VW steigert den Absatz in der Volksrepublik um mehr als ein Drittel. BMW erreicht eine Verdoppelung. Aber es drohen auch Risiken

Hamburg. Tag für Tag werden sie mehr, die deutschen Autos auf Chinas Straßen. An jedem Morgen, wenn sich Millionen Chinesen auf den Weg ins Büro machen und über die mehrstöckigen Hochstraßen Shanghais ins Finanzzentrum fahren, rollen Tausende Audis, Mercedes oder BMW durch den Dunstschleier der Metropole. Das gleiche Bild in Peking oder Changchun. Der Traum der Chinesen vom Wohlstand, er offenbart sich am deutlichsten in der wachsenden Mobilität. Und das Symbol schlechthin für finanzielle Potenz ist der Besitz eines Autos "made in Germany". Die neuen Reichen spazieren in die Autohäuser, bestellen meist die Langversionen, für die Fahrt mit dem Chauffeur. Und bezahlen mit Bargeld aus dem Gucci-Täschchen.

Der aktuelle deutsche Aufschwung ist "made in China"

Was der Kick ist für die chinesische Schickeria, ist gut für Deutschland. Schaut man auf deutsche Exportzahlen, sind der Aufschwung und die derzeitige wirtschaftliche Führungsrolle Deutschlands innerhalb der EU, "made in China". So lieferten die deutschen Autobauer im ersten Halbjahr Fahrzeuge im Wert von 4,4 Milliarden Euro ins Reich der Mitte, das ist schon fast dreimal so viel wie im Vorjahreszeitraum. "China ist zu einem wahnsinnig wichtigen Absatzmarkt geworden. Ohne die Volksrepublik wären einige Hersteller während der Krise in große Schwierigkeiten geraten", sagt Stefan Bratzel, Autoexperte an der FH Bergisch Gladbach.

Für den größten deutschen Autobauer VW ist die Volksrepublik heute der mit Abstand wichtigste Markt. Bereits seit 1985 sind die Wolfsburger dort aktiv. Und selbst der China-Pionier kann sich immer noch steigern: Der Konzern erhöhte den Absatz bis September um 39 Prozent auf 1,48 Millionen Fahrzeuge, teilte der Konzern gestern mit. Damit verkauften die Wolfsburger in den ersten neun Monaten bereits mehr als im Vorjahr. Ein vergleichbares Plus erreichte Porsche. BMW und Mercedes konnten die Verkäufe in den ersten acht Monaten dieses Jahres sogar fast verdoppeln.

Allerdings wachsen die Befürchtungen, dass die Verleihung des Friedensnobelpreises an den chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo die guten wirtschaftlichen Beziehungen belasten könnte. In den vergangenen Tagen hatten sich Vertreter der chinesischen Regierung dazu mehrfach kritisch geäußert. Sie reagierten dementsprechend, als Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) jetzt in China die Vergabe des Preises an den 54-Jährigen begrüßte. Der Minister mischte sich damit anders als bei der deutschen Wirtschaft üblich in die Macht- und Menschenrechtssituation des Landes ein. Entsprechende Anfragen bei deutschen Konzernen werden in aller Regel mit "kein Kommentar zur chinesischen Politik" abgeschmettert. VW verwies gestern lediglich darauf, dass die Fabriken des Autobauers vielen Chinesen wegen der attraktiven Bezahlung zu besseren Lebensbedingungen verholfen hätten. Die Handelskammer Hamburg geht nicht davon aus, dass sich die Vergabe des Preises an Liu Xiaobo negativ auf die Wirtschaftsbeziehungen zwischen China und Deutschland auswirken wird. Eine Beeinträchtigung dieser engen wirtschaftlichen Verflechtungen sei auch "weder im Interesse der Volksrepublik noch in unserem Interesse".

Diese Meinung dürften die Autohersteller teilen, die in China im Übrigen auf einen ganz besonderen Wettbewerbsvorteil setzen können. Schließlich ist der Boom der deutschen Anbieter in China ein Erfolg ihrer Marken. Kaum ein Volk ist so verliebt in große Namen wie die Chinesen. Und auch wenn sie selber weltweit die meisten Fälschungen produzieren: Die Aufsteiger, diejenigen, die es wirklich geschafft haben im Reich der Mitte, leisten sich das Original. Den echten Montblanc-Füller, den echten Mercedes.

