Geschlechterrabatte der Versicherer kommen auf den Prüfstand

Hamburg. Der Unterschied zwischen Mann und Frau ist für die deutsche Versicherungswirtschaft seit Jahren eine zentrale Rechengröße. Viele Tarife hängen davon ab, wer eine Police abschließt. Denn die Branche bildet Risikogruppen nach dem Geschlecht. Frauen fahren beispielsweise vorsichtiger Auto und zahlen deshalb weniger in der Kfz-Versicherung als Männer. Weibliche Versicherte können zudem ihre Hinterbliebenen mit einer Risikolebensversicherung um ein Drittel günstiger absichern. Die Gefahr, dass die Versicherung tatsächlich zahlen muss, ist geringer als bei Männern. Andererseits erhalten Frauen weniger Rente, weil sie länger leben und müssen auch bei Kranken- und Berufsunfähigkeitsversicherung höhere Beiträge zahlen als die Männer.

Mit diesen Unterschieden soll es bald vorbei sein. Eine Frau schickt sich an, vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die unterschiedlichen Prämien für Frauen und Männer zu Fall zu bringen. Sie beruhen ohnehin nur auf einer Ausnahmeregelung, die jetzt auf dem Prüfstand steht. Denn prinzipiell sollte es bereits nach dem 21. Dezember 2007 keine Unterschiede mehr bei Prämien und Leistungen allein aufgrund des Geschlechts geben. Generalanwältin Juliane Kokott hält es nämlich mit den Grundrechten der EU für unvereinbar, in Versicherungsverträgen das Geschlecht als Risikofaktor zu berücksichtigen. Vorgelegt wurde der Fall vom belgischen Verfassungsgericht. Ein Urteil des EuGH wird 2011 erwartet.

Die Versicherungswirtschaft ist alarmiert. "Eine risikoadäquate Kalkulation der Prämien ist keine Diskriminierung, sondern eine sachlich gebotene Berücksichtigung unterschiedlicher Risiken", sagt Hasso Suliak vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). So verweist die Branche auf die um vier bis sechs Jahre höhere Lebenserwartung der Frauen. Folglich erhalten sie bei gleicher Verrentungssumme monatlich einen geringeren Betrag als Männer, weil sie die Rente länger beziehen. "Der wirtschaftliche Wert der Renten über die Lebenszeit bleibt dennoch bei Frauen und Männern gleich", sagt Suliak. Von einer Benachteiligung der Frauen könne deshalb keine Rede sein.

Doch Kokott hält es für wenig angebracht, Versicherungsrisiken am Geschlecht einer Person festzumachen. So darf die Rasse und die ethnische Herkunft einer Person nicht als Differenzierungsgründe im Versicherungswesen herangezogen werden, meint die 53-jährige Juristin und sechsfache Mutter. "Denn wie die Rasse und die ethnische Herkunft ist auch das Geschlecht ein Merkmal, das untrennbar mit der Person des Versicherten verbunden ist und auf das dieser keinen Einfluss hat."

Die jetzt noch gültige Ausnahmeregelung beruht darauf, dass das Geschlecht bei der Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist, also nachweisbare biologische Unterschiede unterschiedliche Tarife rechtfertigen und nicht nur Statistiktabellen mit dem Geschlecht in Verbindung gebracht werden. Daran hat die Versicherungswirtschaft keinen Zweifel. Bereits in den ersten Lebensjahren ist die Sterblichkeit von Jungen deutlich höher, heißt es in einem Argumentationspapier des GDV. Es bescheinigt jungen Männern aufgrund des Sexualhormons Testosteron eine höhere Risikobereitschaft, die zu einer höheren Sterblichkeit, insbesondere durch Unfälle führt. Die Folge: Männer bezahlen bei Risikolebensversicherungen bis zu 50 Prozent mehr als Frauen. Dagegen wirke das weibliche Geschlechtshormon Östrogen gesundheitsfördernd, so der GDV. Auch die Krankenversicherung hat gute Argumente für höhere Versicherungsprämien für Frauen. "Sie gehen häufiger zum Arzt und nehmen auch mehr medizinische Leistungen in Anspruch", sagt Sybille Schneider von der DKV.

Kokott sieht dagegen die Lebenserwartung stark von wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten beeinflusst. "Angesichts des gesellschaftlichen Wandels und des mit ihm einhergehenden Bedeutungsverlusts traditioneller Rollenbilder lassen sich die Auswirkungen verhaltensbedingter Faktoren auf Gesundheit und Lebenserwartung einer Person nicht mehr eindeutig mit deren Geschlecht in Verbindung bringen." Die Statistiken der Versicherer betrachtet sie eher als ein Ersatzkriterium, das sich besonders leicht erfassen lässt.

Bei der Riester-Rente wird nicht mehr zwischen Mann und Frau unterschieden

Der Trend zu Unisex-Tarifen ist längst eingeleitet. Die staatlich geförderte Riester-Rente macht seit 2006 keinen Unterschied mehr zwischen Mann und Frau. Auch die Kosten für Schwangerschaft und Mutterschaft dürfen als Folge des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes seit 2008 nicht mehr allein den Frauen bei den Krankenversicherungstarifen aufgebürdet werden. Beim Marktführer DKV führte das zu um fünf Prozent höhere Beiträge für die Männer. Die Tarife der Frauen ermäßigten sich um bis zu zehn Prozent. Die Beispiele geben einen Vorgeschmack darauf, was passieren wird, wenn der EuGH Kokotts Argumenten folgt. "Das durchschnittliche Prämienniveau insgesamt wird deutlich steigen", sagt Suliak. Die Branche fürchtet, dass Männer dann keine Rentenversicherungen mehr abschließen.

Kokotts Antrag hat es in sich. Nicht nur neue Verträge sollen nach Unisex-Tarifen kalkuliert werden. Nach einem Übergangszeitraum von drei Jahren müssen auch bestehende Verträge an das neue Recht angepasst werden. Männer und Frauen müssten also in der Rentenversicherung gleiche Leistungen bekommen. "Die Kosten lägen allein in der Lebensversicherung bei über 30 Milliarden Euro und würden zu dramatischen Finanzierungsschwierigkeiten bei den deutschen Lebensversicherern führen", sagt Michael Steinmetz von der Deutschen Aktuarvereinigung. Jetzt fürchten die Versicherer vor allem die Statistik: Denn in drei Viertel der Fälle folgen die Richter am EuGH dem Gutachten der Generalanwältin.