Der Bremer Ökonom Rudolf Hickel plädiert auf Abendblatt.de für mindestens drei Prozent mehr Gehalt für die Jahre 2010 und 2011.

Hamburg. Die Konjunktur in Deutschland zieht an, weil der Export boomt . Doch die Binnennachfrage bleibt schwach. Damit sich dies ändert, sollen die Unternehmen ihre Mitarbeiter höher bezahlen, argumentiert der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel.

Hamburger Abendblatt:

Die Stimmung bei den Deutschen bessert sich, die Wirtschaft kommt in Schwung. Geht die Krise zu Ende?

Rudolf Hickel:

Der schwere ökonomische Absturz ist überwunden, es gibt aber noch keinen selbsttragenden Aufschwung. Die schnelle Wende hat die Politik durch die Konjunkturpakete, die Mittel für Kurzarbeit, die Sicherung der Banken und den Wirtschaftsfonds erreicht. Der Aufschwung wird aber bisher allein vom Export getragen. Der private Konsum schrumpft unterdessen gegenüber dem Vorjahr erneut.

Welche Branchen entwickeln sich positiv und wo gibt es noch Probleme ?

Die Auto- und Elektroindustrie, der Maschinenbau sowie die chemische Industrie entwickeln sich prächtig. Entscheidend sind dabei die Nachfrage aus China, Südostasien und den USA. Dort werden jetzt aufgeschobene Aufträge nachgeholt und Lager aufgefüllt. Dagegen entwickelt sich die gesamte Binnenwirtschaft eher zögerlich. Das betrifft den Einzelhandel und auch Dienstleistungen, die im lokalen Umfeld der Firmen angeboten werden.

Wo lauern die konjunkturellen Risiken?

In den USA bahnt sich eine deutlichere Rezession an, China könnte langsamer wachsen, und die Frage ist, inwieweit dies durch den Boom in Indien ausgeglichen werden kann. Es besteht auch die Sorge, dass die Banken vor allem an kleinere und mittlere Unternehmen Kredite weiter eher zurückhaltend vergeben. Entscheidend ist, dass wir es noch nicht mit einem gefestigten, sich selbsttragenden Aufschwung zu tun haben. Deshalb muss die Entwicklung politisch stabilisiert werden. Das bedeutet, dass sich der Staat nicht auf den Abbau von Schulden konzentrieren darf. Dazu muss die Entwicklung aber erst stabiler sein und die Binnennachfrage steigen.

Sind daher höhere Löhne notwendig?

Genau. Schon um auszugleichen, dass die Gewinne jetzt den Löhnen und Gehältern davonlaufen. Denn die Tarifverträge wurden ja unter dem Eindruck der Krise geschlossen. Für die Metall- und Elektroindustrie beispielsweise stehen neue Verhandlungen erst 2012 an. Nun könnte man auf die Idee kommen, einen Nachschlag bei den Entgelten zu fordern. Das halte ich aber für falsch.

Was wäre der richtige Ansatz?

Zunächst sollten einfach alle in den Tarifverträgen vereinbarten Sonderzahlungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld wieder gezahlt werden. Denn zuletzt sind durch den Abbau solcher Leistungen die effektiven Löhne weniger gestiegen als die vereinbarten Erhöhungen anzeigten.

Was würde dieses Vorgehen bewirken?

Die Einkommen würden um etwa drei Prozent zulegen und damit die Binnennachfrage stärken. Voraussetzung dafür ist, dass nicht nur die knapp 68 Prozent der tarifgebundenen Firmen wieder mehr zahlen, sondern sich auch die anderen Unternehmen anschließen. Ein Plus um drei Prozent - ein Prozent als Inflationsausgleich und zwei Prozent für die Steigerung der Produktivität - ist dabei eine eher geringe Forderung. Unternehmen, denen es gut geht, sollten ihre Belegschaften zusätzlich profitieren lassen. Zum Beispiel durch Einmalzahlungen an die Mitarbeiter. Auch für 2011 ist zumindest ein Plus von drei Prozent bei den Entgelten notwendig.

Muss sich auch bei den Mindestlöhnen etwas tun?

Eine umfassende ausgelegte Einigung auf einen Mindestlohn über neun Euro pro Stunde in Westdeutschland würde ebenfalls die Konjunktur festigen. Denn die 6,2 Millionen Menschen, die derzeit weniger als 9,50 Euro verdienen, müssen ihre gesamten Einkünfte für ihren Lebensunterhalt ausgeben. Würde man bundesweit überall Tariflöhne zahlen, würde die Lohnsumme aller Arbeitnehmer um insgesamt fünf Prozent steigen.

Könnten die Unternehmen denn solche Zuschläge finanzieren, ohne im Wettbewerb zurückzufallen?

Die meisten ja. Denn durch die bundesweit im internationalen Vergleich hohe Produktivität wären die Lohnstückkosten immer noch günstiger als in den anderen EU-Staaten. Daher rechne ich auch nicht damit, dass durch höhere Löhne wieder Stellen in Gefahr geraten könnten. Im Gegenteil. Derzeit fließt ein großer Teil der Unternehmensgewinne nicht in Investitionen, sondern auf die internationalen Finanzmärkte. Ein Grund dafür ist die schwache Binnennachfrage, die gerade durch höhere Einkommen gefestigt werden würde.

Wenn die wirtschaftliche Entwicklung anhält und die Löhne steigen, welches Wachstum halten Sie für möglich?

Für 2010 um die zwei Prozent und für 2011 durch die wohl schwächere Weltkonjunktur nur ein bis 1,5 Prozent. Ein Wachstum von zwei Prozent lässt sich derzeit nur durch zwei Maßnahmen stabilisieren: Wenn der Staat mehr tut, als nur zu sparen, und wenn die Menschen mehr Geld zum Ausgeben haben.

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