Schiffahrtskontor Altes Land steigt ins Offshore-Geschäft ein. Schwergutreederei SAL verlagert 2013 Firmenzentrale nach Hamburg

Hamburg. Den Standort Hamburg stärkt Lars Rolner täglich, spätestens am Abend, wenn er von der Arbeit nach Hause in seine Wohnung in der HafenCity fährt. Anfang 2013 soll auch das Unternehmen in Hamburgs jüngsten Stadtteil ziehen, das der Manager führt, die Schwergutreederei SAL, die bislang noch in Steinkirchen im Alten Land sitzt. Das allerdings geschieht nicht aus privater Bequemlichkeit des Chefs. "Wir brauchen mehr Platz für unsere jetzt bereits 100 Mitarbeiter, den wir hier finden können. Zugleich binden wir das Unternehmen enger an Hamburg an, einen sehr guten und professionellen Standort der maritimen Wirtschaft", sagt Rolner, 50, beim Blick aus seinem Wohnzimmer auf die Baustelle der Elbphilharmonie.

Der Manager hat aber noch einen anderen guten Grund, mit SAL nach Hamburg zu kommen. Zeitgleich mit dem Standortwechsel treibt Rolner auch den Einstieg der Reederei in das Montagegeschäft mit schweren Stahlbauteilen auf See voran. Sein Augenmerk gilt dabei derzeit vor allem der Offshore-Windkraftindustrie. In der deutschen Nordsee und Ostsee sollen in den kommenden Jahren neue Windparks mit Tausenden Windturbinen gebaut werden. Die Anlagen benötigen aufwendige Fundamente und Tragekonstruktionen am Meeresgrund. In anderen Teilen Europas und der Welt wird an Offshore-Windparks bereits intensiv gearbeitet. Auch den riesigen Bedarf der Öl- und Gasindustrie für Anlagen auf See hat Rolner im Blick: "Wir bauen uns mit dem Montagegeschäft ein zweites Standbein auf."

+++ Das Netzwerk für Windkraft wächst +++

+++ Ruder bringt Stabilität +++

Auf dem kurzen Dienstweg kann Rolner in Hamburg mittlerweile Vertreter fast aller wichtigen Unternehmen der Offshore-Windkraftbranche treffen. Turbinenhersteller wie Siemens, Repower Systems und Nordex steuern von der Hansestadt aus ihre weltweiten Windkraftgeschäfte. Auch Vestas, General Electric und der Repower-Mutterkonzern Suzlon sind mit Repräsentanzen oder Forschungseinrichtungen vertreten. Zudem sitzen in Hamburg Unternehmen wie Vattenfall Europe, die Offshore-Windparks entwickeln und bauen lassen. "Diese große Konzentration von Unternehmen und Fachkompetenz vor Ort hilft uns, Kontakte zu knüpfen und in das Geschäft hineinzukommen", sagt Rolner.

Hamburg hat sich in den vergangenen Jahren zum wichtigsten deutschen Standort für die Windkraftindustrie entwickelt. Mehr als 4000 Arbeitsplätze in der Stadt rechnet der Senat der Branche mittlerweile zu. Das Geschäft mit Windturbinen an Land macht den weitaus größten Teil dieses Wirtschaftszweiges aus. Der weitaus schwierigere Aufbau von Windparks auf See aber verspricht in den kommenden Jahren deutlich größere Wachstumsraten. Für die deutsche Nord- und Ostsee hat das zuständige Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) in Hamburg mittlerweile 28 Windparks mit mehr als 2000 Turbinen genehmigt. Weitere 84 Parks sind nach Angaben der Behörde beantragt. In diesem Jahr kann dem BSH zufolge mit dem Bau von fünf bis sechs Windparks begonnen werden. Nach einer eher zurückhaltenden Schätzung des Bundesverbandes Windenergie dürften bis zum Jahr 2020 im deutschen Seegebiet rund 7000 Megawatt rechnerischer Spitzenleistung installiert werden. Das wären 1200 große Windturbinen. Bislang stehen im deutschen Teil von Nord- und Ostsee nur eine Handvoll Offshore-Windkraftanlagen.

Die beiden führenden Hersteller der Offshore-Windkraftbranche sitzen in Hamburg. "Mit unserer neuen Windkraftzentrale in der Stadt sind wir bestens dafür gerüstet, unser weltweites On- und Offshore-Geschäft kräftig weiter auszubauen", sagte Felix Ferlemann, Chef der Siemens-Windkraftsparte, dem Abendblatt. Mit 700 installierten Anlagen in europäischen Gewässern sei der Konzern derzeit Weltmarktführer.

