Das deutsche Erfolgsspielzeug beschert dem Hersteller Rekordumsätze. Ein Besuch bei der Firma Geobra Brandstätter.

Zirndorf. Paula aus Köln wünscht sich ein Ufo. Auf rosa Briefpapier hat sie ihre Idee skizziert, darüber ein paar Zeilen gekritzelt: "Lieber Playmobil, ihr könnt ja mal ein Ufo machen. Das hier ist meine Forstellung." Mario vom Bodensee will seine Ritterburg mit einer Falknerei veredeln. Er hat einen Handschuh gemalt, daneben eine Satteltasche mit Falkenstange. "2x" hat er neben den detailgetreu gezeichneten Raubvogel geschrieben - und damit der Entwicklungsabteilung von Playmobil die Entscheidung abgenommen, was das Falknerei-Set enthalten könnte.

150 Wunschzettel von Kindern erhält der Hersteller des deutschen Kultspielzeugs, die Firma Geobra Brandstätter aus dem bayerischen Zirndorf, jeden Monat. Vor Weihnachten sind es doppelt so viele. Eine günstigere Methode zur Marktforschung gibt es nicht. Auch keine bessere. "Die Kinderbriefe sind Pflichtlektüre", sagt Playmobil-Geschäftsführerin Andrea Schauer, 51.

Das offene Ohr für die Wünsche der kleinen Kunden ist nur ein Grund für den weltweiten Erfolg: Die Umsätze mit Playmobil, von deutschen Fans liebevoll "Plemo" gerufen, wachsen das elfte Jahr in Folge. 474 Millionen Euro hat die Brandstätter-Gruppe 2009 mit dem Spielzeugklassiker umgesetzt, fünf Prozent mehr als im Vorjahr. So ist Playmobil zur Nummer zwei im deutschen Spielwarenmarkt aufgestiegen - vor Barbie-Hersteller Mattel und nach Lego. "2010 werden wir sogar noch stärker wachsen", verrät Schauer dem Abendblatt. Der Jahresendspurt ist in vollem Gange, das Weihnachtsgeschäft macht 40 Prozent der Umsätze aus.

Eltern verlassen sich lieber auf Spielzeug aus deutscher Produktion

Die Rekordumsätze treibt auch eine gewisse Nostalgie der jetzigen Elterngeneration, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren selbst bäuchlings Playmobilwelten aufgebaut hat. Dazu kommen die Skandale um gesundheitsgefährdendes Spielzeug aus China, die Sehnsucht nach teurer deutscher Qualitätsware aufleben lässt, sowie die Krisenstimmung in großen Teilen Europas. "Je kritischer die Lage wird, desto eher wenden sich die Verbraucher vertrauten Werten und Marken zu", sagt Schauer. Zwei Drittel der Umsätze erzielt Playmobil mit insgesamt 3060 Mitarbeitern im Ausland, produziert wird aber großteils in Bayern.

Falls das Falknerei-Set jemals in den Handel kommen sollte, könnte Mario vom Bodensee schon zu alt dafür sein. Denn bis neue Ideen im Regal liegen, vergehen drei Jahre. In dieser Zeit prüfen Marketing und Vertrieb den Vorschlag, Entwickler wälzen Fach- und Kinderbücher, besichtigen reale Orte wie Feuerwehrstation oder Tierarztpraxis. Aus den Erkenntnissen basteln sie Modelle aus Schaumstoff, deren Maße sie im intern "Schnitzsystem" getauften Computerprogramm verarbeiten. Damit bauen 120 Spezialisten aufwendige Gussformen - allein im vergangenen Jahr kosteten die tonnenschweren Stahlformen für die 100 Sortimentsneuheiten 22 Millionen Euro.

Viele Artikel werden per Hand montiert und veredelt

Aus diesen Gussformen fallen im Werk im nahe gelegenen Dietenhofen rund um die Uhr Affen, Burgdächer, Zauberstäbe, Dinosaurierkörper. Was auch immer gerade hergestellt werden muss, sieben Millionen Teile am Tag. Nur die Figuren kommen aus dem Werk auf Malta. Der Steinboden in den weitläufigen, nüchternen Werkshallen vibriert vom rhythmischen Stampfen der 400 Maschinen. Einige sind so groß wie ein VW-Bus, andere wie Lastwagen, jede spuckt ein anderes Teil aus, alle sind hochkomplex mit unzähligen Rohren, Schläuchen und Roboterarmen.

Beißender Plastikgeruch zieht durch das Werk, die Grünpflanzen in allen Hallen gedeihen wie zum Trotz. 24 000 Tonnen Kunststoff laufen jährlich aus gigantischen Silos in die Maschinen, werden auf 300 Grad erhitzt, mit Farbe gemischt, in die Gussform gespritzt und kommen noch warm als Kinderspielzeug wieder heraus.

