50 Lastwagen randvoll mit Eis rollen im Sommer täglich vom Hof in Heppenheim. Das Abendblatt blickt in die Produktion bei Unilever.

Heppenheim. Frank Heiser muss streng sein. Denn nur perfekt ist für den Qualitätsmanager gut genug. Jeden Tag um 9.30 Uhr prüft er, ob seine Kollegen und die unzähligen Maschinen perfekt gearbeitet haben. Ein Test mit allen fünf Sinnen. Heiser öffnet eine Packung Magnum Gold, die auf dem langen weißen Tisch liegt. Packt ein Eis aus, betrachtet es von oben bis unten. Guckt, ob der Stiel perfekt mittig im Eis steckt. Ob der Schokomantel gleichmäßig sitzt. Horcht, ob dieser beim Reinbeißen appetitlich knackt. Schnuppert, ob das Innere verführerisch nach Karamell duftet. Schleckt am Eis . Ist die Konsistenz optimal? Der Geschmack perfekt?

Bis zu 45 verschiedene Produkte probieren die Qualitätsmanager täglich - nämlich alles, was am Vortag im Eiswerk im hessischen Heppenheim, der weltgrößten Produktionsstätte für die Eismarken des Unilever-Konzerns, hergestellt wurde. Also Langnese-Sorten wie Magnum, Nogger, Flutschfinger, Calippo, Capri, Ed von Schleck, Mini Milk. Außerdem die Marken Cremissimo, Vienetta, Carte d'Or. Der Verkaufsschlager Magnum in all seinen Variationen liegt besonders oft vor Heiser auf dem Verkostungstisch. Pech für ihn, sein Lieblingseis ist Capri. Aber was im hessischen Heppenheim produziert wird, entscheidet allein der Konsument. "Wir sehen uns als überdimensionale Eisdiele", sagt Werksleiter Oliver Ackermann. "Wir arbeiten sehr flexibel und können unsere Produktionsmengen je nach Bedarf innerhalb von Stunden variieren." Und der Bedarf an Magnum ist groß: Allein in Deutschland gingen während der Hitzewelle in den ersten beiden Juliwochen elf Millionen Stück über die Ladentheken. Ein Rekord, der den Absatz im Jahrhundertsommer 2003 übertraf.

Für Nachschub sorgen 750 Angestellte rund um die Uhr. Sie tragen Schutzbrillen und Kopfhauben, weiße Kittel und Sicherheitsschuhe. Und Gehörschutz, denn der Lärm in den weitläufigen Produktionshallen ist ohrenbetäubend. Laufbänder rattern, übermannshohe Maschinen spucken dröhnend bis zu 450 Magnum pro Minute aus. Durch Stahlrohre läuft der cremige Vanillemix in die Maschine, wird in Eisform gepresst auf ein Laufband gelegt. Ein zwitscherndes Geräusch, schwupp, schon steckt ein Greifarm einen Stiel hinein. Eis für Eis, im Sekundentakt. Ein weiterer Arm kontrolliert die Position, bevor der Stiel bei minus 37 Grad in der Kühlkammer festfriert. Eine halbe Stunde später ist der Temperaturschock perfekt: Sieben Greifarme in einer Reihe tauchen die Magnum in spe kopfüber in ein Schokoladenbad. Aus Düsen bläst Kaltluft, damit die Hülle gleichmäßig anfriert, bevor der Greifarm das Eis auf eine goldene Folie legt. Ein Rattern, die Verpackung ist zugeklebt, das Eis jagt in Siebenerreihen aus der Maschine und landet direkt im Pappkarton.

Voll automatisch. Die Arbeiter haben, solange alles tadellos läuft, nur eine Kontrollfunktion an den Maschinen. "Wer in Europa produzieren will, muss effizient sein", erklärt Ackermann. Er ist seit 18 Jahren bei Unilever beschäftigt, die Begeisterung für Lebensmittel leuchtet trotzdem noch aus seinen braunen Augen. Lange war er Werksleiter bei Knorr, bevor er 2008 das Eiswerk in Heppenheim übernahm. Dass sein rot-weißes Hemd unter dem Kittel den Langnesefarben entspricht, ist wohl Zufall. Wie eine bewusste Auflockerung wirken hingegen die Farbtupfer auf dem Werksgelände: Zwischen den schäbigen Sechzigerjahre-Gebäuden aus gelbem Backstein leuchten rot lackierte Laternenmasten, rot-weiß blühende Beete, die Wegweiser sind wie Stieleis geformt.

