Die drei Samwer-Brüder drängen in das Geschäftsfeld des Otto-Konzerns. Die Hamburger reagieren mit modernisiertem Konzept.

Hamburg. Der Anfang der Geschichte spielt zwar nicht in einer Garage wie bei etlichen Traumstorys, die Unternehmensgründer mit verklärten Blicken aus den Kindertagen ihrer Firma erzählen. Diese Geschichte beginnt in einer Berliner Wohnung, einer kleinen Bude, in der sich 2008 fünf ehemalige Kommilitonen von der Universität Koblenz trafen, darunter Marc, Oliver und Alexander Samwer, deren legendärer Geschäftssinn sie schon in jungen Jahren zu Millionären gemacht hatte. Hier tüftelten sie das Konzept für Zalando aus, einen Schuhladen im Internet. Und hier verpackten sie anfangs auch selber Flipflops, Budapester oder Turnschuhe für die Kunden und brachten die Pakete zur Post.

Als Zalando vor vier Jahren an den Start ging, war der Onlinehändler nichts weiter als ein weitgehend unbekanntes Start-up in der Modebranche, eines unter Tausenden. Eine ganze Reihe witziger Werbespots mit kreischenden Fashion-Freundinnen ("Schrei vor Glück"), die ihr Leben für neue Schuhe geben würden, machten das Internetpflänzchen in kürzester Zeit groß und stark. Heute kennen Zalando bereits 85 Prozent der Deutschen. Und nicht nur das: Der Schuhhändler hat sich inzwischen zum Anbieter von Markenmode, Sportklamotten von Adidas oder Nike, Kosmetik und Wohnaccessoires weiterentwickelt. Die Berliner bauen ihr Sortiment von Tag zu Tag aus.

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Aus der einst belächelten Studentenbude mit Schuhtick ist in atemberaubendem Tempo ein ernst zu nehmender Konkurrent von Internetgrößen wie Otto, Amazon oder Ebay erwachsen. Auch etablierte Namen im stationären Handel wie Görtz oder Deichmann müssen eingestehen, dass Zalando mit seiner riesigen Auswahl von Lackpumps bis zum Retrosneaker für Millionen Kunden eine willkommene Alternative darstellt.

Beim weltgrößten Versandhändler Otto, der mehr als die Hälfte seiner Waren über das Internet verkauft, haben etliche Abteilungen die Entwicklungen bei Zalando im Blick. "Wir wissen, dass die Markteintrittsbarrieren für Internethändler niedrig sind", heißt es bei dem Hamburger Handelskonzern. Immerhin sind die Technologien für den E-Commerce heute als Standardpaket schon für jeden Ein-Mann-Betrieb erschwinglich, die Kunden- und Bestellinfos können kostengünstig in die Datenwolke, die Cloud, ausgelagert werden, und es stehen etliche professionelle Logistiker Schlange, um die Belieferung der Kunden zu übernehmen.

Zalando weiß, dass die Szene mit einer Mischung aus Bewunderung und Unbehagen auf jeden Schritt der Firma schaut und dass immer wieder Gerüchte über weitere Wachstumspläne die Runde machen. Selber schweigt sich der Internethändler zu seiner spektakulären Expansionsgeschichte jedoch weitgehend aus. Presseauskünfte gibt das Unternehmen ähnlich selten wie Aldi oder Ryanair, die Journalisten höchstens mal die Uhrzeit verraten. Ob Zalando Monat für Monat Millionen scheffelt oder noch am Tropf seiner reichen Gründer hängt, auch darüber kann die Internetgemeinde nur spekulieren.

+++ Jung von Matt will Internet intelligent für Werbung nutzen +++

Die Strategie des Schweigens bei Zalando passt zur Philosophie der Unternehmer, die hinter Zalando stehen. Die erfolgsverwöhnten Internetpioniere Marc, Oliver und Alexander Samwer haben Alando, die deutsche Version von Ebay, 1999 nur wenige Monate nach der Gründung für 50 Millionen Euro verkauft und starteten danach mit dem Klingeltonanbieter Jamba durch. Nach der Initialzündung in der Berliner Wohnung vor vier Jahren gesellte sich dann Zalando zu den Zöglingen ihrer Beteiligungsfirma Rocket Internet, ein Investor, der junge Online-Unternehmen finanziell und mit Managementkapazitäten fördert. Gemeinsam mit den Zalando-Gründern Robert Gentz und David Schneider verfeinerten die Samwer-Brüder das Konzept für ihren Internetshop immer weiter. "Die Geschwister zählen zu den aggressivsten Unternehmern in Deutschland, sie nehmen viel Geld in die Hand, um mit einer ungeheuren Geschwindigkeit Märkte zu erobern", sagt ein Internetinsider dem Abendblatt über die Legenden der New Economy. Oft kopieren sie Ideen aus den USA und bringen diese nach Europa. In Blogs berichten Mitarbeiter indes über einen fast unmenschlichen Druck, der von dem Erfolgstrio ausgeht. Bei dem Start-up-Geburtshelfer Rocket haben sich jüngst etliche Manager verabschiedet, die offenbar genug von den Methoden der gefürchteten Brüder hatten. Ihr neuer Arbeitgeber ist kurioserweise eine Otto-Tochter, die in Berlin ebenfalls Sprösslingen in der Internetlandschaft bei den Herausforderungen der ersten Lebensjahre hilft.