Oder zumindest als Teil eines Spielzeugs. Denn viele Artikel müssen sich einer manuellen Montage oder Verschönerung unterziehen. Auf die Scheunentore der Ritterburg etwa stempeln Mitarbeiter per Hand silberne Scharniere. Artikel wie die Kuh reisen zur Montage nach Tschechien oder in regionale Gefängnisse, wo Kopf und Rumpf manuell zusammenfinden. Zur Verpackung kommen sie nach Dietenhofen zurück. "Da lohnt sich eine komplette Automatisierung nicht", heißt es im Playmobil-Werk.

So sitzen Mitarbeiterinnen in einer anderen Werkshalle am Fließband und packen Artikel in Pappkartons. Teil für Teil, Stunde um Stunde. Vergisst eine Arbeiterin einen Artikel, schlägt die automatische Waage am Ende des Laufbands Alarm und kickt den Karton herunter.

Der Inhalt der Kartons hat sich mit der Zeit ebenso gewandelt wie die Playmobil-Figuren selbst. Punkt, Punkt, Komma, Strich. So sah das Gesicht auf der Zeichnung aus, mit der Geobra-Mitarbeiter Hans Beck Anfang der Siebzigerjahre Playmobil erfand. Damals zwangen die Ölkrise und steigende Kunststoffpreise den traditionellen Familienbetrieb, auf kleinere Produkte umzusatteln. Die Nase fiel weg ("das wirkte zu clownhaft", erklärte Beck später), die Männchen kamen 1974 als Indianer, Ritter und Bauarbeiter auf den Markt. Heute lässt sich an der Bandbreite der unzähligen Figuren die gesellschaftliche Entwicklung ablesen: Die weiblichen Figuren sind jetzt auch Piloten, Piraten und Tierärzte, tragen hohe Absätze und Make-up. In den Wohnzimmern hängen Flachbildschirmfernseher, Kinder sonnen sich im Bikini am Pool.

Die neue Agentenserie soll eine ältere Zielgruppe erschließen

Trotzdem, so modern Playmobil sich auch gibt, eine Antwort auf das Problem der schrumpfenden Zielgruppe ist das noch nicht: Zum einen sinkt die Zahl der Kinder zwischen vier und zehn Jahren, zum anderen ist die Konkurrenz durch elektronisches Spielzeug groß. Dieser Herausforderung begegnet Playmobil-Chefin Andrea Schauer mit ihrer neuen Agenten-Serie. "Ich bin froh, dass wir diesen Schritt gewagt haben", sagt die schmale, energische Frau. Fahrzeuge, die in James-Bond-Manier Pfeile abschießen, ein Gangster-Jeep mit Fernsteuerung und eine Spionagekamera à la Jason Bourne sollen Jungen bis 14 Jahre begeistern. "Spielzeug für ältere Jungs muss heute eine gewisse Technik enthalten", sagt Schauer. Eine überdimensionale Agentenfigur hängt mit Saugnäpfen an den Händen an ihrer gläsernen Bürotür, andere Figuren mit der üblichen Höhe von 7,5 Zentimetern stehen neben blühenden Orchideen. Vor zehn Jahren übertrug ihr Horst Brandstätter, der Inhaber des Familienunternehmens, höchstpersönlich die Firmenleitung. Schauer führte Teamarbeit ein, ließ ihren Sohn neue Produkte testen. Seitdem haben sich die Umsätze verdoppelt - ein Hinweis darauf, wie gut es der Chefin gelingt, Traditionen mit Trends zu vereinbaren. "Wir haben zwar den Anspruch, unsere Werte beizubehalten - also etwa auf Horror und Gewalt zu verzichten - aber wir wollen auch nicht in Schönheit sterben", sagt Schauer.

Ihr verlängerter Arm ist die Kreativabteilung. Der Zutritt zum Reich der 60 Produktentwickler in der Zirndorfer Firmenzentrale ist für Außenstehende strengstens verboten. Alle Mitarbeiter mussten Geheimhaltungserklärungen unterzeichnen. "Bei uns hängen jetzt schon die Skizzen für die Neuerscheinungen im Jahr 2013", sagt Chefentwickler Bernhard Hane, 62, ein gut gelaunter Westfale mit kariertem Sakko und breitem Lachen. Seit 33 Jahren arbeitet er für Geobra Brandstätter, vor zwölf Jahren übernahm er die Abteilung von Hans Beck, dem geistigen Vater der Plastikmännchen.

Verkaufsschlager wie die Ritterburg gibt es bereits in vierter Generation

Hane muss immer wieder den Geschmack der Kinder treffen, sie mit neuen Welten überraschen, Ideen wie Falknerei und Ufo abwägen und umsetzen. Oder auch nicht, wenn er die Vorschläge für nicht massenkompatibel hält. "Gar nicht so einfach, wir haben ja fast alle Themen schon einmal berührt", sagt Hane. Beliebte Welten erstehen deshalb alle Jahre wieder auf. So wie die Ritterburg, die seit September in vierter Generation auf dem Markt ist und zu den Rennern im Weihnachtsgeschäft gehört. 3,2 Millionen Stück stehen in Kinderzimmern in aller Welt. Ob sie zum Weihnachtsfest 2013 Fans wie Mario mit einer Falknerei überraschen wird? Das ist streng geheim.