Hamburger Landwirte setzen zunehmend auf kreative Zweiteinkommen. Im Stadtstaat können die Betriebe nur begrenzt wachsen.

Hamburg. Hier ist die Welt noch in Ordnung. Nur 30 Kilometer von der Hamburger Innenstadt entfernt grunzen Schweine, liegen Schafe im Gras, blüht der Senf gelb gegen den grauen Novemberdunst an. Seit 1628 ist der denkmalgeschützte Hof am Kirchwerder Mühlendamm in Familienbesitz.

An der Idylle können aber alle Hamburger teilhaben: Hofbesitzer Georg Eggers empfängt 3000 Besucher pro Jahr. Er erklärt Schulklassen, wie ökologischer Ackerbau funktioniert. Zeigt Städtern die 500 Jahre alte Scheune. Verpflegt sie im Hofcafé mit Biowaren, die seine Nichte Christine Beeken herstellt. Das Backhaus nebenan kann auch für Feiern gemietet werden, eine Ferienwohnung wartet auf Urlauber.

Diese Angebote sollen nicht nur die Stadtbewohner über die Landwirtschaft aufklären und Hamburger Kulturerbe erhalten. Sie sollen auch Familie Eggers ein stabiles Einkommen ermöglichen. Die Einnahmen daraus machen schon fast 20 Prozent der Gesamtumsätze aus, die Eggers mit dem Getreideanbau auf 77 Hektar Ackerfläche und der Viehzucht erwirtschaftet.

Damit hat der 69-Jährige unter den Hamburger Bauern fast eine Vorbildfunktion. Denn der Bauernverband hat unisono mit der Wirtschaftsbehörde die Parole ausgegeben, für einen Einkommensmix zu sorgen. Also neben der Landwirtschaft auf Geldquellen zu setzen, die nicht an schwankende Erzeugerpreise auf dem Weltmarkt gebunden sind oder an EU-Agrarhilfen, die für westeuropäische Bauern gekürzt werden sollen. Der Grund: "Die Existenzsicherung durch reine landwirtschaftliche Arbeit wird immer schwieriger, die Preisschwankungen immer größer", sagt der Hamburger Bauernpräsident Heinz Behrmann. Seit 2003 haben 150 Betriebe aufgegeben, der Strukturwandel ist in vollem Gange. Gerade im Ackerbau oder in der Milchviehhaltung seien die Erzeugerpreise lange stark gesunken, in diesem Jahr werden erstmals wieder gute Einnahmen erwartet.

"Wer nicht groß genug ist, kann von seinen Einkünften kaum leben", sagt Behrmann. Im Stadtstaat Hamburg können die 980 landwirtschaftlichen Betriebe, zum großen Teil im Obst- und Gartenbau aktiv, aber nur begrenzt wachsen. Auch ein Zuverdienst durch Biogasanlagen, in anderen Bundesländern weit verbreitet, ist in Hamburg schwierig. Denn dafür sind große Flächen für Mais- oder Rapsanbau nötig.

Die Hamburger Landwirte müssen also kreativer werden als ihre Kollegen im Rest von Deutschland. "Viele Bauern haben gute Ideen entwickelt", lobt Bauernpräsident Behrmann. "Der Strukturwandel geht in Hamburg langsamer als in anderen Ländern voran, weil wir uns erfolgreich um andere Standbeine bemühen." Unterstützt werden die Landwirte dabei vom Trägerverein Stadt Land Fluss, der im Namen der Wirtschaftsbehörde Fördergelder von EU, Bund und der Stadt verteilt. Laut dem diesjährigen Zwischenbericht ist eines der vielfältigen Ziele des Programms, die Produktion "zu nicht-landwirtschaftlichen Leistungen zu diversifizieren", um die Wirtschaftskraft und Lebensqualität im ländlichen Raum zu steigern. Dabei sollen alte Gebäude erhalten und für neue Einkommensquellen umgebaut werden. Insgesamt stehen 6,8 Millionen Euro Fördermittel bis zum Jahr 2013 zur Verfügung, mit denen unter anderem der Aufbau von Zweitstandbeinen in mindestens 70 Betrieben gefördert werden soll.

Die Wirtschaftsbehörde hofft, dass so Gesamtinvestitionen von mehr als 17 Millionen Euro ausgelöst werden. Obwohl das Geld seit 2007 bereitsteht, wurde bis 2009 allerdings erst ein Bruchteil ausbezahlt, rund 500 000 Euro. "Es dauert, bis so ein Programm anläuft", sagt Projektleiterin Christine Seiler. Schließlich müssen die Pläne den EU-Richtlinien ebenso entsprechen wie dem regionalen Entwicklungskonzept. "Jetzt trudeln aber immer mehr Anträge herein, sodass die Mittel bis 2013 sicher ausgeschöpft sein werden."

Bauer Georg Eggers hat seinen Zuschuss bereits erhalten. 10 500 Euro, um aus historischen Materialien neben dem Backhaus einen Veranstaltungsraum mit Toiletten aufzubauen. "Die sanitären Anlagen waren nötig, um die Hoffeste, Backtage und Führungen überhaupt durchführen zu können", sagt Georg Eggers. Das übrige Baugeld von 40 000 Euro hat er mit dem Verein Freundeskreis Hof Eggers aufgebracht. Ein weiterer Antrag liegt bei Stadt Land Fluss vor: Das Hofcafé soll so ausgebaut werden, dass Eggers' Nichte Christine Beeken auch im Winter Gäste bewirtschaften kann.

Denn Projekte mit Freizeitwert sind in einer Stadt wie Hamburg, wo zahlungskräftige Kundschaft nur wenige Kilometer entfernt wohnt, besonders beliebt. So hat die Wirtschaftsbehörde bereits ein Bauerncafé, zwei Ferienwohnungen, zwei Hofläden und eine Fahrradvermietung in den Vierlanden finanziell unterstützt.

Das originellste Projekt hat im Juni in Ochsenwerder eröffnet: Bauer Thomas Soltau, 37, hat ein Gerstenfeld zu einer Golfanlage umfunktioniert. Von März bis Oktober können Hamburger nun bei dieser schlichten Golfvariante den Schläger schwingen, pitchen und putten. Die Gesamtinvestition von 20 000 wurde zu einem Viertel öffentlich bezuschusst. "Ich hoffe, dass das Feld so bald mehr abwirft, als wenn ich darauf Getreide anbaue", sagt Soltau. Denn: Der Eintritt hat den festen Preis von zehn Euro. Was Soltaus übrige 150 Hektar Land abwerfen, ist schwer zu sagen: Der Getreidepreis kann von Jahr zu Jahr um bis zu 40 Prozent schwanken.