Seit 50 Jahren wird hier Eis produziert, das Werk ist der größte Arbeitgeber in Heppenheim. Allein in diesem Jahr sind 50 Stellen dazugekommen, 15 weitere sind offen. Auf die Bewerber wartet ein Job, der Flexibilität (Urlaub wird fast ausschließlich in der zweiten Jahreshälfte genehmigt) und einen stabilen Magen erfordert (jeder darf sich an der Eistruhe bedienen). Eine Auslagerung in Billiglohnländer ist für Unilever mit seinen zehn Eiswerken in Europa, darunter Deutschland, England und die Niederlande, keine Option: "Wir brauchen gut ausgebildete Leute, um unsere Qualitätsstandards halten zu können", sagt Ackermann.

Denn nicht nur die Maschinen, auch der Eismarkt ist immer in Bewegung. Zwar ist Langnese längst Marktführer in Deutschland und den meisten anderen Ländern Europas. Das Gros des Marktes teilen sich Konsumgüterriesen wie Unilever und Nestlé mit Herstellern von Handelsmarken. Klassische Eisdielen standen 2009 nach Branchenschätzungen nur noch für 16 Prozent der gesamten Produktion von 630 Millionen Litern in Deutschland. Allein 175 Millionen Liter Eis verlassen jährlich das Unilever-Eiswerk in Heppenheim - das sind in Hochphasen täglich 50 Lastwagen. Das Eisgeschäft gehört damit zu den stark wachsenden Konzernsparten: Im ersten Halbjahr 2010 stiegen die Umsätze mit Eis und Getränken um fünf Prozent auf 4,4 Milliarden Euro.

Dieser Erfolg ist hart erarbeitet. "Das Geschäft lebt von Innovationen, der Konsument erwartet regelmäßig etwas Neues", sagt Langnese-Produktionschef Andre Kaess. "Das ist mit hohen Investitionen verbunden." Bis zu 30 Neuheiten denken sich die zentralen Unilever-Entwicklungsabteilungen gemeinsam mit den Angestellten in den Eis-Werken jährlich aus. Der größte Stolz dieser Saison ist Magnum Gold - das laut Unilever "erste goldene Eis der Welt". 75 Millionen Stück davon will Harry Brouwer, Deutschland-Chef von Unilever, in diesem Jahr weltweit absetzen. In 29 Märkten gibt es Magnum Gold bereits zu kaufen.

Für die Heppenheimer Angestellten bedeutet das noch mehr Sonderschichten. Zwei Maschinen spucken derzeit minütlich Hunderte Magnum Gold aus, auf zwei weiteren laufen die streng geheimen Tests für den kommenden Sommer - da will der Kunde schließlich wieder neu überrascht werden. Die Innovation dieses Jahres ist der Überzug mit der sogenannten Goldschmelze - ein Gemisch aus Schokolade und Karamell, genauere Angaben gibt es für Außenstehende nicht.

Ein Arbeiter kippt die Schmelze aus Eimern in einen Stahlkessel, den die Angestellten "das Ufo" nennen. Das Resultat läuft in eine Maschine, die speziell für Magnum Gold umgebaut wurde: Nach dem Schokoladenbad tauchen die Greifarme das Eis in das Goldbad, das für den karamellig-gelblichen Überzug sorgt. Durch den doppelten Tauchgang entstehen an der Spitze gern mal Luftblasen. Die Maschinenführer müssen darauf achten, dass es nicht zu viele werden - sonst fällt selbst das hochgelobte Magnum Gold bei Frank Heiser durch. Denn perfekt ist für den Qualitätsmanager gerade gut genug.