Deutschlands erster Offshore-Park geht an den Start. Die Anlage vor Borkum in der Nordsee ist Startschuss für viele neue Windparks.

Hamburg. Wie schön es doch ist, etwas zu erben, solange es nicht Schulden, Krieg oder Krankheiten sind. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) hat von seinen Vorgängern Jürgen Trittin (Grüne) und Sigmar Gabriel (SPD) den ersten deutschen Windpark auf hoher See "geerbt", das Feld "Alpha Ventus" 45 Kilometer nördlich der Insel Borkum in der Nordsee. Fast zehn Jahre sind seit dem Beginn des Projekts vergangen, und Röttgen, in Berlin seit wenig mehr als einem halben Jahr für das Umweltressort zuständig, durfte es gestern einweihen. "Das ist bisher der schönste Tag in meinem Amt", sagte er.

Heiterkeit ist angebracht, denn die offizielle Inbetriebnahme des Feldes markiert einen entscheidenden Zwischenschritt in der Energiestrategie der Bundesregierung. "Eine klimaneutrale Stromerzeugung bis zum Jahr 2050, also praktisch CO2-frei", formulierte Röttgen gestern auf der Versorgungsplattform von "Alpha Ventus" das Ziel. "Die Nutzung der Windenergie wird die zentrale Rolle im Energiemix der Zukunft spielen." Röttgen setzt damit die Politik der rot-grünen Bundesregierung, aber auch die der Großen Koalition fort. So viel Kontinuität über Legislaturperioden und Jahre hinweg gibt es nicht in vielen Politikfeldern.

Bei der Nutzung der Windkraft ist Deutschland Weltmeister, doch das Geschehen spielt sich hierzulande bislang vor allem auf dem Land ab. Mit Windparks im Meer hat die deutsche Stromwirtschaft bislang keine Erfahrung, anders als die Branche in Dänemark oder in Großbritannien. An Land wurden bisher rund 25 000 Megawatt Leistung aus Windturbinen errichtet, das entspricht zumindest rechnerisch der Kapazität von 25 Großkraftwerken. Ebenso viel soll bis zum Jahr 2030 in der deutschen Nord- und Ostsee installiert werden. Auf dem Meer weht der Wind erheblich öfter und stärker als an Land. Obendrein gibt es keinen Krach mit den Nachbarn der Windturbinen.

Seit den 1990er-Jahren fördern die verschiedenen Bundesregierungen die Windkraftbranche in Deutschland und die Nutzung von Windstrom gezielt. Besonderes Augenmerk liegt dabei seit Beginn der 2000er-Jahre auf der Erschließung von Nord- und Ostsee. So erhöhte seinerzeit noch die Große Koalition die Vergütung für die Einspeisung von Strom aus Offshore-Windparks in die Netze deutlich auf 15 Cent je Kilowattstunde, um den Investoren Sicherheit zu bieten - bei Strom aus Landanlagen sind es nur neun Cent Vergütung.

Für den Aufbau der Offshore-Windparks muss die Energiebranche allerdings auch besonders hohe Hürden überwinden. Um Widerstand von Anrainern an den Küsten zu vermeiden, wurden Genehmigungen nur für Großprojekte weit draußen auf dem Meer erteilt. Dort herrschen Wassertiefen von 30, 40 Metern und mehr. Raues Wetter und extreme technologische Herausforderungen müssen die beteiligten Unternehmen bei der Entwicklung und der Montage der Anlagen in diesem Umfeld bewältigen. Vor allem daraus erklären sich die teils jahrelangen Verzögerungen bei manchen Offshore-Projekten.

Auch "Alpha Ventus" geht später ans Netz als geplant. "Wir mussten Lehrgeld zahlen", sagte gestern Ralf Lamsbach, Geschäftsführer des Betreiberkonsortiums Doti, das von den Energiekonzernen E.on und Vattenfall sowie dem Regionalversorger EWE getragen wird. 250 Millionen Euro anstelle von 190 Millionen Euro kostete der Aufbau des Offshore-Windparks. Zwölf Maschinen mit jeweils rund fünf Megawatt Leistung arbeiten auf "Alpha Ventus", je sechs Anlagen der Hersteller Areva Multibrid und Repower. ",Alpha Ventus' war nie rentabel geplant, sondern als Testfeld für die beteiligten Unternehmen", sagt Lamsbach. "Doch die Kosten kommen auch wieder rein."

25 Windparks mit insgesamt 1650 Windturbinen hat das zuständige Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie in Hamburg bislang genehmigt, weit mehr Anträge liegen vor. In der deutschen Nordsee hat auch der Bau des Windparks "Bard 1" 100 Kilometer nördlich von Borkum begonnen, dort sollen insgesamt 80 Anlagen betrieben werden. In der Ostsee fällt der Startschuss kommende Woche mit der Grundsteinlegung für den Windpark "Baltic 1" vor der Halbinsel Darß. Er soll 21 Windturbinen umfassen.

Auch auf dem Meer jedoch müssen die Energieunternehmen ein Grundproblem der Windkraft lösen: Der Wind weht nicht 24 Stunden am Tag, er muss gespeichert werden, um Flauten zu überbrücken. Um den Wind in einigen Jahren zu einer verlässlichen Grundlage der europäischen Stromversorgung zu machen, planen die EU-Mitgliedstaaten an der Nordsee ein neues, gemeinsames Hochleistungsnetz am Meeresboden. Das Netz soll die Offshore-Windparks in den verschiedenen Hoheitsgebieten der Länder miteinander verbinden und sie zudem an norwegische Pumpspeicher-Wasserkraftweke anschließen. Das Ziel bezeichnen Ingenieure sperrig als "Grundlastfähigkeit": Strom aus Windkraftwerken 24 Stunden lang, und das an jedem Tag.