Marie-Christine Ostermann, Vorsitzende des Verbands Die Jungen Unternehmer, spricht über falsche Studienfächer und fehlende Kitas.

Hamburg. Trotz aller Erfolge der Frauenbewegung gibt es in Deutschland noch immer keine Chefin eines DAX-Konzerns. Woran liegt es, dass sich Frauen heute nach wie vor schwertun, in die Toppositionen der Wirtschaft vorzudringen? Marie-Christine Ostermann, Vorsitzende des Verbands Die Jungen Unternehmer (BJU), glaubt, dass Frauen manchmal nicht selbstbewusst genug auftreten und die falschen Studienfächer belegen. Sie fordert aber auch mehr Kindertagesstätten, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Die 32-Jährige wurde gerade in Hamburg erneut zur Verbandschefin gewählt. Sie führt zudem in vierter Generation die Rullko GmbH mit 150 Beschäftigten, einen Lebensmittelgroßhändler aus Hamm, der sich auf die Belieferung von Krankenhäusern und Altenheimen spezialisiert hat.

Hamburger Abendblatt:

Frau Ostermann, Sie haben mit 27 Jahren den Chefsessel im väterlichen Betrieb übernommen. Welche Widerstände hatten Sie zu überwinden?

Marie-Christine Ostermann:

Es gab anfangs schon Bedenken in der Belegschaft. Gerade die älteren Mitarbeiter in unserem Lager, wo es auch mal etwas rauer zugeht, hatten ihre Zweifel angesichts des Führungswechsels. Und die haben sie auch offen ausgesprochen.

Was haben die Arbeiter zu Ihnen gesagt?

Ostermann:

Sätze wie "Hey, ich arbeite schon seit 30 Jahren im Unternehmen und jetzt kommen Sie mit Ihren 27 Jahren und wollen mir erzählen, wie es besser geht". Das war nicht ganz einfach für mich. Geholfen hat mir aber meine gute Ausbildung. Ich habe Betriebswirtschaft studiert und danach unter anderem bei Aldi Süd gearbeitet. Den Leuten war klar, dass ich vom Fach bin und etwas von meinem Job verstehe.

Was hat die Männer mehr erschreckt? Ihr junges Alter oder die Tatsache, dass Sie eine Frau sind?

Ostermann:

Beides, denke ich. Es ist schon etwas anderes für die Männer, wenn da plötzlich eine junge Frau im Kostüm und mit Stöckelschuhen steht und sagt, wo es langgeht. Für die Akzeptanz war es sehr wichtig, dass ich in allen Abteilungen gearbeitet habe. Ich bin im Lager Gabelstapler gefahren, habe Kisten mit 20 oder 30 Kilo geschleppt und war auch im Kühlhaus bei minus 24 Grad im Schutzanzug im Einsatz.

Hat Ihr Vater Sie beim Führungswechsel unterstützt?

Ostermann:

Er hat immer auch nach außen hin deutlich gemacht, dass er an mich glaubt und dass ich die Aufgabe hervorragend meistern werde. Wenn er mir nicht so sehr den Rücken gestärkt hätte, wäre es für mich sicher viel schwerer geworden, mich im Unternehmen durchzusetzen.

Haben Sie sich etwas von seinem Führungsstil abgeschaut?

Ostermann:

Geerbt habe ich von ihm wohl den starken Willen und die Durchsetzungskraft. Als Frau trete ich vielleicht weicher auf, bin nicht so impulsiv. Doch in der Sache bleibe ich genauso hart wie er.

Chefinnen wie Sie sind nach wie vor selten in Deutschland. Warum gibt es so wenige Frauen in Führungspositionen?

Ostermann:

Ich habe den Eindruck, dass sich viele Frauen eher für geisteswissenschaftliche Studienfächer wie Literatur oder Kunstgeschichte interessieren, mit denen man eher selten einen Chefposten angeboten bekommt. Ingenieurswissenschaften studieren beispielsweise nur die wenigsten Frauen. Als ich bis vor sechs Jahren Betriebswirtschaftslehre in St. Gallen studiert habe, lag auch dort der Frauenanteil bei gerade einmal 20 Prozent. Ich kann daher nur an die Damen appellieren, sich mehr für die wirtschafts- und naturwissenschaftlichen Fächer zu begeistern.

