Experten kritisieren die angestrebte Reform des Stabilitätspakts als wirkungslos: “reine Schaufensterpolitik“

Hamburg. Es ist ein bekanntes Muster in der Europapolitik: Auf einen Schritt nach vorn folgt ein Schritt zurück. Noch Ende September wollte EU-Währungskommissar Olli Rehn den Euro-Stabilitätspakt drastisch verschärfen. Doch nach der am Montagabend im Ministerrat erreichten Einigung über eine Reform des Pakts hagelt es Kritik von Experten.

"Das ist reine Schaufensterpolitik ohne Wirkung", sagt der Finanzwissenschaftler Stefan Homburg von der Universität Hannover. Selbst die Bezeichnung "Kompromiss" sei irreführend. Auf Druck des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy war Deutschland von der - auch von Rehn geforderten - Linie abgerückt, wonach Sanktionen für Defizitsünder unter den Euro-Mitgliedstaaten quasi automatisch wirksam werden. Vorgesehen war, dass Strafen nur von einer Zweidrittelmehrheit im Rat der Finanzminister gestoppt werden können, während sie bisher von einer derartigen Mehrheit beschlossen werden mussten, wozu es bislang aber nie gekommen ist.

Deutschland will Stimmrechtsentzug für Defizitsünder durchsetzen

"Die Einigung bedeutet, dass eine wirkungslose Regelung in Kraft bleibt", so Homburg. Man halte an einem Verfahren fest, "bei dem von Anfang an klar war, dass es nie zu Sanktionen kommen wird. Denn wer sitzt im Ministerrat? Andere aktuelle oder potenzielle Schuldensünder."

Allenfalls "kürzer und effektiver" solle das Defizitverfahren nun werden, hatte Sarkozy erklärt. "Damit ändert sich gegenüber der bisherigen Praxis wohl kaum etwas", sagt Thorsten Polleit, Deutschland-Chefvolkswirt von Barclays Capital. "Und das Verfahren hat in der Vergangenheit nicht verhindern können, dass Staaten sich in die Überschuldung manövriert haben."

Insgesamt sei die Einigung "vermutlich nicht" geeignet, künftig mehr Haushaltsdisziplin zu erzwingen: "Die Bereitschaft der Regierungen, wirklich Ernst zu machen mit einem Einschränken der Defizitpolitik, ist wohl doch zu gering." Auch Kai Carstensen, Konjunkturchef des Münchner Ifo-Instituts, findet es "schade", dass der Stabilitätspakt nun wohl keine schärferen Zähne bekommt. Schließlich gehe es nicht ohne Strafen, denn: "Man muss eine glaubhafte Drohung haben."

Als Lichtblick wertet Carstensen jedoch, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Unterstützung Frankreichs bei der Forderung nach Änderungen des EU-Vertrags sichern konnte. Ziel sind politische Sanktionen wie ein vorübergehender Stimmrechtsentzug für hartnäckige Defizitsünder sowie ein geordnetes Insolvenzverfahren für Euro-Länder in Not - mit der Konsequenz, dass auch private Gläubiger Einbußen hinnehmen müssen. Das Beispiel Griechenland habe gezeigt, wie wichtig es wäre, ein solches Verfahren zu etablieren, meint Carstensen.

Doch entsprechende Vertragsänderungen können von den EU-Staaten nur einstimmig beschlossen werden. Und somit wird es nach Einschätzung von Polleit zu diesen Neuerungen vermutlich eben doch nicht kommen. "Das ist mit Ländern wie Griechenland, Spanien und Portugal nicht zu machen", erwartet auch Homburg.

Der Kompromiss könnte "zu weich für einen harten Euro" sein

Damit drohe dem europäischen Währungssystem ein "düsteres Szenario", sagt Carstensen: "Wenn wir Pech haben, landen wir am Ende da, wo wir vorher waren." Aber nicht nur Volkswirte, sondern auch Politiker äußerten sich gestern kritisch über den Reformplan. "Ich bin überrascht, dass wir nicht die 100-prozentige Haushaltsdisziplin von Deutschland bekommen haben", sagte der schwedische Finanzminister Anders Borg. "Wir hätten ein bisschen weiterkommen können."

Auch FDP-Generalsekretär Christian Lindner übte Kritik: "Für einen harten Euro könnte der jetzt gefundene Kompromiss zu weich sein." Sanktionen, die politisch verhandelt werden könnten, erreichten nicht dieselbe Wirkung. Selbst der Chef der Euro-Finanzminister, Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker, zeigte sich zumindest skeptisch: "Der Teufel steckt bekanntlich im Detail, davon werden wir noch genug entdecken." Juncker erinnerte daran, dass die neuen Regeln noch den üblichen Gesetzgebungsprozess von EU-Mitgliedstaaten und Europäischem Parlament durchlaufen müssen.

Vermutlich werde man das Verschuldungsproblem mit dem Stabilitätspakt ohnehin nicht in den Griff bekommen, so Polleit: "Das Einführen von 'nationalen Schuldenbremsen' - etwa nach dem Vorbild der Schweiz - könnte vielleicht für Besserung sorgen." Dort werden die Staatsausgaben über eine bestimmte Formel, in der die konjunkturelle Lage berücksichtigt ist, an die Einnahmen gekoppelt.

Der Euro geriet gestern deutlich unter Druck und notierte zeitweise unter der Marke von 1,38 Dollar.