ING-DiBa-Chef Boekhout im Abendblatt-Interview über Tagesgeldzinsen, Finanzkrise und einen umstrittenen Werbespot.

Hamburg. Deutschlands größte Direktbank ING-DiBa mit rund 200.000 Kunden in Hamburg blickt auf ein erfolgreiches Geschäftsjahr 2011 zurück: Das Unternehmen hat das Volumen der Spareinlagen um sieben Prozent auf knapp 86 Milliarden Euro gesteigert, der Gewinn vor Steuern legte um ein Drittel auf 660 Millionen Euro zu. Das Abendblatt sprach mit Bankchef Roland Boekhout über Tagesgeldzinsen, die Finanzkrise und den Wirbel im Internet über einen TV-Werbespot mit Dirk Nowitzki.

Hamburger Abendblatt: Die ING-DiBa hat im Jahr 2011 die Kundenzahl um gut vier Prozent gesteigert. Sind Sie manchmal neidisch auf Ihren Vorgänger Ben Tellings, der die Bank bis vor eineinhalb Jahren leitete und häufig hohe zweistellige Zuwachsraten vermelden konnte?

Roland Boekhout: Zuwächse in dieser Größenordnung sind schon deshalb nicht mehr so wahrscheinlich, weil wir heute fast siebeneinhalb Millionen Kunden haben, davon rund 200.000 in Hamburg. Für ein Plus von zehn Prozent hätten wir netto 700.000 Neukunden gebraucht - und das ist für uns im aktuellen Zinsumfeld einfach nicht darstellbar. Wir haben im vergangenen Jahr aber auch etwas getan, was viele andere Banken nicht in Angriff nehmen: Wir haben unsere Kundendatei bereinigt und eindeutig inaktive Konten gelöscht.

Sie erwarten aber auch zunehmenden Druck durch neue Wettbewerber, vor allem aus dem Ausland. Welchen Hintergrund hat dies?

Boekhout: Das ist eine Konsequenz der Bankenkrise. Es ist für die Institute nicht mehr so einfach, sich am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Man hat daher gelernt, Einlagen von Privatkunden als hochwertige und vergleichsweise günstige Kapitalquelle zu schätzen. Und Deutschland ist für ausländische Banken attraktiv, weil es hier viele gut verdienende Menschen gibt, die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie nie - ganz im Gegensatz zu manchen anderen europäischen Ländern.

Auch die ING-DiBa hat nach dem Einstieg in den deutschen Markt mit aggressiven Zinsangeboten auf sich aufmerksam gemacht. Schlägt man Sie jetzt mit den eigenen Waffen?

Boekhout: Man versucht, uns zu kopieren. Aber wir gehören noch immer zu den am schnellsten wachsenden Banken in Deutschland.

Für Ihre Bestandskunden ist es ein Ärgernis, dass sie nach sechs Monaten einen niedrigeren Tagesgeldzins bekommen als die Neukunden. Ist das fair?

Boekhout: Fast alle Branchen machen ihren Neukunden Sonderangebote. Natürlich diskutieren wir darüber, ob es keine andere Lösung gibt. Aber tatsächlich haben wir keine Wahl - wenn man so viele Bestandskunden hat wie wir, kann man es sich nicht leisten, allen den höheren Zins zu geben. Und für Neukunden muss es einen hinreichend großen Anreiz geben, die Bank zu wechseln. Aber auch unser Zinssatz für Bestandskunden von 1,75 Prozent muss sich nicht verstecken.

Wird der Wettbewerb die Sparzinsen in diesem Jahr weiter hochtreiben?

Boekhout: Natürlich kann es sein, dass weitere Wettbewerber mit Kampfkonditionen in den Markt kommen werden. Aber das wäre wirklich ungesund. Denn die Sparzinsen sind schon höher, als sie in diesem Marktumfeld sein sollten. Das liegt auch daran, dass man in der Branche angenommen hatte, die Europäische Zentralbank (EZB) werde die Leitzinsen Ende 2011 um 0,25 Prozentpunkte hochsetzen. Dies hat man schon vorweggenommen - aber dann hat die EZB die Zinsen sogar gesenkt.

"Wir sind inzwischen die zweitgrößte Sparbank Deutschlands. In Hamburg haben wir 200.000 Kunden"

Der ING-Konzern, die niederländische Muttergesellschaft der ING-DiBa, hat unter der Bankenkrise seit 2008 schwer gelitten und musste Staatshilfen von zehn Milliarden Euro in Anspruch nehmen. Wären die Spareinlagen Ihrer Kunden in Deutschland noch sicher, wenn die ING in Schwierigkeiten geriete?

