Modedesigner wird Berater der traditionsreichen Unterwäschemarke. Insolventes Unternehmen kommt an die Börse

Hamburg. Wolfgang Joop ist immer wieder für Überraschungen gut. Auf dem Laufsteg, als Zeichner, als Provokateur, überall. Der kreative Designer, für den Stillstand eine Qual ist, schwingt sich jetzt zu einem neuen Experiment auf. Der exaltierte Modeschöpfer will dem traditionsreichen Unterwäschehersteller Schiesser zu neuem Glanz verhelfen, eine klangvolle Marke vom Staub der Jahre befreien.

Der Gläubigerausschuss des insolventen Konzerns in Radolfzell am Bodensee wählte den 65 Jahre alten Kreativen gestern zu seinem neuen Hoffnungsträger. Wolfgang Joop soll Schiesser in Marketing, Design und visuellem Auftritt beraten, verkündete der Insolvenzverwalter Volker Grub. Zudem soll die 1875 gegründete Firma mit seinen 1900 Beschäftigten an die Börse gebracht werden, um den angehäuften Schuldenberg von 86 Millionen Euro abzutragen. Joop setzte sich gegen zwei weitere Investoren durch.

"Schiesser verfügt über eine großartige Belegschaft und starke Marke"

"Wolfgang Joop wird wesentlich dazu beitragen, die Marke Schiesser in ihrer Attraktivität zu stärken und zu profilieren", ist der Insolvenzverwalter überzeugt. Über Details der Zusammenarbeit wurde jedoch ein Mantel des Schweigens gelegt. Die Planungen seien noch nicht abgeschlossen. Nebulös blieb ebenfalls, ob sich Joop auch finanziell beteiligen will. Joop tat seine Begeisterung schriftlich kund: "Ich freue mich, meine Erfahrungen in der Modebranche und als Unternehmer bei Schiesser einzubringen. Schiesser verfügt über eine großartige Belegschaft und eine starke Marke - zwei entscheidende Faktoren, um weiter profitabel zu wachsen."

Dem Multitalent nimmt man durchaus ab, dass er das Ruder bei Schiesser erfolgreich herumreißen kann. Joop hat es mit viel Talent und Intelligenz zu einem der ganz Großen der Modebranche geschafft. Geboren in Potsdam, aufgewachsen in Braunschweig kam er nach eigenem Bekunden "wie die Jungfrau zum Kinde" ins Modegeschäft. Gemeinsam mit seiner damaligen Frau Karin, Mutter seiner zwei Töchter Jette und Florentine, gewann er einen Modewettbewerb. Seine Karriere startete er in Hamburg als Moderedakteur, danach kreierte er Kollektionen und brillierte schließlich mit Mode und Parfüms unter dem eigenen Label "Joop!". Nach Konflikten trennte sich Joop von seinen Anteilen und kehrte seinem Unternehmen im Jahr 2001 den Rücken. Doch die Auszeit dauerte nicht lange. Schon 2003 kam er mit einer exklusiven Abendgarderobe in die Modewelt zurück, gründete die neue Marke "Wunderkind", unter der er hochpreisige Kollektionen für Frauen und Männer vermarktet.

Dass Joop die Marke Schiesser reizt, die gemeinhin für altbackene Wäsche aus "Feinripp" bekannt ist, scheint nur auf den ersten Blick verwunderlich. Denn Schiesser steht auch für hohe Qualität und Bequemlichkeit. Eine Kombination, die Joop neben der traditionellen Glamourwelt mit Stöckelschuhen und tiefen Ausschnitten ausprobiert hat.

Stützstrümpfe und Gesundheitsschuhe kommen auf den Laufsteg

Als einer der ersten Modemacher der Haute Couture hat Joop für Wunderkind seine Mode mit gesundheitlichem Wohlbefinden gekoppelt. Joop, selbst mittlerweile mehrfacher Opa, schuf für seine diesjährige Frühjahrs- und Sommerkollektion eine eigene Linie für Kompressionsstrümpfe "Hurt and Heal" (Verletze und Heile) mit dem Unternehmen Medi und präsentierte sie auf dem Laufsteg. Dabei wurde klar: Stützstrümpfe müssen keine hässlichen, blickdichten Schläuche in Brauntönen für Damen in fortgeschrittenem Alter sein, sondern können erfrischend daherkommen, schick verziert mit Mustern und Strass. Ideal für Flugreisende und jene, die Krampfadern und Thrombosen verhindern wollen.

Zudem hat der Designer ein Sondermodell der MBT-Gesundheitsschuhe entwickelt - Schuhe, die über ihre abgerundete Sohlenkonstruktion Barfußlaufen simulieren und damit Rückenschmerzen lindern sollen. Das Signal ist klar: Joop kann Produkte, die bisher mit einem besonders verstaubten Image leben mussten, durch neues Design gesellschaftsfähig machen.

Warum also nicht auch Unterwäsche? Schiesser hat seine Kollektion seit der Insolvenz bereits durch ein neues Design aufgehübscht und plant für dieses Jahr sogar wieder einen leichten operativen Gewinn von 9,5 Millionen Euro bei einem Umsatz von 128 Millionen Euro. Tatsächlich liegen die Rippshirts bereits wieder in hippen Modeläden in Berlin und Hamburg in den Schaufenstern - und finden unter jüngeren, unkonventionellen Käufern schon stolze Träger.