Ökonomen kritisieren Steuersenkungspläne der Regierung als unbezahlbar. Deutschland braucht spätestens 2011 strikten Sparkurs. Wachstumsimpulse kommen vom Export.

Hamburg. Die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute verbreiten in ihrem 91 Seiten starken Frühjahrsgutachten erstmals seit Langem wieder verhaltenen Optimismus. Die Hoffnung auf ein Ende der Krise rückt ihrer Meinung nach näher, die Konjunktur erholt sich, wenn auch nur leicht. Die deutsche Wirtschaft hat die Talsohle durchschritten, glaubt man der Analyse der Ökonomen. Gleichzeitig reden sie der Bundesregierung ins Gewissen, fordern "einen strikten Sparkurs, wie es ihn in der Bundesrepublik bislang noch nicht gegeben hat". Politische Versprechen wie die Steuersenkungspläne lehnen die Experten klar als "unbezahlbar" ab. Statt Steuergeschenken seien jetzt die Streichung von Subventionen und das Aus für Steuervergünstigungen angesagt - wie die Abschaffung der ermäßigten Steuersätze für die Kultur, den Personennahverkehr oder Hotels.

Besonders kritisierte der Konjunkturchef vom Kieler Institut für Weltwirtschaft, Joachim Scheide, dass die Regierung bisher noch nicht einmal aufgezeigt habe, wie sie die viel beschworene Haushaltskonsolidierung gestalten wolle. Deutschland müsse aber spätestens 2011 einen radikalen Sparkurs einschlagen. Man dürfe nicht riskieren, dass die Staatsschulden explodieren.

Die Eckdaten des Frühjahrsgutachtens im Überblick:

Wachstum

Die deutsche Wirtschaft wird in diesem Jahr voraussichtlich um 1,5 Prozent wachsen, 2011 um 1,4 Prozent. Die Unternehmen profitieren insbesondere von der weltweiten Erholung der Wirtschaft. Während in Schwellenländern in Asien bereits wieder hohe Wachstumsraten erzielt werden, bleibt der Anstieg in den Industrieländern jedoch noch moderat. "Ein kräftiger Aufschwung, wie man ihn nach einer tiefen Rezession eigentlich erwarten könnte, ist nicht in Sicht", so der Kieler Konjunkturexperte Scheide. Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) werde erst 2013 das Niveau des Jahres 2008 erreichen.

Arbeitslosigkeit

Der Arbeitsmarkt hat sich seit Beginn der Rezession als erstaunlich robust erwiesen. Die Arbeitslosigkeit liege aktuell nur um rund 250 000 höher als im Herbst 2008. Die Zahl der Erwerbstätigen sank in dem Zeitraum um 150 000 auf rund 40,26 Millionen Menschen. Das befürchtete Jobdesaster blieb insbesondere durch die Nutzung von Kurzarbeit sowie flexibler Tarifverträge aus. Und die Aussichten bleiben positiv: 2010 werde die Zahl der Arbeitslosen um 30 000 auf 3,38 Millionen sinken und 2011 weiter auf 3,31 Millionen zurückgehen. Damit läge die Arbeitslosenquote durchschnittlich bei 8,1 Prozent beziehungsweise 7,9 Prozent. Zum Vergleich: In ihrem Herbstgutachten hatten die Ökonomen für 2010 noch einen Anstieg auf gut vier Millionen Arbeitslose erwartet.

Verbraucherpreise

Die Verbraucher müssen nicht mit kräftigen Preissprüngen rechnen. Die Inflationsrate werde in diesem Jahr 0,9 Prozent betragen und 2011 auf 1,0 Prozent anziehen. Der moderate Anstieg werde insbesondere durch die steigenden Energiepreise ausgelöst sowie den gleichzeitig gesunkenen Euro-Wechselkurs. Ausufernde Inflationsraten, wie sie von manchen Experten zur Tilgung der gigantischen Staatsschulden erwartet werden, sehen die Ökonomen nicht. Allerdings könnten angesichts klammer Kassen einige Städte und Gemeinden die Gebühren anheben.

Export

Die deutschen Ausfuhren werden in diesem Jahr um 7,1 Prozent zulegen, 2011 um 6,3 Prozent. Die Wachstumsdynamik schwäche sich leicht ab, da in den Ländern einiger Handelspartner die Konjunkturprogramme auslaufen. Die deutsche Wirtschaft exportiert mehr als 40 Prozent seiner Waren in Euro-Länder - in den gesamten europäischen Raum gehen sogar 63 Prozent aller Ausfuhren. Viele europäische Nationen leiden jedoch angesichts ihrer hohen Arbeitslosigkeit weiter unter den Folgen der Finanzkrise. Spürbare Nachfrageimpulse kommen dagegen aus Schwellenländern in Asien und Lateinamerika sowie aus Osteuropa. Auch die Binnennachfrage werde durch die rückläufige Arbeitslosigkeit und entsprechend höherer Haushaltseinkommen steigen.

Öffentliche Haushalte

Die Lage der öffentlichen Haushalte wird sich in diesem Jahr weiter verschlechtern. Das Steueraufkommen wird 2010 aufgrund rückläufiger Unternehmensgewinne nochmals kräftig zurückgehen. Die Defizitquote dürfte 2010 auf 4,9 Prozent des BIP steigen. Leichte Entspannung ist erst für das nächste Jahr zu erwarten. 2011 dürften die Steuereinnahmen infolge der Belebung der Konjunktur steigen. Zudem werden dann Konjunkturprogramme auslaufen und erste Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung ergriffen. Das Defizit gehe dann auf 4,2 Prozent zurück. Allerdings schreibt der Stabilitäts- und Wachstumspakt der Europäischen Union ein maximales Defizit von 3,0 Prozent vor. Die öffentlichen Schulden werden 2011 auf 79 Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen, nach ihrem bisherigen Höchststand im Jahr 2009 mit 73 Prozent. Nach Angaben des Bundes der Steuerzahler betragen die Staatsschulden aktuell 1695 Milliarden Euro - das sind umgerechnet 20 739 Euro pro Kopf.

Risiken

Die Risiken für die Konjunktur schätzen die Ökonomen weiterhin als groß ein. Gefahren lauern insbesondere aus dem weltwirtschaftlichen Umfeld. Die Lage im Bankensektor gestalte sich nach wie vor schwierig. Insbesondere an den Finanzmärkten könnten immer wieder Probleme auftreten, insbesondere - wie im Fall von Griechenland - Zweifel an der Solvenz mancher Staaten. Die Forscher fordern deshalb die Europäische Kommission auf, künftig die Einhaltung der EU-Regeln zur Staatsverschuldung deutlich besser zu kontrollieren.