Allein die Arbeitsagentur Hamburg zählt fast 13 Prozent mehr Lehrstellen als im Vorjahr. Der Kampf um die besten Jugendlichen hat begonnen.

Hamburg. Wer beim Hansebäcker Junge seine Brötchen kauft, bekommt immer auch eine Bitte mit in die Tüte gepackt. Auf einem Flyer sucht dasUnternehmen über seine Kunden neue Auszubildende. Unter dem Motto: "Bewirb Dich jetzt für 2012!" Und nicht nur dort. Auch auf, Facebook, Twitter, YouTube und auf einer eigenen Internetseite wirbt die Bäckerei-Kette mit Videos und Informationen über die Lehrzeit um junge Leute. "Wir suchen derzeitallein für unsere 52 Filialen in Hamburg 40 bis 50 Auszubildende", sagt der Verantwortliche für die Aus- und Weiterbildung bei Hansebäcker, Ralph-Botho Orschel, dem Abendblatt. Gesucht werden Azubis zu Bäckereifachverkäufern und Systemgastronomen. "Gern stellen wir auch Abiturienten ein, die wir nach einer verkürzten Ausbildung von zwei Jahren als Nachwuchsführungskräfte aufbauen wollen."

Die Suche nach guten Auszubildenden wird in Hamburg allerdings zu einem immer schwierigeren Unterfangen. "Früher bekamen wir Bewerbungen in rauen Mengen, heute reichen sie nicht mehr aus, um alle Plätze zu besetzen", so Orschel. Hinzu komme, dass die Qualität der Bewerbungen abnehme. Konkret heiße dies, dass heute auch Bewerber trotz mittelmäßiger Schulabschlüsse Chancen für einen Ausbildungsplatz erhalten - allerdings müssten in diesen Fällen ihre Persönlichkeit und Freude für den Job überzeugen.

+++ "Leer"-Stellen: 60.000 Ausbildungsplätze unbesetzt +++

Der Ausbildungschef der Bäckereikette steht mit seinem Problem nicht allein da. In ganz Hamburg nimmt der Wettbewerb der Unternehmen um gute Auszubildende zu. Ein Indiz für die intensivere Suche ist die Tatsache, dass die Unternehmen immer früher um Nachwuchskräfte werben und deutlich mehr Ausbildungsplätze anbieten.

Bei der Hamburger Agentur für Arbeit sind derzeit bereits rund 6500 freie Ausbildungsplätze in 280 verschiedenen Berufen gemeldet. Die Zahl der Angebote liegt damit um 12,8 Prozent über dem Vorjahreswert von 5800 Plätzen.

Die meisten freien Plätze bietet der Einzelhandel in Hamburg - allein 610 für die dreijährige Ausbildung zum/zur Kaufmann/-frau sowie weitere 300 Stellen für die zweijährige Ausbildung zum/zur Verkäufer/in (siehe Tabelle).

Aber auch in vielen anderen Branchen und Dienstleistungsbereichen locken Angebote. Im Vorjahr wurden insgesamt rund 12 600 Ausbildungsverträge über die Handels- und Handwerkskammer in Hamburg abgeschlossen. "Aufgrund des Fachkräftemangels und des demografischen Wandels wächst die Bereitschaft der Unternehmen, mehr Plätze für Auszubildende zu schaffen", sagt der Leiter der Hamburger Agentur für Arbeit, Sönke Fock. Zudem würden Ausbildungsverträge heute gern früher festgezurrt.

Neben dem höheren Ausbildungsplatzangebot hat sich in den ersten beiden Monaten auch die Zahl der Suchenden um 23 Prozent auf 4800 Jugendliche erhöht. Unterm Strich kann die Anzahl der Bewerber jedoch nicht mit den Angeboten Schritt halten. "Es herrschen derzeit goldene Zeiten für Azubis", sagt der Leiter der Ausbildungsberatung der Hamburger Handelskammer, Fin Mohaupt. Bei der Kammer seien derzeit schon 2600 offene Stellen auf der Internetplattform registriert.