Wollen Frauen vielleicht gar nicht so sehr Karriere machen wie Männer?

Ostermann:

Ich denke, Frauen stehen gesellschaftlich nicht so unter Druck, unbedingt Karriere machen zu müssen. Es ist genauso akzeptiert, wenn sie sich allein für die Familie entscheiden oder Beruf und Familie miteinander verbinden und dabei keinen Chefposten anstreben. Um Kinder und Karriere gut unter einen Hut zu bringen, brauchen wir übrigens dringend bessere Rahmenbedingungen von der Politik, also mehr Kita-Plätze und mehr Ganztagsschulen. Und wir brauchen mehr mutige Männer, die auch bereit sind, Frauen in Führungspositionen eine Chance zu geben.

Wie stellen Sie sich selbst vor, Familie und Karriere miteinander zu verbinden?

Ostermann:

Ich bin noch nicht verheiratet und habe auch noch keine Kinder, wünsche mir aber auf jeden Fall welche. Ich denke, dass sich das auch gut mit meiner Arbeit vereinbaren lässt, da ich mir als Unternehmerin die Zeit besser einteilen kann als der durchschnittliche Arbeitnehmer. Allerdings ginge das sicher nicht ohne eine professionelle Kinderbetreuung.

Unterstützen Sie eigentlich Frauen gezielt in Ihrem Unternehmen, etwa mit einem Betriebskindergarten?

Ostermann:

Bei 150 Beschäftigten würde sich ein Betriebskindergarten nicht lohnen. Aber wir bemühen uns, für Frauen, die nach der Schwangerschaft in den Beruf zurückkehren wollen, möglichst individuelle Lösungen zu finden. Unser Unternehmen ist zum Beispiel bei der Teilzeitarbeit sehr flexibel.

Und was halten Sie von der Frauenquote?

Ostermann:

Gar nichts. Wir Frauen brauchen keine Quote, um uns durchzusetzen. Ich selbst würde mich auf mein Geschlecht reduziert fühlen, wenn ich nur wegen einer Quote in einem Unternehmen eingestellt würde. Es kommt auf die Qualifikation an, nicht auf das Geschlecht.

Das können Sie leicht sagen als Nachfolgerin in einem Familienunternehmen. Glauben Sie, Sie hätten auch anderswo so schnell Karriere gemacht?

Ostermann:

Ich denke schon, dass ich mich aufgrund meines Studiums und meines starken Willens auch in einem anderen Unternehmen durchgesetzt hätte. In den Aufsichtsrat der Optikerkette Fielmann bin ich allein wegen meiner Qualifikation gekommen.

Dennoch sind Sie aufgrund Ihres Elternhauses privilegiert. Die Universität St. Gallen kann sich auch nicht gerade jeder leisten.

Ostermann:

Das ist eine öffentliche Universität, an der grundsätzlich jeder studieren kann. Die Semestergebühren sind durchaus auch für Normalverdiener bezahlbar. Während meiner Zeit in der Schweiz habe ich mit einer Kommilitonin zusammengewohnt, die aus finanziell einfachen Verhältnissen kam und sich trotzdem aufgrund guter Noten durchgesetzt hat.

Selbst wenn Frauen heute in Führungspositionen vordringen, verdienen sie immer noch weniger als ihre männlichen Kollegen. Verhandeln sie möglicherweise nicht hart genug?

Ostermann:

Frauen sind manchmal nicht selbstbewusst genug und zu schnell kompromissbereit. Es kann nicht schaden, auch mal die Ellenbogen auszufahren. Manch eine Frau hat vielleicht auch ihre Strategie für die Gehaltsverhandlung nicht gut genug geplant. Man braucht ein klares Ziel nach dem Motto: Ich will diesen Job und dafür auch ein ganz bestimmtes Gehalt bekommen.