Wer Demokratie ernst nimmt, muss bei Profiten Abstriche machen.

Zwei Meldungen, wie gerufen für Moralisten: Erst erhält Chinas Staatsfeind Nummer eins, Liu Xiaobo, den Nobelpreis, das Regime tobt und ruft dem Rest der Welt auf denkbar unrühmliche Art in Erinnerung, wie wenig Meinungsfreiheit und Menschenrechte für die Supermacht von morgen bis heute gelten. Und ein paar Tage später meldet VW Rekordumsätze - genau, in China: 39 Prozent Absatzplus gegenüber 2009. Schon heute verkauft Deutschlands größter Konzern im Land der Mitte dreimal mehr Autos als daheim.

Nobelpreis hip, Profit hurra - selten schien Kritik an der westlichen, speziell der deutschen Gangart gegenüber China berechtigter als dieser Tage. Da wedeln wir leutselig mit der Freiheitsfahne, wenn todesmutige Dissidenten von sich reden machen, und machen im selben Moment mit den Unterdrückern prächtige Geschäfte. Eine Doppelmoral, die umso fragwürdiger wirkt, wenn man die riesige Unternehmer-Entourage bedenkt, mit der Wirtschaftsminister Brüderle zurzeit durch China tourt, und die Lius Auszeichnung vor allem als Störfeuer für lukrative Deals betrachtet.

Das alles gibt Anlass zu Bauchgrummeln und verleitet zugleich zu wohlfeilen Urteilen. Was wäre die Alternative? Sanktionen? Beziehungen abbrechen? Dem Rest der Welt zusehen, wie er im Handel mit dem Riesenreich Wohlstand manifestiert? Machen wir uns nichts vor: Eine ethisch einwandfreie Position ist in dieser Größenordnung illusorisch, bilaterale Annäherung und rege Geschäfte sind ohne Alternative. Und dass FDP-Minister Brüderle, die Unternehmer im Schlepptau, bei seiner Reise die Entscheidung des Nobel-Komitees ausdrücklich begrüßte, zeigt immerhin schon mal, dass von übertriebenem Kotau nicht die Rede sein kann.

Für kommende Generationen dürfte die weltpolitisch entscheidende Frage sein, wie wir mit China leben lernen (und China mit uns). Am besten, wir begreifen sie schon jetzt als Chance, uns über eigene Stärken und Schwächen klar zu werden. Fest steht: Chinas eigenwillige Mixtur aus Tigerkapitalismus und Kaderdiktatur ermöglicht dem Land eine Dynamik, die bei uns längst undenkbar ist. Demgegenüber sind wir schwerfällig, politische Entscheidungsprozesse dauern zu lange, Minderheiten können wichtige Weichenstellungen blockieren, siehe Stuttgart 21. Good Old Europe eben, und das ist gut so. Wir nennen es Demokratie. Mühsam, dafür menschenfreundlich. Unsere selbstbewusste Antwort auf Chinas Härte muss lauten: Für Leute wie Liu Xiaobo nehmen wir ein paar Prozent weniger Wachstum ganz gern in Kauf.