Hamburger Agenturen haben 2011 ihr Personal kräftig aufgestockt und neue Kunden gewonnen. Nun schauen sie auf die weltweite Konjunktur.

Hamburg. So mancher Werbetreibender schreibt sich angesichts der konjunkturellen Unwägbarkeiten wieder "Geiz ist geil" auf die Fahnen, und der Wandel zur digitalen Gesellschaft bringt für die Branche praktisch "Jede Woche eine neue Welt". Die Unsicherheit durch die Finanzkrise und die neuen Kommunikationswege im Internet stellen die Werbeagenturen vor neue Herausforderungen, lassen das Gros aber noch verhalten optimistisch in die Zukunft blicken.

Nach einer Umfrage des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft rechnet knapp ein Drittel mit einer besseren wirtschaftlichen Situation, mehr als die Hälfte der Unternehmen geht von stabilen Verhältnissen der Konjunktur aus. "Die Weltwirtschaft befindet sich aktuell zwischen Hoffen und Bangen, und je nachdem wie das Pendel ausschlägt, wird auch unsere Branche betroffen sein", sagte Frank-Michael Schmidt, Chef der Scholz & Friends Group, dem Abendblatt. Die Hamburger Agentur gehört seit einigen Monaten zu einem der weltweit größten Medien- und Kommunikationsunternehmen, der wpp aus London, hat 2011 mit dem internationalen Opel-Etat einen Millionenauftrag in die Hansestadt geholt und insofern ein besonderes Jahr hinter sich.

"Auch wenn schon klar ist, dass 2012 alle Marktteilnehmer auf Sicht fahren werden, sind unsere Auftraggeber vorsichtig optimistisch gestimmt", bestätigt Torben Hansen, Geschäftsführer von Philipp und Keuntje, die leichte Zuversicht der Branche.

Der Eindruck Hansens deckt sich mit den Ergebnissen einer aktuellen Umfrage der Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM). Danach beurteilen 77 Prozent der werbenden Unternehmen die wirtschaftlichen Aussichten für 2012 als zufriedenstellend. Zehn Prozent der befragten Mitglieder prognostizieren eine "gute" Entwicklung.

Für die Hamburger Wirtschaft ist die Werbekonjunktur von besonderer Bedeutung, da hier immerhin mehr als 7000 Firmen in der Branche arbeiten, aber auch Hunderte meist kleine Verlage, die mehr oder weniger von Anzeigen leben. Noch immer fließt der größte Teil der Werbeausgaben in Zeitungsanzeigen. Dazu kommen an Alster und Elbe mehr als 1000 Firmen in der Filmbranche und gut 80 Unternehmen im Rundfunk, die zumeist ebenfalls abhängig von werbetreibenden Betrieben sind.

Als Besonderheit des Standorts Hamburg in der deutschen Kommunikationswirtschaft gilt die Vielzahl besonders kreativer Werbeagenturen. Namen wie Jung von Matt, Kempertrautmann oder Scholz & Friends sind fürihre Schöpfungen wie "Geiz ist geil" oder "Heute ein König" (König-Pilsener) bundesweit bekannt.

Aufmerksamkeit weit über die Stadtgrenzen hinaus ist aber auch Kolle Rebbe sicher. Die Agentur mit Sitz in der Speicherstadt hat aktuell im renommierten Agenturranking des Jahrbuchs der Werbung (JdW) die Nase vorn. Mit Arbeiten für Ritter Sport, Google und Bionade ist die Kreativschmiede "Agentur des Jahres" geworden. Bei der Preisverleihung des Jahrbuchs der Werbung machte aber auch eine weitere Agentur aus der Hansestadt von sich reden: Kempertrautmann gewann für den Kunden Edding in der Kategorie Digitale Medien.

Ins neue Jahr gehen die Agenturen nach einem recht erfolgreichen Geschäftsjahr 2011. Bundesweit betrug das Umsatzplus der Branche vier Prozent. Insgesamt investierten die Unternehmen 2,8 Milliarden Euro in Werbung.

Die Lage der Hamburger Agenturen passt ins positive Bild von 2011. Bei Scholz & Friends brachte der Neuzugang des Opel-Etats, der aus Hamburg gesteuert wird, allein 70 neue Arbeitsplätze mit sich. Spezialisten mit 14 unterschiedlichen Nationalitäten arbeiten in dem Team, das die Werbung für die Marke mit dem Blitz in mehr als 30 Ländern steuert. "Wir schauen aber auch weiter nach guten Köpfen, europaweit", sagt Scholz & Friends-Chef Schmidt, der in der Holding bereits mehr als 1000 Mitarbeiter beschäftigt.