Schließlich bietet der Markt noch immer verlockende Wachstumsfantasien. In Europa, glauben die Analysten, werde das Onlinegeschäft bis 2015 jährlich um gut zehn Prozent zulegen. In Deutschland erreichen die Internetkäufe nach Berechnungen des Bundesverbands Versandhandel (BVH) rund 20 Milliarden Euro - ohne Downloads und Ticketverkäufe. Mit 61 Millionen Onlinekonsumenten gilt Deutschland als größter Markt Europas.

Zalando baut angesichts dieses Milliardenpotenzials nicht nur sein Sortiment aus, sondern rüstet sich auch in Verwaltung und Logistik für den wachsenden Ansturm der Kunden. Kürzlich bezog die Firma neue Büros auf 4000 Quadratmetern im In-Viertel Prenzlauer Berg, die steigende Zahl der Mitarbeiter drohte die alten Räume schon länger zu sprengen. Und nachdem auch die Lagerhallen in Großbeeren und Brieselang nicht mehr ausreichen, baut Zalando für rund 100 Millionen Euro ein neues Auslieferungszentrum in Erfurt. Im kommenden Jahr soll es eröffnet werden und bis zu 1000 Menschen Arbeit bieten. Immerhin gehören zum Geschäftsgebiet der Berliner inzwischen neben Deutschland auch die Niederlande, Frankreich, Italien, England, Österreich und die Schweiz. Ab 2013 will Zalando dann mehrere Millionen Pakete pro Jahr von Thüringen aus verschicken.

Zalando wächst beflügelt durch die langjährige Erfahrung der Samwer-Brüder im Internet, aber auch durch eine geschickte Marketingstrategie. So hat sich ProSiebenSat.1 verpflichtet, dem Onlineshop teure Werbezeiten kostenlos zur Verfügung zu stellen, im Gegenzug gibt es für den TV-Sender eine Umsatzbeteiligung. Einen spektakulären Coup landete Zalando auch mit der Aktion, vor Weihnachten am Gleisdreieck in Berlin Schuhschnäppchen an registrierte Onlinekunden zu verkaufen. 20 000 Neugierige folgten dem Aufruf und balgten sich um die Ware.

Aber auch Otto ruht sich nicht auf seiner über 60-jährigen Geschichte aus, sondern erfindet sich im Zeitalter der digitalen Gesellschaft immer wieder neu. "Es wird für die Distanzhändler ohne Frage zunehmend darauf ankommen, die unterschiedlichen Kommunikationswege in ihrer Vielfältigkeit zu nutzen und diese dann optimal miteinander zu verquicken", sagt Otto-Sprecherin Ulrike Abratis dem Abendblatt.

Es sei daher für die Hamburger eine Selbstverständlichkeit, das Unternehmen in den sozialen Netzwerken erlebbar zu machen. Besonders in der Erinnerung geblieben ist dabei ein "Kontrollverlust", den Otto bei einem Modelwettbewerb auf Facebook erlebte. Hier setzte sich bei den Usern nicht eine attraktive Dame durch, sondern ein Student, der Faschingsbilder von sich in Frauenkleidern eingesandt hatte. Aber inzwischen finden die Kunden nicht nur verkleidete Ulknudeln, sondern auch aktuelle Trends und Anregungen im Otto-Mode-Blog "Two for Fashion".

Der Konzern arbeitet zudem daran, seine Internetshops an die Stärken des stationären Einkaufserlebnisses anzulehnen: "Mode-Shopping im Internet muss emotionaler, physischer und sozialer werden", sagt Abratis. Beispiel dafür ist die neue App "Virtuelle Anprobe" auf Facebook. Via Webcam könnten die Kunden Kleidungsstücke interaktiv anprobieren, sich fotografieren und die Styles mit den Facebook-Freunden teilen - so kann die beste Freundin beratend zur Seite stehen.

Natürlich funktioniert das Anschauen, Befühlen und Anprobieren der Ware immer noch am besten im realen Geschäft. Wem nützt schon ein Schuh, der drückt, und Retouren sind für Versandhändler eine teure Angelegenheit. Internetexperten sehen daher ein Comeback der Offline-Welt als Parallele zum reinen E-Commerce. Michael Barth, Handelsexperte beim Branchenverband Bitkom, ist überzeugt, dass künftig auch Onlinehändler wieder zunehmend auf stationäre Shops setzen werden. Otto, auch Betreiber eigener Läden, Görtz oder Deichmann haben hier gegenüber ihrem Angstgegner Zalando die Nase vorn. Noch. Denn niemand weiß, was die Samwer-Brüder als Nächstes planen.