Im Bewusstsein dieses Potenzials, aber auch mit der Sorge im Nacken, dass in nicht allzu ferner Zukunft auch einheimische Marken Kultstatus erlangen könnten, investieren die deutschen Hersteller in chinesischen Industriezentren derzeit Milliarden. BMW baut eine neue Fabrik. Und VW, obgleich heute schon der größte Pkw-Hersteller des Landes, steckt sechs Milliarden Euro in zwei neue Werke und in die Verdoppelung der Zahl der Händler.

Autoexperte Bratzel sieht angesichts der China-Euphorie allerdings nicht unerhebliche Risiken: "Die Hersteller müssen für ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen den Kernmärkten sorgen." Das Wachstum im Land der Superlative werde sich abflachen. Als größtes Problem gilt die Immobilienblase, die in Städten wie Peking oder Shanghai durch eine womöglich trügerische Hoffnung genährt wird, in einer Liga mit den wichtigsten Finanzplätzen der Welt mitspielen zu können. "Wenn diese Blase platzt, wird das insbesondere die Premiumhersteller in Mitleidenschaft ziehen", sagt Bratzel und verweist auf das Beispiel USA. Dort hatten sich die Investmentbanker nach dem Lehman-Crash ebenfalls seltener bei den Autohändlern blicken lassen. Auch der IWF schätzt: Nach 10,5 Prozent Wachstum in diesem Jahr soll der Zuwachs 2011 nur 9,6 Prozent betragen.

Deutsche Anbieter müssen einheimische Konkurrenz fürchten

Als einer der Wachstumstreiber gilt dabei pikanterweise auch in China die Autoindustrie. Schon heute kommt die Hälfte der Neuwagen aus eigener Produktion. Die Hersteller wie BYD, Chery und Great Wall werden durch die Regierung mit Milliarden unterstützt. Zugleich profitieren sie von dem niedrig gehaltenen Yuan, der die Exporte der Chinesen sehr zum Unwillen der EU und der USA verbilligt.

Nicht umsonst überlegen sich die deutschen Hersteller heute zweimal, wenn sie in Stuttgart oder München einen chinesischen Praktikanten einstellen sollen. Es geht die Angst um vor Industriespionage. Zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten deutscher Premiumanbieter in China könnte sich insbesondere Volvo entwickeln. Mit der Übernahme der schwedischen Ford-Tochter für umgerechnet 1,34 Milliarden Euro durch den Hersteller Geely hat die chinesische Autoindustrie selber den Vorstoß in den Luxussektor geschafft. "Volvo könnte als einheimischer Hersteller jetzt einige Vorteile genießen", schätzt Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen. So könnten die Behörden, die bisher treue Audi-Kunden sind, auf die Schweden-Limousinen umschwenken. Der Ausbau der Fabrik von Volvo in der Nähe von Peking ist bereits beschlossene Sache.

Auch die Herausforderungen der Massenmobilität in den ewig unter einer Smogwolke ächzenden Millionenstädten Chinas könnten die deutschen Autobauer in Bedrängnis bringen. "Wer sagt denn, dass die Chinesen ihre Innenstädte nicht schon bald nur noch für Elektrofahrzeuge öffnen?", fragt Bratzel. Dieser Beitrag zum Klimaschutz wäre auch wirtschaftspolitisch geschickt: Schließlich ist die chinesische BYD bei der Entwicklung von günstigen Elektroflitzern bereits gut unterwegs. "Ein ernstes Problem für VW, denn die Wolfsburger besetzen hier nicht gerade die Spitzenposition", sagt Autoexperte Dudenhöffer.

Nicht nur das könnte den deutschen Marktführer schwächen. Auf dem Land werde sich die Masse zunächst nur Autos für weniger als 5000 Dollar leisten können. Der Anspruch deutscher Hersteller, ihre Erfahrung im Autobau in jedem neuen Modell mit teurer Spitzentechnologie zu zeigen, gerät dabei leicht zu hoch. Fernab der Städte befindet sich China schließlich noch auf dem Niveau eines Entwicklungslandes. Und hier ist der Weg vom Ochsenkarren zur Autobahn noch weit.