Philipp und Keuntje erzielte im vergangenen Jahr mit einem Umsatzplus von 21 Prozent auf 15 Millionen Euro das beste Ergebnis seit der Gründung. Die Agentur arbeitet für Kunden wie Audi, Telekom und Reemtsma (JPS), konnte in den vergangenen Monaten neue Etats von Fürst Bismarck, Loewe und Holsten gewinnen und beschäftigt 160 Mitarbeiter.

Auch kleinere Agenturen in der Hansestadt blicken auf ein erfreuliches Geschäftsjahr zurück. So steigerte die Designagentur Visid mit Kunden wie Beiersdorf, Henkel und Unilever ihren Umsatz um 40 Prozent. "Der Trend geht aus unserer Sicht ganz klar weg von den großen Networkagenturen hin zu den kleineren inhabergeführten Firmen. Ein spannender Wandel im Agenturgeschäft", sagte Burk J. Ulrich, Chef der Hamburger Designagentur Visid. Auch für diesen Wandel dient Kolle Rebbe als Beispiel: Der Mittelständler entwickelt neuerdings die Werbung für Lufthansa - die Hamburger konnten den Millionen-Etat dem Kreativkonzern McCann Erickson abluchsen.

Bianca König, Inhaberin der Agentur Neue Monarchie mit 26 Mitarbeitern, hat die gute Geschäftslage der vergangenen Monate für Veränderungen genutzt. "Mit der Gründung der Tochtergesellschaft Neue Anarchie in 2011 haben wir uns für die geänderten Anforderungen der Kunden aufgestellt", sagte Bianca König dem Abendblatt. In der neuen Firma entwickelten die Mitarbeiter crossmediale Kampagnen, Bewegtbilder für das Internet und realisierten Konzepte für Onlineshops.

Das Internet mit seinen Möglichkeiten, Werbespots zu zeigen, mit den Kunden in Kontakt zu treten und soziale Netzwerke für die Marke zu nutzen, verlangt der Branche einen starken Veränderungswillen ab. "Die Digitalisierung stellt nicht nur völlig neue Anforderungen an die Ausrichtung einer Agentur, sondern verlangt auch Flexibilität und Umdenken von den Mitarbeitern", sagt Jens-Uwe Steffens, Chef der Agenturgruppe pilot. Wer sich den Neuerungen nicht stelle, werde über kurz oder lang den Anschluss verlieren. Die Hamburger pilot mit 230 Mitarbeitern hat kürzlich eine Produktionstochter für WebTV gegründet, die vom ehemaligen Moderator Andreas Türck geleitet wird. Die Möglichkeiten dieses Internetfernsehens stellt pilot Kunden wie Otto oder Bacardi zur Verfügung.

Wie sehr das weltweite Netz in der Firmenkommunikation verankert ist, zeigt eine Umfrage, wonach die Hälfte der kleinen und mittelständischen Betriebe in Deutschland bereits Social-Media-Plattformen wie Twitter, Facebook und Co. nutzen. Mindestens eine Seite auf Facebook haben davon 89 Prozent, jedes fünfte Unternehmen nutzt dort sogar mehrere Präsenzen.

Die wachsende Bedeutung der digitalen Kommunikation hat in den vergangenen Monaten zu einer steigenden Nachfrage nach Internetspezialisten auf dem Arbeitsmarkt geführt. "Der Markt an Digital-Experten ist bereits wie leer gefegt", sagte Pilot-Chef Jens-Uwe Steffens. Auch Scholz & Friends-Chef Schmidt sieht die Gefahr, dass der Fachkräftemangel das Wachstum der Branche eindämmen könnte.

Nicht gerade förderlich ist bei der Suche nach Bewerbern zudem das nach wie vor negative Image des Berufs "Werber" in der Bevölkerung. So hat eine Umfrage unter Bundesbürgern mit einer Liste von 29 Berufsgruppen ergeben, dass Mitarbeiter in Werbeagenturen mit einem repräsentativen Ansehen von 14 Prozent schlecht abschneiden - sie liegen damit auf dem vorletzten Platz vor Versicherungsvertretern.