Stollwerck will sein Schokoladenwerk für Sarotti, Alpia und andere Marken ausbauen. Achteinhalb Tonnen Herzkirschen je Schicht.

Norderstedt. Stefan Thoms ist ein Lückenfüller. Im weißen Kittel, die Haare unter einer Hygienehaube versteckt, steht er am Fließband in der Produktionshalle von Stollwerck. Es riecht nach Schokolade und Kirschlikör. Alle paar Sekunden ist sein genauer Blick gefragt. Wenn eine neue Tranche mit Dutzenden ausgehöhlten Pralinen vor ihm angefahren kommt, wird Thoms zum Kirschenzähler. Er schaut, wo die Maschine eine Frucht vergessen hat, und füllt die Lücke mit einer Sauerkirsche. Das Runde muss ins Runde. Herzkirschen heißt das Produkt, bei dem Thoms' Handarbeit in der weitgehend automatisierten Fertigung gefragt ist. Es ist ein Verkaufsschlager. 230 Millionen Stück der alkoholhaltigen Praline produzieren die Mitarbeiter in Norderstedt jedes Jahr.

Bestätigt sich der jüngste Trend, dürften es bald mehr sein. Die Kunden wünschten zunehmend kleinstückige Formate wie Snackprodukte und Pralinen, sagt Stollwerck-Geschäftsführer Philipp Schoeller. Das ist gut für das Werk vor den Toren Hamburgs, in dem Schokolade für die Marken Sarotti und Alpia entsteht. "Norderstedt ist in Deutschland unser leistungsfähigstes Pralinenwerk", sagt Schoeller. Er will die Pralinenkompetenz dort ausbauen, die Effizienz steigern und neue Kreationen entwickeln. So kommen im Herbst beispielsweise Cocktailpralinen mit Geschmacksrichtungen wie Pina Colada und Caipirinha auf den Markt.

+++ Von Hustenbonbons zur Schokolade +++

Der Herstellungsprozess ist dabei ähnlich wie bei der Herzkirsche. Eine Maschine gießt gut 30 Grad warme Schokolade in eine Plastikform mit vielen Löchern. Die angehende Praline durchläuft im Anschluss eine 14 Grad kalte Kühlstrecke. Der Schokoladenrand wird als Erstes fest, die Plastikform um 180 Grad gedreht und die restliche Schokolade ausgekippt. Dann kommt der Inhalt der Praline hinein. Bei Alkohol erfolgt eine Vorverdeckelung, es wird wieder gekühlt, zum Abschluss kommt der Deckel obendrauf. 3,5 Stunden ist das Konfekt auf der mehrere Dutzend Meter langen Produktionsanlage in U-Form unterwegs. "In einer Acht-Stunden-Schicht stellen wir bis zu 8,5 Tonnen Herzkirschen her", sagt Werksleiter Ralf Schlusnus. Acht Maschinen umwickeln die Praline mit Plastikfolie, je Minute 2000 Stück.

Insgesamt werden im Norderstedter Werk pro Jahr rund 12 000 Tonnen Pralinen, Dragees und Tafeln Schokolade hergestellt. In erster Linie für die Märkte in Deutschland, den Niederlanden und Belgien, auf denen Stollwerck zwei Drittel seines Absatzes erzielt. Um sechs Prozent steigerte die Gruppe im vergangenen Jahr die Produktion. "In den ersten fünf Monaten des laufenden Geschäftsjahres haben wir unseren Absatz um neun Prozent gesteigert, der Umsatz legte im zweistelligen Prozentbereich zu", sagt Schoeller.

Unzufrieden ist er aber mit der Gewinnsituation. Die Preise für Kakao, Zucker, Milchprodukte und sogenannte Zuwürfe wie Nüsse und Himbeeren sind zuletzt kräftig gestiegen. So koste eine Tonne Haselnüsse nun 8000 statt 5000 Euro. Allein das schlägt sich in 18 Millionen Euro Mehrkosten pro Jahr nieder. "Die hohen Rohstoffkosten beuteln uns sehr. Es macht uns große Mühe, die nötigen Preissteigerungen beim Handel durchzusetzen", sagt Schoeller. Die Kunden würden die Preise für eine Tafel Schokolade kennen. Bei Erhöhungen droht der Griff zur Konkurrenz.

Mit vier Saugnäpfen greift an einer anderen Fertigungsstraße ein Roboterarm vier Pralinen. "Das Gerät erkennt über eine eingebaute Kamera die Form des Schokoladenstücks, vergleicht es mit der unter ihm liegenden Plastikpackung, dreht es und legt es in die dafür vorgesehene Lücke", sagt Werksleiter Schlusnus. Zehn Roboter füllen nacheinander die Geschenkpackung, die auf dem Fließband vorbeifährt. Dann kommt Christian Dose ins Spiel. "Der Roboter kann nur bis zu einer bestimmten Anzahl an Varianten in eine Pralinenmischung einsortieren", sagt Schlusnus. Deshalb platziert "Nachleger" Dose die letzte Praline per Hand.

Ab 1800 Euro brutto verdienen die Frauen und Männer am Band, gelernte Maschinenführer steigen bei 2500 Euro im Monat ein. Die Schichten dauern von 6 bis 22 Uhr. In der Hochsaison wird auch in der Nacht und am Wochenende gearbeitet. "November und Anfang Dezember sind unsere heiße Phase", sagt Schlusnus. Die letzten Aufträge fürs Weihnachtsgeschäft werden erledigt, die ersten für das Ostergeschäft kommen rein. Von August bis Februar unterstützen noch 110 Saisonarbeiter die Stammbelegschaft.

Denn in dem Zeitraum wird auch die Ware für die Discounter gefertigt. Den größeren Anteil des Stollwerck-Umsatzes macht nicht der Verkauf von Marken wie Sarotti und Alpia aus, sondern die Fertigung von Handelsmarken für Supermärkte. "Wir beliefern die 15 größten Einzelhandelskonzerne Europas", sagt Geschäftsführer Schoeller, dem man seine Vorliebe für das Produkt aus dem eigenen Haus nicht ansieht. "Ich esse täglich ein bis zwei Tafeln", sagt er. Im Werk muss sich aber auch er zügeln. "Naschen an der Produktionslinie ist verboten", sagt Schoeller: "An den Verkostungsstellen ist es jedoch ausdrücklich erlaubt und erwünscht." Somit erfüllen die Mitarbeiter neben der Produktion noch eine zweite Aufgabe: die Qualitätskontrolle.