Alle Reaktoren um Hamburg sind vom Netz. Vor allem Windkraft gleicht den Ausfall aus

Hamburg. Der Atomausstieg in Norddeutschland ist vollzogen, jedenfalls bis voraussichtlich Ende Mai. So lange bleibt das Atomkraftwerk Brokdorf an der Unterelbe vom Netz. Die Anlage war am 28. März heruntergefahren worden, um Defekte an sogenannten Niederhaltefedern der Brennelemente zu überprüfen. Nun zieht E.on die ursprünglich für August vorgesehene Routineüberprüfung für Brokdorf vor. "Für die Revision in Brokdorf planen wir derzeit mit einer Zeit von sechs Wochen, voraussichtlich bis zum 25. Mai", sagte Petra Uhlmann, Sprecherin des Betreibers E.on Kraftwerke in Hannover, gestern dem Abendblatt.

In der Metropolregion Hamburg sind damit derzeit alle Atomkraftwerke abgeschaltet. Die Anlagen Brunsbüttel und Krümmel waren 2007 nach Bränden in Transformatoren heruntergefahren worden. Wegen des Beschlusses zum Atomausstieg von 2011 werden sie nicht wieder in Betrieb gehen. Das Atomkraftwerk Stade war bereits 2003 aus Altersgründen vom Netz gegangen und wird bis zum Jahr 2015 abgerissen.

Die Stromversorgung in Norddeutschland ist nach Aussage des Netzbetreibers TenneT dennoch gesichert. Vor allem die Windkraft, aber auch konventionelle Kraftwerke, etwa Kohlekraftwerke, böten genügend Reservekapazität. "In Schleswig-Holstein wird vor allem durch den starken Ausbau der Windkraft eher zu viel als zu wenig Strom erzeugt", sagte TenneT-Sprecher Alexander Greß dem Abendblatt.

"Windstrom wie auch Strom aus Solaranlagen kann bislang allerdings nicht in großem Ausmaß gespeichert werden. Deshalb müssen wir im Zusammenspiel mit den Stromerzeugern erheblich stärker eingreifen als früher, um im Übertragungsnetz die nötige Frequenz von 50 Hertz zu gewährleisten." Bei starker Stromleistung aus Windturbinen würden Kohle- oder Gaskraftwerke, aber auch Atomreaktoren heruntergefahren, bei niedriger Leistung aus erneuerbaren Energien müssten diese Anlagen entsprechend mehr leisten. TenneT ist für die Stromübertragung in weiten Teilen Deutschlands zuständig, unter anderem auch in Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Das Hamburger Übertragungsnetz kontrolliert das Unternehmen 50Hertz, das vor denselben technologischen Herausforderungen steht wie die anderen Netzbetreiber in Deutschland auch.

Die Bundesnetzagentur in Bonn hält die Situation in Norddeutschland "für derzeit beherrschbar, aber durchaus angespannt", sagte Sprecherin Renate Hichert dem Abendblatt. Vordringlich müsse eine Entlastungsleitung für den Norden zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg vollendet werden. Deren Bauabschluss verzögere sich aber seit einiger Zeit.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace warnte gestern davor, dass der Abriss ausgedienter Atomkraftwerke in Deutschland deutlich teurer werden könne als von den Betreibern bislang kalkuliert. Den möglichen Kosten von 44 Milliarden Euro stünden derzeit nur rund 30 Milliarden Euro Rückstellungen bei den Energiekonzernen gegenüber. Den deutschen Steuerzahlern drohe ein "finanzielles Desaster", etwa dann, wenn sich ein Konzern von seiner Atomsparte trenne.