militärischer und humanitärer Maßnahmen", glaubt Stolberg, sei das Problem nicht zu lösen.

Als Reeder ist Stolberg in der Wolle gefärbt. Ihm gelang der Aufstieg in einer noch immer tief verschlossenen Branche. Wie sein Vater wurde er Kapitän, Mitte der 80er-Jahre fuhr er selbst zur See. Aber sein Fundament baute er auch mit Ausbildungen zum Kaufmann und zum Wirtschaftsingenieur auf. Die Schifffahrt in Bremen hat nach einem langen Aderlass davon profitiert. Neugründungen wie Beluga Shipping sind selten geworden, nicht nur an der Weser. Der Norddeutsche Lloyd, mehr als 100 Jahre lang Bremens führende Reederei, ging 1970 in Hamburg mit Hapag zu Hapag-Lloyd zusammen. Mancher Untergang in Bremen folgte: Werften wie der Vulkan oder Rickmers, zuletzt 2009 die Reederei Senator Lines.

Die neue Zentrale von Beluga Shipping setzte Stolberg auf den Teerhof, die Spitze einer Weserinsel mitten in der Stadt. Durch seine bodentiefen Bürofenster blickt er in die beginnende Dämmerung. "Da drüben saß früher die DDG Hansa, das war mal die größte deutsche Schwergutreederei", zeigt er auf das andere Ufer des Flusses. "Bei der Hansa bin ich groß geworden." 1980 ging das Unternehmen pleite. Heute hält Stolberg die Bremer Fahne hoch.