Billigkonkurrenz aus dem Ausland und Dumpingangebote bei Ausschreibungen lassen jetzt sogar viele Unternehmer umdenken.

Hamburg. Es dürfte nicht mehr lange dauern, dann wird auch für das Personal bei den boomenden Wach- und Sicherheitsfirmen ein Mindestlohn gelten. Zwischen 6,25 Euro (Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) und 8,46 Euro (Baden-Württemberg) soll er ab 1. Juli je nach Bundesland betragen. In Hamburg beträgt er derzeit 6,94 Euro. Bis 2013 soll es eine Lohnuntergrenze in allen Regionen von mindestens 7,50 Euro geben. "Vor allem für die Beschäftigten in den neuen Bundesländern bedeutet das eine Lohnerhöhung von bis zu 60 Prozent", heißt es von der Gewerkschaft Ver.di. Doch zunächst muss noch das Arbeitsministerium diesen Mindestlohn für allgemein verbindlich erklären.

Branchenmindestlöhne in Deutschland

Was das Wach- und Sicherheitsgewerbe noch erreichen will, haben die Dachdecker bereits geschafft: Das Bundesarbeitsministerium stellte die Allgemeinverbindlichkeit für den von Arbeitgebern und IG BAU ausgehandelten Mindestlohn von 10,60 Euro fest. Damit ist dieser Betrag für alle Firmen bindend, auch wenn sie nicht Mitglied im Arbeitgeberverband sind und bisher kein Tarifvertrag galt.

"Wir sind froh über diese Regelung", sagt Ulf-Peter Schröder, Obermeister der Dachdecker-Innung in Hamburg. Zwar zahlen in der Hansestadt 80 Prozent der Firmen den höheren Tariflohn von 15,23 Euro pro Stunde. "Aber gerade bei größeren Ausschreibungen kommt die härteste Konkurrenz aus Mecklenburg-Vorpommern, weil es dort keine Arbeit gibt", weiß Schröder. "Die Preise für Material sind durch den Großhandel für alle gleich. Der Lohn bleibt damit die einzige Stellschraube, um günstigere Angebote vorzulegen", so der Obermeister. "Deshalb ist es gut, wenn es eine Grenze nach unten gibt."

Die schwarz-gelbe Regierungskoalition lehnt zwar einen flächendeckenden Mindestlohn ab. Doch immer mehr Branchen haben ihn bereits eingeführt oder streben danach (siehe Tabelle). Der schleichende Einzug des Mindestlohnes hat einen einfachen Grund: Die für Deutschlands östliche EU-Nachbarn bisher geltende Beschränkung des Arbeitsmarktzuganges läuft Ende April 2011 aus. Dieses Datum fürchten besonders Branchen, in denen die Lohnkosten der wichtigste Wettbewerbsfaktor sind. Ausländische Firmen können dann mit den niedrigen Löhnen in ihren Ländern auch in Deutschland antreten und tarifgebundene deutsche Firmen ausstechen. So liegt der Mindestlohn in Polen zum Beispiel bei 1,76 Euro und in Tschechien bei 1,82 Euro. "Mindestlöhne auf Basis des Entsendegesetzes binden dagegen auch Arbeitgeber, die ihren Firmensitz nicht in Deutschland haben", sagt Reinhard Bispinck, Tarifexperte der Hans-Böckler-Stiftung.

Aus Furcht vor der neuen Konkurrenz könnten bald 3,5 Millionen Arbeitnehmer unter die Regelungen des Mindestlohnes fallen. Das wären 13 Prozent aller hierzulande sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. Noch sperrt sich die FDP gegen die Einbeziehung der Zeitarbeit und der Wachdienste, während CDU-Sozialexperten eher für eine Ausweitung branchenspezifischer Mindestlöhne eintreten. Zwar muss man berücksichtigen, dass nicht alle Beschäftigten der Branchen nur den Mindestlohn bekommen. "Aber in der Regel handelt es sich um personalintensive Firmen, in denen ein Großteil der Arbeitnehmer nur den Mindestlohn erhält", sagt Bispinck. Der Durchschnittswert für alle bereits ausgehandelten Mindestlöhne liegt bei 9,79 Euro und damit bereits deutlich über den vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) favorisierten Einheitsmindestlohn von 8,50 Euro.

