Der rasante Kursanstieg des Euro seit Juni beunruhigt die Exportwirtschaft. Noch sind Produkte “made in Germany“ aber gefragt.

Hamburg. Noch im Frühjahr, vor dem Hintergrund der Schuldenkrise in Griechenland, hätte wohl kaum jemand einen derart drastischen Umschwung am Devisenmarkt für möglich gehalten: Seit Juni ist der Kurs des Euro von weniger als 1,20 Dollar bis auf 1,41 Dollar zum Ende voriger Woche hochgeschossen. Auf den ersten Blick erscheint das widersinnig, denn schließlich schwelen die Haushaltsprobleme diverser Euro-Länder bis heute weiter, die Stimmung im Hinblick auf die Gemeinschaftswährung ist nicht wirklich gut - bis hin zu Skepsis hinsichtlich der Chancen ihres langfristigen Bestands.

"Man sollte angesichts der Währungsentwicklung nicht von einer Stärke des Euro sprechen, sondern von einer Schwäche des Dollar", sagt Carsten Klude, Chefvolkswirt der Hamburger Privatbank M.M.Warburg. Er sieht in der Kursbewegung eine Umkehr der vorherigen, "sehr übertriebenen" Dollar-Aufwertung seit Jahresende 2009, als vor allem angelsächsische Investoren fest von einer Staatspleite Griechenlands mit entsprechend negativen Folgen für den Euro ausgingen. Doch dazu ist es dank des europäischen Rettungsschirms nicht gekommen.

Stattdessen setzte sich am Markt allmählich die Erkenntnis durch, dass die USA keineswegs besser dastehen als die "alte Welt", wenn es um die Staatsverschuldung geht: Die Neuverschuldung wird in diesem Jahr bei rund elf Prozent der Wirtschaftsleistung liegen, verglichen mit weniger als sieben Prozent in der Euro-Zone.

Seit September hat die Gemeinschaftswährung sogar noch zusätzlichen Treibstoff für ihren Höhenflug erhalten. Denn die amerikanische Konjunktur erholt sich schleppender als erhofft. Die Arbeitslosigkeit verharrt auf einem viel zu hohen Niveau, außerdem fürchten manche Experten eine Deflation. Damit sieht sich die Fed, die US-Notenbank, zunehmend unter Druck, die Wirtschaft erneut anzukurbeln. "Normalerweise würde die Fed darauf mit Zinssenkungen reagieren", erklärt Bernd Weidensteiner, USA-Experte bei der Commerzbank. "Da der Leitzins aber bereits auf der Untergrenze von null liegt, bleiben nur unkonventionelle Maßnahmen."

Nachdem selbst Fed-Präsident Ben Bernanke am Freitag eine weitere Lockerung der Geldpolitik ins Gespräch gebracht hatte, erwartet man am Markt nahezu einhellig, dass Bernanke bei der nächsten Zinssitzung am 2./3. November den Kauf zusätzlicher Staatsanleihen ankündigen wird. Schon bis Ende März hatte die Notenbank 300 Milliarden Dollar an Staatsanleihen und 1425 Milliarden Dollar an hypothekenbesicherten Wertpapieren in die eigene Bilanz genommen. "Nach unserer Schätzung dürfte es diesmal um ein Volumen von 300 Milliarden bis 500 Milliarden Dollar gehen", sagt Andreas Rees, Chefökonom von UniCredit in Deutschland.

US-Zentralbank will erneut die Notenpresse anwerfen

Der Effekt kann erheblich sein: Ein Ankauf von Anleihen im Wert von 500 Milliarden Dollar wirke wahrscheinlich wie eine Leitzinssenkung um 0,5 oder 0,75 Prozentpunkte, sagte William Dudley, Vizepräsident des Zinskomitees der Fed. Das funktioniert so: Wenn die Fed den Anlegern die Wertpapiere abkauft, wird mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf gepumpt. Damit sinken die Marktzinsen noch weiter, Banken erhalten mehr Spielraum für die Vergabe von günstigen Krediten. Auf der anderen Seite aber ist ein solcher Vorgang gleichbedeutend mit dem Anwerfen der Notenpresse - die Geldmenge steigt, der Wert des Dollar sinkt.

