150 000 Stück innerhalb eines Jahres verkauft. Auch in Hamburg erobern die Vehikel die Straßen. Kritik an geringer Reichweite

Hamburg. Mit diesem Rad wird sogar der Halt an der Ampel zum Erlebnis. Abgebremst, gewartet - endlich grün, starten. Ein Tritt in die Pedale, und das Rad beschleunigt, so kraftvoll, dass der Oberkörper zurückzuckt. Die Autos nebenan sind auch nicht schneller, überraschte Gesichter hinter den Scheiben. Das als Seniorenrad verschriene Elektrofahrrad beschert einen kleinen Geschwindigkeitsrausch.

Genauso rasant fährt das Elektrorad aus der Reha-Ecke heraus, ist längst nicht mehr nur Fortbewegungsmittel für Ältere oder Sportmuffel, die sich früher mit peinlich surrendem Motor die Berge hinaufbugsieren ließen. Heute fährt ein modernes sogenanntes E-Bike lautlos. "Die Älteren brauchen es, aber die jüngeren Menschen gönnen es sich", sagt Kay Hollstein. Der 48-Jährige hat sich gerade mit dem ersten reinen E-Fahrrad-Geschäft in der Hansestadt, dem eBikeStore, selbstständig gemacht. "Ich habe noch nie ein Produkt verkauft, das von Kunden so positiv aufgenommen wird", begeistert sich der Hamburger, der früher unter anderem im Handel mit China tätig war.

Fahrradmesse präsentiert eine ganze Halle mit Elektrorädern

Hollstein ist mit seinem Optimismus für die neue Art der Fortbewegung nicht alleine. "Elektromobilität hat großes Potenzial im Fahrradmarkt", ist auch Klaus Dittrich überzeugt. Der Messechef der Münchner Fahrradmesse Bike Expo, die am heutigen Donnerstag für vier Tage ihre Pforten öffnet, hat ebenfalls auf den Trend reagiert: Eine ganze Halle ist dort den Fahrrädern mit Elektromotoren vorbehalten. E-Bikes oder Pedelecs heißen die mit Naben- oder Tretlagermotor ausgestatteten Fahrräder, deren Akkus drei bis fünf Jahre halten. Sie sind binnen drei Stunden für weniger als zehn Cent an der Steckdose zu laden und haben eine Reichweite von 40 bis 60 Kilometern, rein bergauf noch 15 bis 20 Kilometer, sagt Neupert. Manche Räder laden den Akku beim Bremsen sogar wieder auf.

Mit in Deutschland im Vorjahr 150 000 verkauften E-Bikes sind die Fahrräder mit Anschubhilfe endgültig aus der Nische herausgefahren, für das laufende Jahr erwartet die Branche, die 200 000er-Marke zu knacken. Gerade ein Sechstel davon war es noch 2005 zu Zeiten des Reha-Images.

Und es sei keineswegs so, dass Elektrofahrräder nur die Faulheit stimulieren und den Gesundheitsgedanken schmälern, der mit normalem Radfahren verbunden ist, sagt Hannes Neupert. Sein Verband ExtraEnergy unterstützt Elektromobilität und sieht E-Bikes als deren Vorzeigeprodukt. "Die meisten, die umsteigen, sind danach fitter als vorher", beschwört der bisweilen als E-Bike-Papst titulierte Zweirad-Experte. Die Zeit sei gekommen, um sich zumindest auf zwei Rädern mit der neuen Umwelttechnologie vertraut zu machen.

Impulse erwarten Insider auch für den Radtourismus

Weil mit Elektrofahrrädern niemand mehr am Berg absteigen muss und sie den Aktionsradius von Hobbyfahrern vergrößern, dürften sie auch den Radtourismus stimulieren, der in Deutschland inklusive Übernachtungen, Anfahrt und Fahrrad gut neun Millionen Euro per annum umsetzt. 5,6 Millionen Bundesbürger sind jährlich auf dem 75 900 Kilometer langen Radwegenetz zwischen Kiel und Passau unterwegs, Tendenz steigend.

Hollstein und sein Kompagnon Frank Heitmeyer, der bisher schon einen Fahrradladen für konventionelle und E-Räder auf St. Pauli geführt hat, beobachten bereits eine Verschiebung bei den Kunden. Zwar seien die meisten Interessenten immer noch Senioren.

Berufspendler als wachsende Zielgruppe

Immer häufiger entschieden sich aber Pendler für E-Räder. "Einer unserer Kunden fährt täglich von Bergstedt nach Norderstedt und will für die 25 Kilometer künftig auf das Rad umsteigen", sagt Hollstein. Im besten Fall würden solche Leute ganz auf ihr Auto verzichten, findet der Unternehmer, der saubere Mobilität auch durch eine Kooperation seines eBikeStores mit einem Ökostromanbieter fördert.

Die Investition von 280 000 Euro in seinen 300 Quadratmeter großen Laden will Hollstein auch durch die Zusammenarbeit mit Hamburger Firmen wieder hereinspielen. "Wir sprechen Konzerne an, die ihren Mitarbeitern unsere Fahrräder zur Miete oder als Leasingfahrzeuge überlassen können", sagt der Vater von zwei Kindern. So könnten Unternehmen etwas für die Fitness ihrer Mitarbeiter und die Umwelt tun, zumal Hamburg sich ja im nächsten Jahr als "European Green Capital" profilieren wolle.

Im Angebot des eBikeStores sind Räder von acht verschiedenen Herstellern, meist aus europäischer Produktion. "Keine Baumarktartikel", sagt der 48-Jährige. Durchschnittlich geben die Kunden bei ihm 2500 Euro aus. Vor Billiggefährten warnt auch Branchenexperte Hannes Neupert. "Es ist ein Goldrausch derzeit. Da wird auch viel Schrott in den Markt geschwemmt", merkt er kritisch an und empfiehlt Käufern Testberichte zu lesen.

ADAC kritisiert vor allem die 750 Euro teuren Ersatzakkus

Zuletzt haben unter anderem der ADAC und die Stiftung Warentest neue Elektromodelle getestet. Der Automobilclub bemängelt, dass es für die Akkus häufig keine längerfristige Garantie gibt und Ersatzakkus mit bis zu 750 Euro sehr teuer sind. Die Stiftung Warentest sieht vor allem in der Reichweite den Knackpunkt und bedauert denjenigen, der mit leerer Batterie liegen bleibt. Denn Elektrofahrräder schleppen schnell fünf bis zehn Kilogramm Mehrgewicht mit sich herum, für die Batterie, aber auch für kraftvollere Bremsen und leistungsfähigere Schaltungen. Den Ballast bekommt der Fahrer beim Treten ohne elektrische Hilfe zu spüren. Und dann wird die rote Ampel plötzlich vom Freund zum Feind.