Manche Investoren befürchten eine neue Rezession. Der DAX verliert in wenigen Wochen 400 Punkte, die Kauflaune dagegen bessert sich.

Hamburg. Die Situation ist paradox: In der deutschen Wirtschaft herrscht Partystimmung, fast täglich wird sie durch neue positive Daten aus Instituten und Unternehmen gefestigt. Doch der Aktienmarkt zeigt ein völlig anderes Bild. Seit Mai bewegt sich die Börse unter heftigen Schwankungen seitwärts, seit Anfang August ist der Deutsche Aktienindex (DAX) sogar um rund 400 Punkte abgerutscht, auch wenn es gestern wieder hauchdünn nach oben ging.

"Die Stimmung am Markt ist schlecht", sagte Jochen Intelmann, Chefvolkswirt der Haspa, dem Abendblatt. Der Grund dafür liegt jedoch nicht in Deutschland, nicht einmal in Europa: "Das Denken an der Börse ist immer noch auf Amerika ausgerichtet", so Intelmann, "und der lange Schatten Amerikas überdeckt alle positiven Nachrichten aus dem Inland." Schließlich seien einige Indikatoren aus den USA "geradezu erschreckend" ausgefallen.

Zuletzt seien die Bewegungen an der deutschen Börse "im Wesentlichen von externen Entwicklungen, insbesondere aus den USA, geprägt" gewesen, meint auch Markus Taubert, Leiter Private Banking beim Hamburger Bankhaus Berenberg. Die in den vergangenen Wochen in Amerika veröffentlichten Konjunkturzahlen "deuten fast ausnahmslos auf eine deutliche Verlangsamung des Wirtschaftswachstums hin." Verschiedene Daten, insbesondere aus dem Immobiliensektor, ließen manche Investoren sogar einen Rückfall in die Rezession befürchten.

Auch wenn nur etwa sechs Prozent der deutschen Exporte in die USA gehen, hätte eine drastische Abschwächung dort erhebliche Rückwirkungen auch auf die Unternehmen hierzulande. Schließlich machen die USA noch immer rund 24 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung aus. "Wenn es dort schlecht läuft, werden zum Beispiel auch die Chinesen nicht mehr so viel in Nordamerika verkaufen können - und in der Folge auch weniger Investitionsgüter in Deutschland bestellen", erklärt Intelmann. "Der globale Aufschwung könnte ins Stocken geraten." Taubert stimmt dem zu: "Die Erwartungen gehen offensichtlich von einer Beeinträchtigung der deutschen Wachstumsaussichten durch eine weltwirtschaftliche Konjunktureintrübung aus." Die Verunsicherung der Investoren zeigt sich nicht zuletzt darin, dass der Goldpreis schon wieder knapp unter seinem bisherigen Höchststand liegt.

Die Skepsis der Experten beruht nicht nur auf der ausbleibenden Erholung des US-Immobilienmarkts, sondern auch auf der vergleichsweise hohen Arbeitslosenquote. Diese belastet die Konjunktur stark, weil der private Konsum 71 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmacht. "Es werden zu wenige neue Stellen geschaffen", sagte Intelmann.

Dagegen weisen die Indikatoren aus dem Inland weiter eindeutig nach oben. So hat sich die Konsumlaune der Bundesbürger im August erneut verbessert. Dafür sorge vor allem das kräftige Wirtschaftswachstum, aber auch die schwindende Angst vor einem Jobverlust, teilte die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) gestern mit. Für September rechnen die GfK-Forscher mit dem Anstieg ihres Konsumklimaindexes auf 4,1 Punkte. In den Unternehmen kletterte die Stimmung im August auf ein Dreijahreshoch, wie der wichtigste Frühindikator der deutschen Wirtschaft, der Ifo-Index, zeigt. "Wir sehen einen Aufschwung auf breiter Front, nicht nur aufgrund der Exporte", so Intelmann. Er geht davon aus, dass das Wachstum im Inland bei mehr als drei Prozent im Gesamtjahr liegen dürfte. Mit Blick auf die wesentlich schwächere Konjunktur in Südeuropa könne man derzeit davon sprechen, in Deutschland wirtschaftlich gesehen auf einer "Insel der Seligen" zu leben.

Dass der DAX dennoch nicht von dieser Situation profitiert, sondern immer wieder durch Gewinnmitnahmen gedrückt wird, liegt nach Auffassung von Taubert auch daran, dass die Aktien der deutschen Standardwerte zu einem nicht geringen Anteil von US-Investoren gehalten werden. Doch ebenso spielen die bekannten Denkmuster der Anleger eine Rolle: "Die guten Daten aus Deutschland sind die alten Nachrichten, die Börse versucht aber, schon um die nächste Ecke zu blicken", sagte Rolf Drees, Kapitalmarktexperte bei der WGZ Bank, dem Abendblatt. Hinzu komme die starke Fokussierung auf den US-Markt: "Die Wall Street ist eben weiter die wichtigste Börse der Welt. Wenn ich raten müsste, wie sich der deutsche Aktienmarkt morgen entwickelt, und ich wüsste, wie der Dow Jones heute schließt, dann würde ich mit hoher Wahrscheinlichkeit in der Tendenz richtigliegen."

Uneinig sind sich die Analysten darüber, wie es an der Börse weitergeht. Während etwa die Landesbank Hessen-Thüringen den DAX im ersten Quartal 2011 bei 5400 Punkten sieht, hält die Haspa noch an ihrer Prognose eines Jahresendstands 2010 im Bereich von 6500 bis 7000 Punkten fest - vorausgesetzt, dass sich keine Rezession in den USA abzeichnet. Dies erwartet Intelmann auch nicht: "Ich glaube, dass der Markt etwas zu pessimistisch ist. Die US-Wirtschaft dürfte weiter wachsen." Allerdings nur mit einer Rate von einem bis zwei Prozent in den nächsten beiden Jahren, sagt Intelmann und ergänzt: "Das ist nicht viel für Amerika."