Damit erwachen in der deutschen Wirtschaft Befürchtungen, der Euro könne wieder auf die im Jahr 2008 erreichten Höchststände von knapp 1,60 Dollar klettern und damit die Exporte der deutschen Industrie in Länder außerhalb der Währungsunion erheblich verteuern. Doch es gibt auch Anzeichen dafür, dass diese Ängste unbegründet sein könnten. "Die erwarteten Anleihekäufe der Fed sind mindestens zum Teil schon am Devisenmarkt eingepreist", sagt Cornelia Koller, Volkswirtin der Berenberg Bank.

Und nach Einschätzung von Rees dürfte der Aufwärtstrend des Euro ohnehin nicht mehr lange anhalten. Zwar könne er kurzfristig noch bis auf rund 1,43 Dollar weiter steigen, werde aber voraussichtlich in den kommenden Monaten wieder in Richtung 1,35 Dollar zurückfallen. "Die Wachstumsdynamik in Europa wird nachlassen und in der Folge wird die Schuldenkrise wieder aufflammen", so Rees.

Ähnlich sieht es Cornelia Koller, die den Euro-Kurs zum Jahreswechsel ebenfalls auf 1,35 Dollar veranschlagt. Der "faire Wert" des Euro liege bei nur etwa 1,30 Dollar. Gemessen an der sogenannten Kaufkraftparität, nach der der Euro mit 1,15 bis 1,20 Dollar notieren müsste, sei die Gemeinschaftswährung aktuell deutlich überbewertet, sagt auch Klude. Im Zuge der nach den US-Kongresswahlen im November wohl in Amerika einsetzenden Haushaltskonsolidierung - die den Dollar stütze - werde sich der Euro-Kurs bis Anfang nächsten Jahres auf 1,35 Dollar einpendeln und bis Herbst 2011 weiter auf 1,30 Dollar absinken, erwarten die Devisenexperten des Bankhauses Lampe. Auch die Analysten der Commerzbank sehen den Euro im Dezember bei 1,35 Dollar und Ende nächsten Jahres gar nur noch bei 1,28 Dollar.

Damit dürften sich die negativen Folgen für die deutschen Exporte in Grenzen halten. Zwar sei ein derart rasanter Euro-Anstieg wie in den zurückliegenden Monaten immer eine Herausforderung für die Unternehmen, weil dies die Planung erschwere, erklärt Rees. "Aber die Exportwirtschaft kann auch einen Euro-Kurs von 1,60 Dollar verkraften, wenn er nur allmählich erreicht wird."

Generell hat nach Einschätzung von Klude die Frage, wie es um die Weltwirtschaft bestellt ist, für die Exportchancen deutscher Firmen größere Bedeutung als der Euro-Dollar-Wechselkurs. Zudem dürfe man nicht übersehen, "dass sich der Euro im Vergleich zum Jahresanfang gegenüber praktisch allen wichtigen Währungen abgeschwächt hat".

Für Kunden in China ist die Qualität der Produkte wichtiger als der Wechselkurs

Rund 60 Prozent der Exporte gingen ohnehin in Staaten der Euro-Zone, weitere zehn Prozent in die sogenannten Bric-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China) - "und für die Kunden dort spielt die Qualität der Produkte meist eine wichtigere Rolle als der Preis", sagt Klude.

Für manche Unternehmen jedoch ist dies alles kaum ein Trost. Zu ihnen gehört Airbus: Jets werden von den Abnehmern zu 100 Prozent in Dollar bezahlt, völlig unabhängig von der Nationalität des Kunden. Für den wichtigsten Wettbewerber ist das kein Problem - bei Boeing fallen auch die Kosten fast ausschließlich in Dollar an.