Das Konfitürenwerk Schwartau investiert 20 Millionen Euro. Produktionssteigerung um 50 Prozent und 150 neue Arbeitsplätze geplant.

Bad Schwartau. Qualitätskontrolle, der Garant für heimische Wertarbeit, Ausdruck deutscher Perfektion, ist bei den Schwartauer Werken eine ziemlich süße Sache: Wir sind im Labor der Marmeladenfabrik, umgeben von Probenbehältern, Pipetten und Teströhrchen, alles glänzt so rein und weiß wie im Krankenhaus. Experten aus der Forschungsabteilung mit weißen Kitteln und eine Handvoll Marketingprofis in dunklen Anzügen umringen eine Art OP-Tisch mit Dutzenden von Marmeladengläsern. Die Pfirsichmarmelade in den Gläsern leuchtet in Farbnuancen von Sonnengelb bis Orangerot. Jeder bekommt einen Plastiklöffel in die Hand, dann geht die Probierorgie los, die Gesichter verraten die Konzentration, die für das Herausschmecken feiner Unterschiede in Konsistenz und Süße nötig ist. Die Probierprofis kommen in Bad Schwartau regelmäßig zusammen, bei dem Testritual lassen sie sich die Aromanuancen jeder einzelnen produzierten Charge auf der Zunge zergehen.

+++Mit Zwetschgenmus fängt die Geschichte an+++

"Früchte sind ein Naturprodukt, sie verändern ihren Geschmack abhängig von Einflüssen wie der Sonneneinstrahlung und der Regenmenge", sagt Markus Lenke, der 42-jährige, recht jugendlich wirkende Chef der Schwartauer Werke. Die Geschmackstests sollen das gleichbleibende Aroma der Produkte sicherstellen. "Wir verwenden nicht nur frisch geerntete Früchte, sondern frieren das frische Obst auch ein, um für die Konfitüre eine Mischung aus verschiedenen Jahrgängen einkochen zu können", verrät Lenke das Rezept für die erfolgreichste deutsche Marmelade: Schwartau-Konfitüre ist mit 40 Prozent Umsatzanteil Marktführer - und gehört zu den zehn bekanntesten deutschen Marken.

Weit abgeschlagen liegt Zentis aus Aachen als Nummer zwei im Markt der süßen Brotaufstriche, auf den Plätzen folgen Anbieter wie Bonne Maman aus Frankreich und jede Menge günstige Handelsmarken. Die Holsteiner wollen sich auf ihrem Erfolg allerdings nicht ausruhen. Sie bauen den Vorsprung zu den Konkurrenten jetzt noch weiter aus, übrigens mithilfe ihres Eigentümers Arend Oetker aus einem anderen Zweig der Bielefelder Lebensmittel-Dynastie, der Schwartau im Jahr 1968 übernommen hatte. 20 Millionen Euro investiert das Unternehmen in eine neue Fabrik. Es ist die größte Einzelinvestition in der Geschichte der 1899 gegründeten Firma, die in der Anfangszeit um die Jahrhundertwende auch Kunsthonig und Marzipan anbot.

In Sichtweite der bestehenden drei Produktionsstätten, wo Schwartau auch 370 Millionen Corny-Müsliriegel im Jahr herstellt, feiert das moderne Werk in Kürze Richtfest. Hier steht es auch im Schatten des 50 Meter hohen Werbeturms, der sich 1,6-mal in der Minute dreht und die Autofahrer an der A 1 in Richtung Ostsee regelmäßig an die Marmelade erinnert, die hier eingekocht wird. Das schwarz-rote Logo zeigt übrigens die sieben Kirchtürme der benachbarten Lübecker Altstadt.

Die neue Produktionsstätte soll die Kapazitäten von derzeit 40 000 Tonnen Konfitüre noch einmal um 50 Prozent erhöhen. "Wenn wir die neue Fabrik voll auslasten, könnten hier zukünftig etwa 150 neue Arbeitsplätze entstehen", sagt Lenke, der bisher 780 Mitarbeiter in Bad Schwartau auf der Gehaltsliste hat. Die Erlöse von bisher insgesamt 330 Millionen Euro sollen im laufenden Jahr um fünf Prozent wachsen und noch weiter zulegen, wenn die Fabrik im September eröffnet.

Das Land Schleswig-Holstein unterstützt die Investition mit rund drei Millionen Euro im Rahmen der "Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" mit Mitteln der Europäischen Union.

Schließlich kommt die Förderung nicht nur dem Unternehmen, sondern auch den Bauern in der Region zugute. Die Landwirte haben mit den Schwartauer Werken einen wichtigen Abnehmer für ihre Früchte. "Die Bauern liefern das Obst zur Erntezeit direkt an uns, dann stehen hier Traktoren voll mit Erdbeeren vor dem Werkstor", sagt Lenke, der jeden Tag von Hamburg-Sasel aus in die Provinz pendelt. Die Kirschen und Erdbeeren wachsen auf den Bäumen und Feldern in Schleswig-Holstein, kommen aber auch aus Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Baden-Württemberg. Die Pflaumen bezieht der Hersteller unter anderem aus Thüringen und Baden-Württemberg.

Noch immer kochen private Haushalte Konfitüre in der heimischen Küche ein, immerhin rund 150 000 Tonnen im Jahr. Vor allem die Generation der Großmütter beherrscht noch die Kunst, aus Früchten und Gelierzucker Konfitüre herzustellen. Im Prinzip läuft der Produktionsprozess in Schwartau gleich ab, denn auch in der industriellen Fertigung von Konfitüre verbieten die Gesetze die Zugabe von Aromen, Farb- oder Konservierungsstoffen.

Trotz dieses Regelkorsetts müssen die Marmeladenforscher in den weißen Kitteln immer wieder neue Frühstücksideen austüfteln - schließlich können Unternehmen den Konkurrenzkampf und den Preisdruck im Lebensmittelhandel nur mit innovativen Produkten bestehen.

"Besonders stolz sind wir auf unsere Innovation Samt - die Marmelade ohne Kerne und ohne Fruchtstücke", sagt Lenke. Der cremige Brotaufstrich wird hergestellt, indem die Früchte durch ein Sieb passiert werden - dabei bleiben beispielsweise die kleinen Himbeerkernchen in den Poren hängen. Das Produkt, das besonders bei Kindern beliebt ist, erzielt Jahr für Jahr zweistellige Zuwachsraten.

Erfolgreich ist auch Frutissima, ein Fruchtaufstrich aus dem Kühlregal, der bei der Herstellung nur kurz erhitzt wird und ein besonders frisches Aroma behält. Auf den Landlusttrend reagiert Schwartau zudem mit einer Hofladen-Linie, bei der vergessene Sorten wie Sanddorn, Quitten oder Marillen in den Topf kommen.

Die Früchte, die ihr Dasein im Marmeladenglas beenden, sucht bei Schwartau übrigens ein ganz besonderer Mann aus: Ein Fruchtscout, der in ganz Europa herumreist und das Obst auf seine spezielle Eignung für die Konfitüre testet. Zuletzt hat er bittere Orangen in Spanien probiert, Pfirsiche in Italien und Aprikosen in Griechenland gekostet. Wenn das Obst für gut befunden ist, seine Reise nach Bad Schwartau und das Einkochen in den riesigen Kesseln hinter sich hat, steht natürlich noch die zweite Qualitätskontrolle an: durch die Frauen und Männer mit den Plastiklöffeln.