Ab Mai 2011 können Beschäftigte aus Billiglohnländern in Deutschland eingesetzt werden. Baufirmen sind alarmiert

Hamburg. Frerich Ibelings ist erst seit wenigen Monaten verantwortlich für Hamburgs Baubranche. Doch schon in der kurzen Zeit hat er etliche besorgte Anrufe von den Unternehmern bekommen, die Bürotürme und Wohnungen, Straßen und Brücken in der Stadt errichten. "Es herrscht große Sorge bei den Hamburger Betrieben", sagt der Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbands. Der Grund: Die Baubranche befürchtet etliche neue Billigkonkurrenten aus Osteuropa. "Viele Polen, die bisher in Großbritannien und Irland gearbeitet haben, werden wegen der dortigen Krise jetzt zu uns kommen", sagt Ibelings voraus. Seine Branche schätzt den Zuzug bundesweit auf bis zu 300 000 Menschen im Jahr. Gerade im lohnintensiven Hochbau drohten Firmen aus dem Osten nun einheimischen Unternehmen Aufträge wegzuschnappen. "Wir brauchen in Zukunft besonders viele Kontrollen, um einen Mindestlohn auch bei solchen Firmen durchzusetzen", fordert Ibelings.

Im Frühjahr nächsten Jahres werden nicht nur Bauarbeiter, sondern Hunderttausende deutsche Arbeitnehmer mehr Konkurrenz aus den osteuropäischen Ländern bekommen. Gewerkschaften befürchten Billiglöhne. Auch in der Pflege und im Verkehr drohen preisaggressive Wettbewerber. Und in der Zeitarbeit wird eine neue Dumpingwelle befürchtet. Andererseits können die Jobsuchenden aus dem Ausland auch helfen, den Fachkräftemangel in Deutschland abzumildern.

12 000 Jobsuchende allein aus Polen im Norden erwartet

"Wir rechnen bundesweit mit bis zu 140 000 Arbeitnehmern aus Osteuropa, die nach Deutschland kommen", sagt der Chef der Hamburger Agentur für Arbeit, Rolf Steil, dem Abendblatt. Allein aus Polen erwarten die Hansestadt und Schleswig-Holstein in den nächsten vier Jahren 12 000 Jobsuchende. Zum Hintergrund: Ab Mai 2011 gilt für acht weitere EU-Länder die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Beschäftigte aus Polen, Litauen oder Tschechien können sich dann ohne jede Einschränkung auf dem deutschen Arbeitsmarkt bewegen und in vielen Branchen zu den Bedingungen ihrer Heimatländer arbeiten.

"Es droht dann in Deutschland eine Lohnspirale nach unten", sagt Frank Schischefsky von der Gewerkschaft Ver.di. In Schleswig-Holstein seien insbesondere private Busbetriebe in Sorge. Die öffentliche Hand achte bei Ausschreibungen nicht darauf, wie viel die Firma den Busfahrern zahle. Das könnten dann schnell nur 3,50 Euro sein, so Schischefsky. "Deshalb brauchen wir den Mindestlohn oder ein Tariftreuegesetz", fordert der Gewerkschafter.

Verbraucher sollen mithelfen, Billiganbietern das Handwerk zu legen

Ähnlich ist die Situation im Hamburger Handwerk. Dort, wo Tariffreiheit herrscht, etwa bei Gerüstbauern und im Metallgewerbe, wäre ein Personalkarussell denkbar, sagte Ina Diepold von der Handwerkskammer Hamburg. Allerdings seien Beschäftigte letztlich nur bei einfachen Arbeiten leicht austauschbar. Die Kammer appelliert an die Verbraucher, bei Handwerksbetrieben auf Seriosität und Qualität zu achten, damit sich Billiganbieter in der Hansestadt nicht durchsetzen könnten.

Als eines der größten Eingangstore für Billiglöhne gilt die Zeitarbeitsbranche. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) setzt sich daher für einen Mindestlohn für alle Leiharbeiter ein, die FDP indes sperrt sich noch. Dabei gibt es bereits erste Zeitarbeitsfirmen, die Büros in Polen eröffnen. Ab dem nächsten Frühjahr können sie polnische Arbeitnehmer dann auf dem deutschen Markt vermitteln. Zu Bedingungen wie in Polen, wo ein Mindestlohn von weniger als zwei Euro gilt. Der Druck auf die 750 000 Zeitarbeiter in Deutschland, davon rund 30 Prozent Ungelernte, dürfte dadurch steigen.

Wirtschaftsforscher sehen in der guten Konjunktur, der Überalterung und dem Fachkräftemangel in Deutschland allerdings Faktoren, die das Problem der Billigkräfte aus dem Osten relativieren. Nur in einigen Branchen dürfte das Lohnniveau gefährdet sein. "Und trotz der Zuwanderung werden wir einen Rückgang der Zahl der Erwerbstätigen erleben", sagt Oliver Holtemöller, Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Eine Sorge vor steigender Arbeitslosigkeit sei unbegründet.