Angesichts des Bevölkerungsrückgangs in Mecklenburg-Vorpommern stiegen dabei auch die Chancen für Hamburger Bewerber. Früher sei die Hälfte der Ausbildungsplätze in Hamburg mit Bewerbern aus dem Umland besetzt worden, doch das Interesse von dort lasse nach. Dennoch mahnt derArbeitsagenturchef Fock: "Wer bis zum Herbst einen Ausbildungsvertrag unterschreiben möchte, muss sich jetzt in die Bewerbungsoffensive begeben. Trotz Stellenüberhangs gilt es sich rechtzeitig zu positionieren, die Konkurrenz schläft nicht."

Die Suche nach guten Auszubildenden betrifft alle Branchen. Der Hamburger Einzelhandel gehört traditionell zu den größten Ausbildern der Stadt. Allein 2011 wurden rund 1500 Kaufleute und Verkäufer in der Branche ausgebildet - und damit gut acht Prozent mehr als im Vorjahr. "Die Zahl der Auszubildenden wird in diesem Jahr weiter zunehmen", sagt der Hauptgeschäftsführer des Einzelhandelsverbands Nord, Dierk Böckenholt. Bei der Handwerkskammer in Hamburg sind derzeit rund 440 offene Stellen für dieses Ausbildungsjahr gemeldet. "Dies sind schon halb so viele Plätze wie im gesamten Vorjahr", so die Sprecherin der Kammer, Ina Diepold. Es gebe eine hohe Bereitschaft auszubilden. Gleichzeitig biete das Handwerk gerade für junge Leute derzeit große Aufstiegschancen, wirbt Diepold: "In den nächsten zehn Jahren suchen 5000 von 15.000 Handwerksbetrieben in Hamburg einen Nachfolger. Für den Nachwuchs eröffnen sich hier gute Karrierechancen."

Die Chemieindustrie will in diesem Jahr in Norddeutschland erneut rund 1000 Ausbildungsplätze anbieten - davon knapp 200 Plätze bei den etwa 60 Unternehmen in der Hansestadt. Allerdings spürt auch der Arbeitgeberverband ChemieNord hier einen Wandel: "Selbst die großen Unternehmen unserer Branche in Hamburg können heute nicht mehr wie früher aus dem Vollen schöpfen", sagte ChemieNord-Sprecher Alexander Warstat dem Abendblatt. "Auch wir spüren den demografischen Wandel."

Ähnlich sieht es in der Metall- und Elektroindustrie im Norden aus. Wurden die beliebten Konzerne früher mit Blindbewerbungen nur so überschüttet, gingen die Zahl und die Qualität der Bewerbungen zurück, sagt der Sprecher des Arbeitgeberverbands Nordmetall, Peter Haas. Die Mehrzahl der Stellen konnte für dieses Jahr aber unverändert besetzt werden. Allerdings wünscht sich die Branche generell mehr Mädchen für ihre Ausbildungsplätze. Bisher werden nur rund 15 Prozent der Azubi-Stellen mit Frauen besetzt. "Eine deutlich höhere Quote wäre erforderlich, damit auch die Führungspositionen in den Unternehmen künftig mit mehr Frauen besetzt werden können", so Haas. Mehr Frauen seien zudem auch für die Betriebe gewinnbringend: "Die Mädels sind aus unserer Erfahrung meistens begabter und besser."

Der Metallbaumeister Nick Timmann in Hamburg-Bergedorf wäre unterdessen froh, wenn er überhaupt einen Bewerber, gern auch zwei, finden könnte. "Wir brauchen dringend Auszubildende, um das Wachstum unseres Betriebs abzusichern, da auch Fachkräfte nur noch schwer auf dem Arbeitsmarkt in Hamburg zu finden sind ", sagt Nicole Meybrink, die sich in der Schlosserei mit zehn Mitarbeitern auch um die Personalsuche kümmert.

Doch gerade für kleine Unternehmen in der Hansestadt sei die Lage auf dem Ausbildungsmarkt aus ihrer Erfahrung geradezu "katastrophal". Ende Januar habe ein Lehrling seine Ausbildung bei Timmann erfolgreich abgeschlossen, sagt Meybrink: "Wir hätten ihn sehr gerne fest angestellt, doch er hatte andere Pläne."