Die Harburger Werbeagentur Glim hat sich auf türkische und russische Zielgruppen spezialisiert. Das Ethno-Marketing ist ein Erfolg.

Hamburg. Den ersten Staub haben die türkischen Teetassen bereits angesetzt, und auch das kleine Backgammonspiel hat seine besten Zeiten wohl hinter sich. Die herumliegenden Gegenstände in dem kleinen Fotostudio mögen auf den ersten Blick mehr an die Einrichtung eines alten Antiquariats als an eine moderne Werbeagentur erinnern. Doch auf den zweiten Blick kann man erkennen, was man vor sich hat: die symbolischen Schätze deutsch-türkischer Identität. Sie sind das Kapital von Mesut Erturan.

Erturan hat sich mit seiner Werbeagentur Glim in Hamburg-Harburg auf Ethno-Marketing spezialisiert. Eine Werbe- und Verkaufsstrategie, die sich an die bislang kaum berücksichtigte Zielgruppe der in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund richtet. Ein kaufkräftiges Klientel, welches für den Werbemarkt von wachsender Bedeutung ist. Immerhin: In der Bundesrepublik leben knapp 15,7 Millionen Menschen mit ausländischem Hintergrund. "Wer diese Zielgruppe vernachlässigt, vergisst von vorneherein 20 Prozent der Bevölkerung", sagt Erturan. Mit einem Team von vier Mitarbeitern visiert seine Agentur besonders die türkische und russische Zielgruppe an. Zu den Kunden gehören große deutsche Elektronikfirmen sowie verschiedene Ministerien und auch die Zahnpastamarke Colgate. Für Colgate hat er eine arabische Version der Verpackung mitentworfen. Auch wenn das Ethno-Marketing noch am Anfang steht - Erturan plant zu expandieren.

Wie Ethno-Marketing in der Praxis funktioniert, veranschaulicht der Agenturchef, indem er eine monatlich erscheinende türkische Werbezeitung hervorzieht: "Hier sieht man das gesamte Spektrum möglicher Werbestrategien", sagt er und deutet auf eine Anzeige des Telefonanbieters MobilCom. "Das ist der erste, der zögerlichste Schritt: Eine deutsche Firma schaltet eine deutschsprachige Anzeige in einem türkischen Magazin." Der Effekt, so Erturan, sei lediglich ein erstes Aufhorchen. Die meisten Anzeigen deutscher Unternehmen sind hingegen in türkischer Übersetzung gedruckt. Wirklich effektiv ist Ethno-Marketing aber dann, sagt Erturan, wenn es sich der entsprechenden Text-Bild-Sprache einer Kultur annimmt.

Ein besonders gelungenes Beispiel: ein Werbeprospekt von Kik. Sogar die Models wählte der Discounter mit orientalischem Touch. Das Wichtigste ist Authentizität. Denn: "Ethno-Marketing ist besonders eins: eine Geste", sagt Erturan. Es soll der Zielgruppe zeigen, dass man auf sie aufmerksam geworden ist und auch ihre Bedürfnisse und ihre Wünsche kennt.

Ethno-Marketing in Deutschland entwickelte sich bereits in der 1990er-Jahren, erinnert sich Joachim Schulte, geschäftsführender Gesellschafter von Data 4U, einem Marktforschungsinstitut, das sich auf Migranten spezialisiert hat. Mit dem Start des türkischen Senders TRT Int im deutschen Kabelfernsehen ergab sich auch das Verständnis einer neuen Zielgruppe. Das erste Unternehmen, das die Türken als kaufkräftige Adressaten für ein zugeschnittenes Werbeformat erkannte, war Mercedes Benz. Der Autobauer warb in dem türkischen TV-Sender erfolgreich. Den wirklichen Durchbruch erlangte das Ethno-Marketing seitdem allerdings nicht. Für Schulte unverständlich: "Unternehmen, die den Blick auf diese Klientel verlieren, werden langfristig gegenüber der Konkurrenz ins Hintertreffen geraten."

Die Deutsche Bank hingegen hat das Potenzial erkannt. Mit ihrer Offensive "Bankamiz", übersetzt etwa "unsere Bank", versucht sie gezielt deutsch-türkische Kunden anzuwerben. In einer Filiale in Wilhelmsburg arbeiten knapp 80 Prozent türkische Mitarbeiter. Es gibt türkische Prospekte und Angebote wie kostenlose Überweisungen in die Türkei. "Bankamiz ist ein voller Erfolg", bestätigt eine Sprecherin der Deutschen Bank.

Erturans Kunden sind sowohl Unternehmen, die Migranten auf dem deutschen Markt ansprechen wollen, als auch deutsche Unternehmen, die Werbekampagnen auf dem ausländischen Markt planen. In beiden Fällen ist ein Vermittler gefragt. Denn, diese Erkenntnis ist die vielleicht wichtigste, Ethno-Marketing ist mehr als reine Übersetzung. Erturan kennt die kollektive Bildsprache seiner Zielgruppe. Das alte Grundig-Radio etwa, das als Statussymbol der ersten Einwanderergeneration gilt.

Für seine Agentur wählte Erturan einen gut vernetzten Standort im Herzen von Harburg. Ein deutsches Steakhaus mit seinem Ein-Meter-Kölsch konkurriert hier mit türkischen Kaffeehäusern, überfüllten Dönerbuden und Billig-Bäckerketten. Multikulti vor der Haustür. "Neue Produkte können wir so bei unserer Klientel direkt vor Ort testen.", sagt Erturan. Allerdings gibt es auch Herausforderungen. Eine Fotoagentur, die auf eine ethnische Gruppe ausgerichtet ist, kennt Erturan nicht.

Und weil Authentizität das Wichtigste sei, macht der Agenturchef seine Fotos lieber selbst, als auf blondierte türkische Models zurückzugreifen. Er schüttelt augenzwinkernd den Kopf.

Blondierte türkische Models. Das soll authentisch sein? Überzeugungsarbeit muss er auch deutschen Kritikern gegenüber leisten. Immer wieder sieht sich das Ethno-Marketing dem Vorwurf ausgesetzt, zur Desintegration zu führen. Tendenzen bestehender gesellschaftlicher Abkapselung würden durch solche Strategien verschärft werden. Doch das Gegenteil ist der Fall, sagt Erturan. Erst wenn deutsche Unternehmen das schaffen, was die Politik über Jahrzehnte versäumt hat, nämlich den Migranten zu zeigen: ihr seid uns willkommen, dann könne Integration funktionieren. "Wenn sich die Menschen in Deutschland angenommen und ernst genommen fühlen, dann steigt das Interesse an der Integration von allein." Ein Überzeugungstäter sei er also. "United Colors Of Germany", die Vereinigten Farben von Deutschland, heißt einer seiner Werbeslogans. Und tatsächlich wirkt die von ihm entwickelte Werbung zumindest viel bunter als die deutsche Version.