737 gegen A320: Der US-Konkurrent bekommt mehr als doppelt so viele Bestellungen. Experten sehen zwei Gründe für die Orderschwäche.

Hamburg. Es ist eine ungewohnte Situation für Airbus : Das Brot-und-Butter-Produkt des Flugzeugbauers, die Kurz- und Mittelstreckenjets der A320-Familie, wird in diesem Jahr von der Konkurrenz weit abgehängt. Bis Ende September erhielt Airbus (abzüglich der Stornierungen) Aufträge für 185 dieser Maschinen, während bei Boeing Bestellungen über 382 Flieger der Typenreihe 737 eingingen - inzwischen sind es sogar schon 446. In den vergangenen drei Jahren sah das noch ganz anders aus: 2007 und 2009 hatte Airbus bei den Verkaufszahlen der kleineren Flugzeuge die Nase vorn, im Jahr 2008 lag man etwa gleichauf mit Boeing.

In der Branche werden zwei mögliche Gründe für die Orderschwäche der A320-Modellreihe, von der etwa jeder zweite Jet in Hamburg endmontiert wird, diskutiert. So ist der Startschuss für eine mögliche Modernisierung mit neuartigen, deutlich sparsameren Düsenmotoren noch immer nicht gefallen.

Airbus steht vor der Entscheidung über eine Modernisierung der A320

Dies könnte Fluggesellschaften dazu verleiten, mit einer Kaufentscheidung für diese Flugzeuge noch abzuwarten. "Bis Jahresende soll klar sein, ob es neue Triebwerke gibt oder nicht", sagte Airbus-Sprecher Stefan Schaffrath dem Abendblatt. Das runderneuerte Flugzeug könnte dann nach bisherigen Angaben gegen Ende 2015 auf den Markt kommen.

"Das ist eine wichtige strategische Weichenstellung, da will man keinen Fehler machen", meint Sebastian Hein, Branchenanalyst beim Bankhaus Lampe. Denn die neue Triebwerksgeneration brächte zwar Effizienzvorteile für die Kunden, berge aber auch noch technologische Risiken.

Hinzu kommt, dass die Kapazitäten bei den Entwicklungsingenieuren im Unternehmen knapp sind. Daher könne es sein, dass sich Airbus gegen die Modernisierung aussprechen werde, hatte Firmenchef Thomas Enders kürzlich in einem Interview einem französischen Magazin gesagt.

"Es wäre ohnehin eine ökonomisch sehr knappe Rechnung", erklärte der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Auf der einen Seite würden die neuartigen Triebwerke das Flugzeug spürbar verteuern. Dagegen stünden Kerosineinsparungen von rund acht bis zehn Prozent - aber ein völlig neu entwickelter Nachfolger der A320, der innerhalb des nächsten Jahrzehnts wohl unausweichlich kommen müsste, brächte einen Minderverbrauch von voraussichtlich mindestens 15 Prozent. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht überraschend, dass sich Enders mit der Entscheidung für eine "kleine Lösung" schwer tut.

Wichtigste Ursache für den Vorsprung der Boeing-737-Maschinen bei den Neuaufträgen seit Januar ist nach Einschätzung von Großbongardt jedoch ein anderer Faktor: Vor etwa einem Jahr hat der US-Konzern für das Modell 737 eine neue Innenausstattung vorgestellt, die sich am vergleichsweise futuristischen Interieur des 787-Langstreckenjets orientiert. "Man erreicht damit ein völlig neues Raumgefühl", sagt Großbongardt. So biete die neue Ausstattung unter anderem wesentlich mehr Kopfraum für die Passagiere. Boeing habe sich mit der Modernisierung des 737-Innenraums einen "echten Wettbewerbsvorteil" verschafft, sagt der Experte mit Blick auf die Verkaufszahlen: "Für mich ist das eines der eindrucksvollsten Beispiele dafür, welche Bedeutung die Kabine für den Erfolg eines Flugzeugs hat."

"Die Kabine ist schließlich das, was der Passagier sieht", sagt auch Sebastian Hein. Zwar hat Airbus den Innenraum der 320-Familie vor drei Jahren ebenfalls neu gestaltet, aber die Änderungen waren weniger augenfällig.

Hoffnung auf einen Großauftrag für Airbus aus China

Angesichts der neuen Bestellzahlen verweist Airbus darauf, dass der Auftragsbestand dieser Flieger noch immer über dem der Boeing-737-Maschinen liegt. "Außerdem ist das Jahr noch nicht vorüber", sagt Schaffrath. Tatsächlich könnte in den nächsten Wochen noch ein außergewöhnlicher Auftrag verbucht werden: Im kommenden Monat besucht der chinesische Präsident Hu Jintao Frankreich, und in diesem Rahmen dürfte China 150 Airbus-Jets bestellen, darunter 120 Exemplare der A320-Familie, berichtete die französische Zeitung "La Tribune". Doch selbst mit einem solchen Großauftrag, wie er nicht jedes Jahr hereinkommt, würde Airbus die bisherige Verkaufszahl der Boeing 737 in diesem Jahr noch nicht erreichen.