Berenberg-Chefvolkswirt Holger Schmieding erwartet für 2012 ein Mini-Wachstum - falls die Schuldenkrise gelöst wird

Hamburg. Holger Schmieding, Chefvolkswirt des Hamburger Bankhauses Berenberg, hat nach einer Auswertung der "Financial Times Deutschland" die treffsichersten Prognosen für die Deutsche Wirtschaft im Jahr 2011 abgegeben. Gleichauf lag Uwe Angenendt von der BHF-Bank. Das Abendblatt sprach mit Schmieding über die Perspektiven für 2012.

Hamburger Abendblatt:

Welche Prognose war schwieriger, die für 2011 oder die für 2012?

Holger Schmieding:

Die Prognose für 2011 war nicht so schwer, weil sich Ende 2010 klar abzeichnete, dass die deutsche Wirtschaft auf Touren gekommen war. Tatsächlich lief es dann sogar noch etwas besser als von mir, dem Optimisten, vorhergesagt. Ich hatte mit einem Plus von 2,8 Prozent gerechnet.

Und wie geht es 2012 weiter?

Schmieding:

Das ist letztlich keine Wirtschaftsprognose, sondern eine politische Prognose. Fast alles hängt davon ab, ob es gelingt, die Schuldenkrise in den Griff zu bekommen. Wenn das klappt, sollte Deutschland ein Wachstum von 0,2 Prozent erreichen. Das klingt nach sehr wenig, aber man muss bedenken, dass wir uns derzeit in einer Rezession befinden. Im zweiten Halbjahr müsste die Wirtschaft wieder deutlich zulegen, um auf dieses leichte Plus zu kommen. Scheitern die Politik und die Europäische Zentralbank (EZB) bei dem Versuch, die Euro-Krise einzudämmen, stehen wir vor einer scharfen Rezession.

Wie groß ist das Risiko, dass es so schlimm kommt?

Schmieding:

Ich sehe die Wahrscheinlichkeit dafür bei 25 Prozent. Aber die Politik bewegt sich in die richtige Richtung. Der Fiskalpakt, den die Euro-Länder beschlossen haben, ist hervorragend. Und Italien wie auch Spanien setzen jetzt echte Reformen um.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland in zwei Jahren noch der Währungsunion angehört?

Schmieding:

Etwas über 50 Prozent. Wenn wir so weitermachen wie bisher und von Athen jedes Vierteljahr verlangen, noch mehr zu sparen, wird es nur immer noch schlimmer. Das ist wie bei einem Kranken: Wenn man eine Diät übertreibt, stirbt der Patient. Nötig ist eine Kur, die das Land ertüchtigt. Zum Beispiel muss Athen sein Steuersystem radikal vereinfachen, um die Steuern auch eintreiben zu können. Dann kann Griechenland in zwei Jahren wieder auf eigenen Beinen stehen.

Wie entwickeln sich Aktien und Anleihen - und sehen Sie Inflationsgefahren?

Schmieding:

In den nächsten Monaten kann es am Aktienmarkt noch spürbare Rückschläge geben. Sobald sich aber zeigt, dass wir die Schuldenkrise unter Kontrolle bekommen - notfalls durch Eingriffe der EZB -, sehe ich für den DAX ein Aufwärtspotenzial von bis zu 15 Prozent, bezogen auf den aktuellen Stand. Unter der gleichen Voraussetzung können die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen gegen Jahresende wieder bis auf drei Prozent steigen. Inflation ist bei diesem Wirtschaftsumfeld auf absehbare Zeit kein Thema.