Der ehemalige Ministerpräsident Bayerns und seine Arbeitsgruppe fordern neue Regeln bei Fahrtenschreibern und der Bilanzpflicht.

Hamburg. Der ehemalige bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber steht heute an der Spitze der Hochrangigen Gruppe zum Bürokratieabbau in der Europäischen Union (EU). Deren Vorschläge sollen die Arbeit der Wirtschaft erleichtern, vor allem aber Milliarden von Euro sparen. Das Abendblatt sprach mit dem CSU-Ehrenvorsitzenden über seine konkreten Vorschläge und was sie bringen könnten.

Abendblatt: Herr Stoiber, was kostet die Firmen die Bürokratie in Europa?

Edmund Stoiber: 360 Milliarden Euro. Davon wird die Hälfte durch das Europa-Recht, die andere durch die Vorschriften in den 27 Mitgliedstaaten der EU verursacht. Betroffen sind 23 Millionen Firmen.

Ihre Gruppe arbeitet jetzt daran, die Summen zu reduzieren. Was ist möglich?

Wenn alle unsere 260 Vorschläge, die wir bisher für den EU-Bereich gemacht haben, umgesetzt werden, würden 41 Milliarden Euro gespart. Das entspricht schon fast den angepeilten 25 Prozent bis 2012. Die einzelnen Staaten sollen die Kosten aber um den gleichen Anteil senken. Damit kämen dann 90 Milliarden Euro zusammen: ein kostenloses Konjunkturprogramm, das für 1,5 Prozent Wachstum reichen würde.

Hört sich einfach an ...

... ist es aber schon deshalb nicht, weil die Vorschläge unserer Gruppe zunächst von der EU-Kommission angenommen und dann noch vom Parlament und dem Rat, dem alle 27 Nationen angehören, gebilligt werden müssen. Diese Entscheidungen in Brüssel dauern immer noch zu lange.

Wie weit sind Sie mit Ihren Vorschlägen gekommen?

Sehr weit sind wir mit der Neuregelung für Mehrwertsteuerabrechnungen für die Finanzämter. Bisher müssen sie von Firmen, die Steuern zurückerhalten wollen, als Papier vorgelegt werden. Künftig soll das elektronisch gehen. Die Finanzminister haben sich schon geeinigt, sodass es im Rat keine Schwierigkeiten mehr geben dürfte. Die Neuregelung könnte noch in diesem Jahr in Kraft treten und muss dann in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Bei 40 Milliarden Rechnungen, die pro Jahr europaweit verschickt werden, würde das allein 18 Milliarden Euro sparen.

Gibt es noch weitere Vorstöße, die Milliardeneinsparungen bringen?

Wir wollen kleine Unternehmen und Handwerker entlasten. Firmen mit weniger als zehn Beschäftigten und unter einer Million Euro Umsatz sollen von der Handelsbilanz nach den EU-Grundsätzen und der Rechnungslegung befreit werden. Das befürwortet jetzt auch das EU-Parlament. Das Einsparpotenzial hier liegt bei 6,3 Milliarden Euro. Auch diese Vereinfachung könnte noch 2010 ermöglicht werden.

Wie sollen die Handwerksfirmen profitieren?

Hier geht es etwa um den Tachograf, den jeder Lkw ab 3,5 Tonnen an Bord haben muss, um die Fahr- und Pausenzeiten der Fahrer zu kontrollieren. Derzeit gilt dies für alle Fahrten über 50 Kilometer und betrifft damit auch Handwerker, die vielleicht einmal alle paar Wochen von Hamburg zu Kunden nach Hannover fahren. Eigentlich ist die Regelung aber für Berufskraftfahrer vorgesehen. Die Bürokratie schießt also deutlich über ihr Ziel hinaus.

Was soll geschehen?

Mein Vorschlag ist, die Strecke auf 150 Kilometer zu verlängern. Dann fielen 80 Prozent aller Fahrten von Handwerkern nicht unter die Regelung, und die Betriebe könnten an die 4000 Euro pro Tachograf sparen. Bisher ist die EU-Kommission bereit, bis zu 100 Kilometer zuzulassen. Mir ist das noch zu wenig.

Wieso haben Sie sich nach Ihrer langjährigen politischen Karriere überhaupt auf einen solchen Job eingelassen?

Für EU-Präsident Barroso war der Abbau von Bürokratie ein wichtiges Thema. Als der nicht so voranging, suchte er einen unabhängigen Politiker mit Regierungserfahrung und internationalen Kontakten, den er mit der Aufgabe betrauen konnte. Da ist er auf mich gekommen. Ich will mit meiner Arbeit dazu beitragen, dass die Menschen die EU nicht so sehr mit Bürokratie, sondern mehr mit Freiheit und Wohlstand verbinden. Das tue ich aus Leidenschaft für mein Land und für Europa.

Wie sieht Ihre Arbeit mit der Gruppe aus?

Die 15 Mitglieder der Gruppen treffen sich unter meinem Vorsitz alle vier bis fünf Wochen zu Sitzungen in Brüssel. Dort wird dann zusammengetragen und diskutiert, was bei den einzelnen als Anregungen und Vorschlägen eingegangen ist. Problematisch ist dabei, dass bei allen Vorschlägen von unserer Seite immer wieder Diskussionen mit Fachpolitikern geführt werden müssen. Egal, ob es sich um Verbraucherschutz, Landwirtschaft, Fischerei oder auch Gesellschaftsrecht handelt: Stets wird uns dargelegt, dass gerade diese vorgeschlagene Erleichterung bei der Bürokratie nicht möglich ist.

Ende August läuft ihr Mandat aus. Werden Sie weitermachen?

EU-Präsident Barroso will, dass ich bis Ende 2012 verlängere, und ich bin im Grundsatz auch dazu bereit. Bisher haben wir in der Gruppe die wichtigsten Rechtsgrundlagen der EU auf zu viel Bürokratie geprüft. Den gesamten Rechtsbestand haben wir aber noch nicht eingesehen. Zudem soll ich künftig auch unter die Lupe nehmen, ob die Mitgliedstaaten mit dem Bürokratieabbau Ernst machen, sowie 2011 einen Bericht über die Umsetzung unserer Vorschläge vorlegen. Da kommt noch reichlich Arbeit auf uns zu.

Muss sich auch im Denken der Politiker etwas ändern?

Politiker machen Gesetze, um bessere Lösungen für die Zukunft zu finden. Sie stehen zwischen den Polen Sicherheit und Freiheit. Für die Menschen sollen die Risiken des Lebens ausgeschlossen oder abgemildert werden. Aber bei zu vielen Gesetzen verfangen sich die Bürger in einem Netz von Vorschriften. Daher kommt das Unbehagen über zu viel Bürokratie. Wenn man sie abbauen will, braucht man mehr Mut zur Lücke.