Boekhout: Die Kundengelder bei der ING-DiBa sind sicher, weil wir eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Frankfurt sind und der deutschen Einlagensicherung unterliegen.

Subventioniert der niederländische Staat indirekt Ihre Prämien für Neukunden, wie der Chef der Haspa der ING-DiBa vorgeworfen hat?

Boekhout: Eine Quersubventionierung kommt nicht infrage und ist auch gar nicht nötig, denn wir haben immer selbst Geld verdient.

+++ Nowitzki-Spot entzweit Facebook-Gemeinde +++

Machen Sie sich nicht bei den Vorständen anderer Banken äußerst unbeliebt, weil Sie denen stets vorwerfen, mit komplizierten, teuren Produkten die Kunden über den Tisch zu ziehen?

Boekhout: Etliche meiner Kollegen aus anderen Instituten wollen noch immer nicht einsehen, dass wir inzwischen die zweitgrößte Sparbank Deutschlands sind. Aber wir denken tatsächlich, dass die Vielfalt der Angebote die Kunden nur verwirrt. Wir haben in den vergangenen zehn Jahren die Zahl unserer Produkte auf zehn halbiert. Damit können wir die Organisation schlank halten und die Kunden zahlen nicht zu viel für einen großen Bankapparat.

Welchen Hintergrund hat es, dass die ING-DiBa kürzlich ihre Kundenkontaktnummer von einer kostenpflichtigen 0180-Vorwahl auf einen Anschluss im Frankfurter Ortsnetz umgestellt hat?

Boekhout: Wir haben die Nummer umgestellt, weil heute sehr viele Kunden eine Telefonflatrate haben und es für sie kostenlos ist, eine Ortsnetznummer anzurufen. Ich denke, auch andere Unternehmen werden das tun, aber wir sind eben schneller in der Umsetzung.

Im Januar löste ein Fernsehspot mit Ihrem Werbeträger, dem Basketballstar Dirk Nowitzki, eine Kommentarschlacht im Internet aus: Nowitzki isst in dem Spot eine Scheibe Wurst, was heftige Proteste von Vegetariern hervorrief. Hatten Sie diese Reaktion einkalkuliert, um Aufmerksamkeit zu erringen?

Boekhout: Ich würde gern sagen können, dass wir es geplant haben. Aber es ist nicht so, wir haben das überhaupt nicht vorhergesehen. Gefreut habe ich mich darüber, dass uns Kunden auf Facebook verteidigt haben.

Ist es nicht ein hohes Risiko, in der Werbung auf eine einzige Person zu setzen?

Boekhout: Das kostet mich keine Sekunde Schlaf. Dirk ist einfach ein toller Typ. Geld steht für ihn ganz bestimmt nicht an erster Stelle.

Was ist, wenn er seine Karriere beendet?

Boekhout: Auch wenn er nicht mehr als Profi Basketball spielt, wird er in der Öffentlichkeit weiter sehr sichtbar sein, schon durch sein starkes soziales Engagement.

Fühlen auch Sie sich getroffen durch die Kritik der "Occupy Wall Street"-Bewegung an den Banken?

Boekhout: Ich habe durchaus viel Sympathie für die Emotionen dahinter. Und ich frage mich, ob man in anderen Banken diese Kritik ernst genug nimmt.

Die ING-DiBa will künftig in Deutschland ihre Beziehungen zu Firmenkunden deutlich ausbauen. Widerspricht das nicht der bisherigen Strategie, weil dieses Geschäft eine sehr viel höhere Komplexität mit sich bringt?

Boekhout: Es ist komplexer, aber das Privatkundengeschäft wird davon nicht beeinflusst - das sind zwei getrennte Sparten. Wir wollen die Tatsache nutzen, dass der ING-Konzern bei den Firmenkunden der Marktführer in den Niederlanden und in Belgien ist und außerdem das dichteste Netz in Osteuropa hat. Da liegt es nahe, dass wir uns um deutsche Unternehmen, die in diesen Ländern tätig sind, auch in ihrem Heimatmarkt kümmern. Wir wollen uns auf große Firmen aus dem DAX und dem MDAX konzentrieren. Außerdem haben wir in den vergangenen Jahren gesehen, dass die Abhängigkeit vom Kapitalmarkt auf der Anlageseite ein hohes Risiko mit sich bringt - etliche Papiere haben rapide an Wert verloren. Wir können das Risiko vermindern, wenn wir Kredite an Unternehmen vergeben, denn sie sind vergleichsweise gut durch die Krise gekommen.