Manfred Poweleit, 55, Chefredakteur des Versicherungsanalysehauses map-report in Artlenburg

Hamburger Abendblatt:

1. Im nächsten Jahr wird der Europäische Gerichtshof (EuGH) darüber entscheiden, ob es in der Versicherungswirtschaft weiter unterschiedliche Tarife für Frauen und Männer geben darf. Beobachter erwarten, dass eine Unterscheidung nach Geschlecht dann verboten wird. Was halten Sie davon?

Manfred Poweleit:

Das wäre ein absoluter Wahnsinn. Da mischen sich Dilettanten unter dogmatischen Gesichtspunkten in versicherungswirtschaftliche Rechenwerke ein, von denen sie nichts verstehen und die seit vielen Jahrzehnten gut funktionieren.

2. Nach Auffassung der Generalanwältin, die vor dem Europäischen Gericht ein Plädoyer gegen geschlechtsspezifische Tarife gehalten hat, darf nicht nach Kriterien unterschieden werden, auf die der Kunde keinen Einfluss hat - so wie die Rasse oder eben auch das Geschlecht. Ist das nicht nachvollziehbar?

Poweleit:

Junge Menschen zahlen in der Autoversicherung deutlich höhere Prämien, obwohl sie ihr Alter auch nicht beeinflussen können. Das Geschäft einer Versicherung ist eben die Kunst, Risiken risikogerecht zu tarifieren.

3. Würden Frauen durch die Änderungen in den neuen Verträgen bessergestellt?

Poweleit:

Die bisherigen Tarifbedingungen sind keineswegs generell ungünstiger für Frauen. Außerhalb der Lebens- und der privaten Krankenversicherung kämen sie dann eher schlechter weg. In der Kfz-Versicherung dürfte es keine Frauenrabatte mehr geben, auch wenn Frauen weniger Schäden verursachen.

4. Wie würde die Branche auf ein solches Urteil reagieren?

Poweleit:

In der Lebens- und Rentenversicherung dürfte das Interesse der Anbieter an Verträgen mit Frauen - die im Schnitt sechs Jahre länger leben als Männer - massiv zurückgehen. Das wäre allerdings bedenklich, weil Frauen in der Regel ohnehin die schlechtere Alterssicherung haben.

5. Nach Ansicht von Experten kann der EuGH entscheiden, dass auch bestehende Verträge an das neue Recht angepasst werden müssten. Männer und Frauen würden dann in der Rentenversicherung gleich hohe monatliche Auszahlungen bekommen, obwohl die Frauen länger leben und der Versicherer das Geld dafür nicht vorher über höhere Prämien eingesammelt hat. Welche Auswirkungen hätte dies?

Poweleit:

Das ist für die Branche ein Horrorszenario. Angesichts des niedrigen Zinsniveaus, das die Anbieter ohnehin belastet, müsste man dann über die Möglichkeit von Lebensversicherer-Pleiten nachdenken. Ich kann mir aber schwer vorstellen, dass es zu rückwirkenden Änderungen kommt.