Optimismus herrscht auch beim Hamburger Unternehmen Repower Systems: "Deutschland ist einer der wichtigsten Offshore-Märkte weltweit und zudem Repowers Heimatmarkt", sagte Sprecherin Caroline Zimmermann. Die Repower-Offshore-Anlagen seien für den Einsatz in der deutschen Nord- und Ostsee optimiert. "Wir erwarten weiteres Wachstum und streben an, nachhaltig die Nummer zwei im Offshore-Markt zu bleiben." Der Windkraftpionier Nordex schließlich, der sich bislang auf das Geschäft mit Windturbinen an Land konzentriert hat, will von 2014 an mit einer neu entwickelten Anlage ebenfalls aufs Wasser gehen.

Offshore-Windparks sind ein kompliziertes und riskantes Geschäft. Vor allem in der deutschen Nordsee, weil hier bei schwerem Wetter Montagearbeiten in Wassertiefen von teils mehr als 40 Metern bewältigt werden müssen. Die Bundesregierung verfolgt das ehrgeizige Ziel, bis zum Jahr 2030 rund 25 000 Megawatt Nennleistung in deutschen Gewässern installieren zu lassen. Das aber kann nur funktionieren, wenn die beteiligten Investoren und Unternehmen sich von Rückschlägen nicht entmutigen lassen. Je mehr Kapital und Expertise in diesen neuen Wirtschaftszweig fließen, desto größer wird die Chance, dass der Aufbau riesiger Kraftwerkskapazitäten vor den Küsten gelingt. Die Schwergutreederei SAL liefert ein weiteres Beispiel dafür, wie um die Offshore-Windkraft herum ein neues Netzwerk von Unternehmen aus der maritimen Wirtschaft entsteht: Küstenhäfen wie Bremerhaven oder Cuxhaven richten sich als Basisstationen für Offshore-Windparks ein, ehemalige Werften wie die Nordseewerke in Emden produzieren nun riesige Stahlfundamente und Turmröhren für Windturbinen auf dem Meer. Und ein Schifffahrtsunternehmen wird zum Dienstleister für Montagen auf hoher See.

Im Dezember ließ Rolner die "Lone", das Flaggschiff von SAL, bei der Hamburger Norderwerft für Montagearbeiten nachrüsten. Das Schwergutschiff bekam für zehn Millionen Euro neue Steuerungstechnik, um bei Montagearbeiten auch in rauer See exakt an einem Platz positioniert zu bleiben (siehe nebenstehenden Text). Erst 2011 war die "Lone" von der Neuenfelder Sietas-Werft an SAL abgeliefert worden. Mit zwei bordeigenen Schwerlastkränen kann sie, ebenso wie ihr Schwesterschiff "Svenja", 2000 Tonnen heben. Das reicht aus, um etwa die 900 Tonnen schweren Tripod-Fundamente präzise am Meeresgrund abzusetzen, die bei den Nordseewerken in Emden für Offshore-Windparks geschweißt werden. "Zum Teil wurden solche Bodenfundamente in jüngerer Zeit mit viel größeren Spezialkränen abgesenkt, die 14 000 Tonnen heben können. Das ist wirtschaftlich eigentlich unsinnig. Aber es waren keine anderen Montageschiffe verfügbar", sagt Rolner.

Durch die Umrüstung der "Lone" könnte die Reederei, die zur japanischen K-Line-Gruppe gehört, doppelt profitieren. Der Schwergutmarkt, Kerngeschäft von SAL mit dessen 16 Schiffen, leidet unter Überkapazitäten. Die "Lone" kann nun an zwei Märkten flexibel agieren. "Derzeit ist das Schiff mit Hafenkränen unterwegs nach Fernost", sagt Rolner. Anschließend soll es Ausrüstung für die Öl- und Gasindustrie vom Golf von Mexiko ins Mittelmeer transportieren und dort bei der Verlegung mitarbeiten.

"Für die Offshore-Windkraftindustrie in der Nordsee ist vor allem die Zeit zwischen März und Oktober interessant. Dann ist das Wetter für Montagearbeiten auf See geeignet", sagt Rolner über mögliche künftige Einsätze der "Lone". Während reine Montageschiffe außerhalb der Sturmsaison in andere Regionen aufwendig verlegt werden müssen, so Rolners Konzept, kann sein Frachter flexibel wieder in den Streckendienst mit Ladung einscheren.

Sturm und Regen heulen durch die HafenCity und drücken gegen Rolners Wohnzimmerfenster. Kurz scheint die Sonne hinein, bevor die nächste Wolkenfront heranzieht. "Bauarbeiten auf der Nordsee", sagt der Manager beim Blick durch die Scheiben, "kann man bei solchem Wetter vergessen."