Rund um Hamburg ist kein Atomkraftwerk mehr am Netz. Die Lichter gehen dennoch nicht aus. Fragen und Antworten zum norddeutschen Strommarkt.

Hamburg. Der Atomausstieg für ganz Deutschland soll bis zum Jahr 2022 vollzogen sein. So hat es die Bundesregierung im vergangenen Jahr nach der Katastrophe im japanischen Atomkraftwerk Fukushima beschlossen. Norddeutschland hat den Atomausstieg bereits seit Ostern - jedenfalls vorläufig. Das l etzte noch aktive norddeutsche Atomkraftwerk Brokdorf an der Unterelbe ist zu einer Revision bis zum 25. Mai vom Netz. Wegen Problemen mit sogenannten Niederhaltefedern in den Brennelementen war es am 28. März heruntergefahren worden.

Der Netzbetreiber TenneT, der unter anderem für das Hochspannungsnetz in Schleswig-Holstein zuständig ist, sieht durch die Abschaltung die Versorgung nicht gefährdet. Doch seit dem Ausstiegsbeschluss 2011 kursiert bei vielen Bürgern, Politikern und Unternehmen die Angst vor Stromausfällen in Deutschland. Das Abendblatt beantwortet wichtige Fragen zur aktuellen Lage am norddeutschen Strommarkt.

+++ Studie: Atomausstieg kostet bis zu 44 Milliarden Euro +++

Wer schließt die Lücke, die durch die Abschaltung von Brokdorf entsteht?

Strom wird heutzutage zumeist nicht da verbraucht, wo er erzeugt wird. Die Stromversorger und die Netzbetreiber beschreiben das System gern als eine Art "Stromsee". Entscheidend ist, dass im gesamten System immer genügend Stromleistung verfügbar ist. Messbar ist das vor allem daran, ob die nötige Netzfrequenz von 50 Hertz gehalten wird. Deutschland verfügt über ausreichend Kraftwerksleistung. Allerdings ist der Strom aus erneuerbaren Energiequellen, vor allem aus Windkraftwerken, bislang praktisch nicht speicherbar. Und konventionelle Kraftwerke mit Kohle- oder Gasfeuerung sind nicht überall im Land gleichmäßig verteilt. Dem Netz kommt damit viel stärker als früher die Aufgabe zu, die Versorgung durch Stromtransporte auch über die Region hinaus zu sichern.

Wie bewältigen die Netzbetreiber den Ausfall großer Kraftwerke?

Das sogenannte Netzmanagement hat mit dem angestrebten Atomausstieg und dem Ausbau der erneuerbaren Energien stark an Bedeutung gewonnen. Netzbetreiber wie TenneT oder 50Hertz in Hamburg müssen in enger Abstimmung mit den Kraftwerksbetreibern die nötigen Stromlasten zur Verfügung stellen. "Noch vor wenigen Jahren waren im Zuständigkeitsgebiet von TenneT jährlich etwa 300 Eingriffe in die Netzspannung nötig, mittlerweile sind es gut 1000 Eingriffe im Jahr", sagt TenneT-Sprecher Alexander Greß. "Bundesweit sind die Hochspannungsnetze heutzutage viel mehr Teil eines überregionalen Transportsystems für den Strom als früher. Vor der Öffnung des Strommarkts und dem Umstieg auf erneuerbare Energien ging es für die Energieunternehmen vor allem darum, ihre Regionen sicher zu versorgen."

Wie gehen die Kraftwerksbetreiber mit der neuen Situation um?

Der Betrieb der Kraftwerke und der Stromnetze ist seit Jahren organisatorisch getrennt, zum Teil haben die deutschen Versorgungsunternehmen ihre Hochspannungsnetze verkauft, E.on etwa an den niederländischen Konzern TenneT. Für den Betrieb der Kraftwerke gab es früher drei Stufen: die Grundlast, zumeist in Atomkraftwerken und großen Braunkohlekraftwerken, die Mittellast, überwiegend gespeist aus Steinkohlekraftwerken, und die Spitzenlast aus Erdgaskraftwerken. "Die Dreifaltigkeit Grundlast, Mittellast, Spitzenlast für bestimmte Kraftwerke und Kraftwerkstypen gibt es nicht mehr", sagt Petra Uhlmann, Sprecherin von E.on Kraftwerke in Hannover. "Alle Kraftwerke werden heute zur Regelleistung eingesetzt, auch Kernkraftwerke. Der Einsatz unserer Kraftwerke zur Regelleistung hat in den vergangenen Jahren mit dem Umfang der erneuerbaren Energien enorm zugenommen."

Das Problem aus Sicht des Betreibers: Bei Kraftwerken im schwankenden Regelbetrieb ist die Wirtschaftlichkeit geringer als bei Anlagen mit konstanter Auslastung. Die technische Beanspruchung hingegen ist höher.

Wie sicher ist die Stromversorgung in Hamburg in dieser Zeit?

Sie ist sicher. Die Hansestadt ist aber abhängig von Stromimporten, auch künftig mit dem neuen Kohlekraftwerk Moorburg. Früher sicherten die Hamburgischen Electricitäts-Werke (HEW) die Stromversorgung in Hamburg, unter anderem mit Beteiligungen an den norddeutschen Atomkraftwerken. 2002 übernahm Vattenfall Europe in Berlin die HEW. "Der vom Senat eingeschlagene Weg der Energiewende wird den Anteil von dezentral im Stadtgebiet erzeugter Energie sukzessive erhöhen", heißt es in einer Senatsdrucksache vom Januar. "Das Grundprinzip, dass der überwiegende Teil von außen über das Transportnetz des Übertragungsnetzbetreibers herangeführt wird, wird aber bestehen bleiben."