Im neuen Wettbewerbsbericht des Weltwirtschaftsforums rückt die deutsche Wirtschaft auf Rang fünf von insgesamt 139 Ländern vor.

Hamburg. So hat sich Angela Merkel (CDU) das gewünscht. "Wir wollen diese Krise nicht einfach überstehen. Deutschland soll aus dieser Krise stärker, zukunftsfester hervorgehen", sagte die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung im Januar 2009. Zu dem Zeitpunkt war völlig offen, wie lange diese Krise dauern und welche volkswirtschaftlichen Schäden sie hinterlassen würde. Nun aber mehren sich die Indizien dafür, dass der politische Wunsch der Regierungschefin ökonomische Wirklichkeit geworden ist.

Das Schweizer Weltwirtschaftsforum, das vor allem durch die jährlichen Großkonferenzen in Davos bekannt wurde, legte gestern seinen neuen Wettbewerbsbericht vor. Deutschland belegt in der Erhebung für 2010 und 2011 den fünften Rang in der Gesamtwertung und verbesserte sich damit um zwei Plätze. Alle anderen Länder des Euro-Raums schneiden schlechter ab. An der Spitze steht erneut die Schweiz, gefolgt von Schweden, Singapur und den Vereinigten Staaten.

Von Infrastruktur bis Innovation: In zentralen Punkten ist Deutschland stark

139 Länder werden in dem Bericht anhand zentraler wirtschaftlicher, politischer und juristischer Indikatoren untersucht. In die Berichte fließen zudem stets die Befragungen von Entscheidungsträgern aus den Wirtschaften der aufgeführten Länder ein, in diesem Jahr waren es 13 000 Personen. In zentralen Punkten wie der Innovationsfähigkeit der Unternehmen, der Qualität der Infrastruktur, der Rechtssicherheit oder auch der Wettbewerbspolitik belegt Deutschland Spitzenränge oder vordere Plätze.

"Ein Grund für die Verbesserung Deutschlands in der Bewertung ist, dass der Arbeitsmarkt flexibler geworden ist", sagte Margareta Drzeniek, Ökonomin beim Weltwirtschaftsforum. "Die Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern, die ohnehin schon gut war, hat sich noch einmal verbessert. Positiv ist auch, dass sich Deutschland in der Krise nicht so stark verschuldet hat wie andere Industrieländer." Kritisch wird im Wettbewerbsbericht des Weltwirtschaftsforums angemerkt, dass der deutsche Arbeitsmarkt grundsätzlich noch nicht sehr reaktionsschnell sei. Eingeräumt wird jedoch auch, dass dank politischer Eingriffe während der Krise, vor allem umfassender finanzieller Zuschüsse zur Kurzarbeit, die Zahl der Entlassungen in Grenzen gehalten wurde. Dies habe die deutsche Wirtschaft stabilisiert.

Im zurückliegenden Jahrzehnt sind die Bruttolöhne und -gehälter in Deutschland nach den jüngsten Zahlen der EU-Kommission vom Mittwoch um rund 21 Prozent gestiegen gegenüber 35,5 Prozent im Durchschnitt der EU. Ganz wesentlich sanken dadurch auf einem noch immer hohen Lohnniveau die Stückkosten in der Industrieproduktion. "Die Produktivität in Deutschland ist sehr hoch. Hinzu kommt bereits seit 15 Jahren ein hoher Lohndruck - das führt zu einer immer besseren Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft", sagte Professor Gustav Horn, Leiter des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), dem Abendblatt. Er warnte allerdings davor, dass das wachsende ökonomische Gewicht Deutschlands die EU und die Euro-Zone destabilisieren könnte. "Gesamtwirtschaftlich wären Lohnsteigerungen von 3,0 bis 3,5 Prozent ideal. Sonst drohen die Ungleichgewichte in Europa zu wachsen und es fragt sich: Erzeugen wir damit weitere Griechenlands?" Im Zuge der griechischen Überschuldungskrise im Frühjahr war Deutschland aus EU-Partnerländern wie Frankreich vorgeworfen worden, mit einer rasch wachsenden Produktivität die Exportchancen anderer europäischer Länder zu schmälern und diese ökonomisch an die Wand zu drücken.

Auch das Kieler Institut IfW hebt seine Wachstumsprognose an

Für einen Trend zu umfassenderen Lohn- und Gehaltserhöhungen gibt es derzeit allerdings keine Indizien, im Gegenteil. Das Statistische Bundesamt teilte gestern mit, dass viele tarifliche Neuabschlüsse im ersten Halbjahr 2010 Einmalzahlungen an die Arbeitnehmer enthielten, die bei künftigen prozentualen Erhöhungen der Bezüge nicht berücksichtigt werden.

Unterdessen hob gestern auch das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel seine Wachstumsprognose deutlich an. Das Bruttoinlandsprodukt werde 2010 gegenüber 2009 um 3,4 Prozent wachsen. Bislang hatte man beim IfW mit 2,1 Prozent Wachstum gerechnet. Für 2011 hob das Institut seine Prognose von 1,2 auf 1,7 Prozent an. Bereits am Dienstag hatte das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) seine Vorhersage für dieses Jahr deutlich auf 3,4 Prozent Wachstum angehoben.

Die Bundesregierung hingegen rechnet weiterhin mit drei Prozent Wachstum beim Bruttoinlandsprodukt. Ganz anders die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD): "Deutschland muss sich in den nächsten Quartalen auf Wachstum auf niedrigerem Niveau einstellen", sagte OECD-Volkswirt Felix Hüfner gestern der Nachrichtenagentur Reuters. In ihrer neuen Prognose veranschlagt die OECD für das zurückliegende Sommerquartal nur noch ein Plus von rund 0,2 Prozent.

Unstrittig ist bei Ökonomen, dass die deutsche Wirtschaft im zurückliegenden Jahrzehnt umfassend modernisiert worden ist. "Die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft hat sich insgesamt verbessert", sagte der Wirtschaftswissenschaftler Jörg Hinze vom HWWI. "Da kommen mehrere Faktoren zusammen: Seit Beginn der 2000er-Jahre wurde in den Firmen erheblich rationalisiert, das ging einher mit einer moderaten Lohnentwicklung."

Hinze verwies auch darauf, dass andere Mitgliedstaaten des Euro-Raums ihre Währungen heutzutage nicht mehr abwerten können; auf diese Weise seien früher die teils erheblichen Lohnsteigerungen in einzelnen Ländern kompensiert worden. "Das funktioniert nicht mehr, und deshalb ist das wirtschaftliche Gewicht Deutschlands im gemeinsamen Währungsraum in den vergangenen Jahren weiter stark gestiegen."