Hoher Preis macht verstärkte Erschließung der Rohölreserven in Deutschland lukrativ. RWE Dea bereitet Erkundung im Wattenmeer vor.

Hamburg. Ein Drittel aller hierzulande verbrauchten Energie ist nach wie vor Öl. Nur wenig bewegt sich im Boden- und Luftverkehr ohne den kostbaren Rohstoff, und fast jede dritte Wohnung bliebe ohne Ölheizung kalt. Deutschland, das kaum eigene Vorkommen besitzt, ist allerdings hochgradig abhängig von Ölimporten. Die Benzinpreise erreichen mittlerweile die Rekordmarke von 1,70 Euro je Liter, vor allem wegen des ständig steigenden Rohölpreises an den Weltmärkten. Der Konflikt um das Atomprogramm des wichtigen Ölförderlandes Iran ist ein Grund dafür, aber auch der wachsende Energiebedarf großer Länder wie China oder Indien. In Deutschland will die Ölwirtschaft deshalb bereits erschlossene und noch unberührte Ölvorkommen verstärkt ausfördern.

Das bringt zwar nicht viel, da Deutschland nur 2,5 bis drei Prozent seines jährlichen Bedarfs von 100 Millionen Tonnen Rohöl selbst decken kann. Doch jeder Tropfen zählt in Zeiten, in denen der Höhepunkt der weltweiten konventionellen Ölförderung vermutlich bereits überschritten ist. Vor allem in Niedersachsen gibt es noch eine Reihe nicht ausgeschöpfter Ölfelder.

Die beste Spürnase hat derzeit offenbar das Hamburger Unternehmen RWE Dea , Teil des Essener RWE-Konzerns. RWE Dea fördert unter anderem auch das Öl aus dem größten deutschen Erdölfeld "Mittelplate". 1987 nahm die einzige deutsche Ölbohrinsel in der Nordsee vor Schleswig-Holsteins Westküste die Förderung auf. Seither konnten ohne Zwischenfälle 27 Millionen Tonnen des schwarzen Goldes gewonnen werden. Nun vermutet das Unternehmen weitere Reserven in der Region. Um die zu erkunden, will der Konzern eine schwimmende Pontonkonstruktion bauen, die sturmsicher auf den Wattboden abgesenkt werden soll, um dann mit vier Erkundungsbohrungen zu beginnen. Der Ponton soll von Schleppern in die Gebiete gezogen werden, unter denen sich das zusätzliche Öl befinden könnte. Die mobile Bohrinsel bietet Platz für 80 Mitarbeiter.

Immerhin locken an der deutschen Nordsseeküste zusätzliche 23 Millionen Kubikmeter Öl, umgerechnet 145 Millionen Barrel (je 159 Liter). "Die Anträge sind gestellt und werden gerade auf Vollständigkeit geprüft", sagte RWE-Dea-Sprecher Derek Mösche dem Abendblatt. "Wir wissen um das sensible Umfeld und sind uns der damit verbundenen Verantwortung bewusst. Aus diesem Grund führen wir einen offenen Dialog mit allen beteiligten Verbänden, Naturschutzorganisationen und den Bürgern der Region. Dabei erläutern wir kontinuierlich das Ziel und den Stand unserer Aktivitäten."

Wenn alles seinen geregelten Gang geht, könnte mit den Bohrungen Ende 2014 begonnen werden. Zwei Gebiete unter denen das Öl vermutet wird, liegen in der Nähe der "Mittelplate" und eines vor der niedersächsischen Küste in Bereichen, die vom Unesco-Weltnaturerbe ausgenommen sind.

Aus dem Wattenmeer kommt der größte Teil der deutschen Ölförderung

Nach einer Genehmigung würde der Ponton gebaut werden. Die Bohrungen fänden anschließend innerhalb von 15 bis 22 Monaten statt. Danach bräuchte man die Anlage nicht mehr. Die Förderung des Öls soll von der nahen Küste oder von der Förderinsel "Mittelplate" aus organisiert werden. "Im Wattenmeer wird keine weitere Förderinsel errichtet", heißt es bei RWE Dea. Das Unternehmen will weitere Umweltbelastungen vermeiden.

+++ Erdöl - Fragwürdiger Nutzen +++

Nicht nur die Sorge um hohe Ölpreise treibt die Branche an, sondern auch drohende Probleme durch den Atomausstieg in Deutschland. "Die Energiewende erfordert hohe Investitionen in alle Energieträger", sagte Gernot Kalkoffen, Vorsitzender des Wirtschaftsverbandes Erdöl- und Erdgasgewinnung (WEG) und Chef von ExxonMobil in Deutschland. Beim Öl zeigt dies bereits Folgen. So wurden im vergangenen Jahr in Deutschland 2,7 Millionen Tonnen Erdöl gefördert, sieben Prozent mehr als im Vorjahr.

Rund 54 Prozent der deutschen Gesamtförderung kommen aus Schleswig-Holstein - vor allem wegen der Exploration an der Nordsee, die RWE Dea auf "Mittelplate" betreibt. Mit einem Anteil von 39 Prozent folgt Niedersachsen vor Rheinland-Pfalz mit vier Prozent. Doch auch Hamburg trägt seinen Teil zur Förderung des kostbaren Rohstoffs bei, wenn auch nur einen geringen. In Reitbrook und Allermöhe ist das französische Unternehmen GDF Suez aktiv, das zuletzt rund 16 513 Tonnen im Jahr förderte, das waren 0,66 Prozent der Gesamtexploration in Deutschland.

Rund 36 Prozent des deutschen Ölbedarfs werden inzwischen durch Importe aus Russland gedeckt. Der Anteil nimmt seit Jahren zu und damit auch die Abhängigkeit des Landes vom großen Nachbarn im Osten. Großbritannien ist mit einem Anteil von 14 Prozent zweitwichtigster Öllieferant, Norwegen steht mit 9,5 Prozent Marktanteil an Platz drei. Die Lieferungen aus der britischen und norwegischen Nordsee nehmen jedoch kontinuierlich ab, weil die Reserven dort weiter sinken.

Woher das Öl kommt, dürfte Deutschlands Autofahrern letztlich egal sein. Wer 90 bis 100 Euro für eine Tankfüllung bezahlen muss, denkt nicht über die Herkunftsländer nach, höchstens darüber, wie er den Schwund in seiner Geldbörse vermeiden kann. Benzin bleibt für die deutschen Autofahrer voraussichtlich teuer. Denn der Anstieg der Rohölpreise fällt zusammen mit der Schwäche des Euro - Rohöl wird in Dollar bezahlt. War ein Euro Mitte 2007 noch knapp 1,60 Dollar wert, sind es jetzt nur noch rund 1,30 Dollar. Die Europäer müssen mehr Euro ausgeben, um Rohöl zu kaufen. Einen Hoffnungsschimmer gibt es laut Carsten Fritsch, Ölanalyst bei der Commerzbank: "Das obere Ende der Handelsspanne", sagte er dem Abendblatt, "ist jetzt mit rund 125 Dollar je Barrel Rohöl erreicht."