Jetzt bemüht sich auch die Zeitarbeitsbranche um eine Aufnahme in das Entsendegesetz. Das ist die Voraussetzung dafür, dass von den Tarifparteien ausgehandelte Mindestlöhne vom Bundesarbeitsministerium für allgemein verbindlich erklärt werden können. Über die Aufnahme muss das Bundeskabinett entscheiden. "Wir rechnen damit, dass es spätestens bis April 2011 einen Mindestlohn in der Zeitarbeit geben wird", sagt Michael Wehran vom Bundesverband Zeitarbeit. "Damit soll Lohndumping auf Kosten der Allgemeinheit verhindert werden." Denn wer nur wenige Euro Stundenlohn bekommt, muss sein Einkommen mit staatlichen Leistungen aufstocken.

"Die Mindestlöhne stabilisieren das Einkommen und verhindern eine weitere Aufspreizung des unteren Lohngefüges", sagt Bispinck. Aus seiner Sicht ist das dringend notwendig. Seit 1995 ist der Anteil der Beschäftigten mit einem niedrigen Stundenlohn von 15 auf 23 Prozent gestiegen. "Diese Beschäftigten erhalten bis zu 9,62 Euro, das sind zwei Drittel des mittleren Lohnes", rechnet Bispinck vor.

Der Mindestlohn, den es inzwischen in 20 europäischen Ländern gibt, ist umstritten. "Die Entwicklung ist problematisch", sagt Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). "Denn viele kleine Firmen und auch die Arbeitslosen sitzen nicht mit am Verhandlungstisch, wenn diese Löhne ausgehandelt werden." Im Vergleich zu einem einheitlichen, gesetzlichen Mindestlohn, der für alle Branchen gilt, "sind die jetzt gefundenen Lösungen bestenfalls das kleinere Übel". Wirtschaftsforschungsinstitute wie das IW fürchten durch Mindestlöhne einen Abbau von Arbeitsplätzen.

"Knapp ein Drittel der Mitgliedsunternehmen hat auf die Einführung des Mindestlohnes mit der Streichung von Arbeitsplätzen reagiert", sagt Burkhard Landers, Präsident des Bundesverbandes Sekundärrohstoffe und Entsorgung. 2009 gingen in der Branche zwischen 8000 und 10 000 Stellen verloren. Ob Mindestlöhne aber automatisch zu Stellenstreichungen führen, ist umstritten. "Höhere Löhne ermöglichen den Beschäftigten mehr Konsum und beleben die Nachfrage", sagt Bispinck. Für die Firmen seien auch Effizienzgewinne möglich, ohne dass es zu einem Abbau von Arbeitsplätzen kommen müsse. Neben dem Stellenabbau besteht die Gefahr, dass Firmen die Mindestlöhne umgehen und sich die Beschäftigten nicht wehren. "Seit 2005 hat sich die Zahl der Branchen mit Mindestlohn verdoppelt, die Zahl der Kontrolleure dafür beim Zoll ist nahezu gleich geblieben", sagt der Vorsitzende der IG BAU, Klaus Wiesehügel. Mit Tricks lässt sich der Mindestlohn umgehen. So werden zum Beispiel nur die Arbeitszeiten auf der Baustelle aufgeschrieben, aber die Fahrzeiten vom Betrieb dorthin nicht.

Trotz aller Probleme strebt auch der Einzelhandel mit drei Millionen Beschäftigten einen Mindestlohn an. Denn Löhne von vier, fünf Euro sind derzeit in manchen kleinen Geschäften keine Seltenheit. Zwar müssen auch viele Beschäftigte in Friseur- und Blumenläden oder in Hotels und Gaststätten mit niedrigen Einkommen zurechtkommen. Ihre Chancen auf einen Mindestlohn sind aber gering. Denn nur wenn 50 Prozent der Firmen noch einem Tarifvertrag unterliegen, kann der Mindestlohn auf den Weg gebracht werden. Und Jörg Wiedemuth von Ver.di weiß: "Bei vielen Branchen wird diese Quote nicht erreicht, und die Arbeitgeber dort haben auch kein Interesse an einem Mindestlohn."