Auf der Daewoo-Werft in Südkorea wird trotz Krise kräftig gebaut. Die Kunden hoffen auf den Aufschwung. Eine Reportage von Olaf Preuß.

Über Nacht hat der Wind an Wucht gewonnen. Er drückt die Wellen aus dem Pazifik in die Bucht von Okpo auf der südkoreanischen Halbinsel Geoje hinein, er fegt über das weite Gelände der Daewoo-Werft hinweg in Richtung der Berge. Neun Beaufort zeigt der Windmesser auf der Brücke der "CPO Savona", das bedeutet in der Spitze der Böen Geschwindigkeiten von bis zu 88 Stundenkilometern und wird in Seefahrt und Meteorologie als Sturm bezeichnet.

"Ich rate davon ab, die Leinen loszumachen", sagt Kapitän Pjotr Sperkowski. Bei diesem Wind draußen auf dem Meer Passagiere auf einen Schlepper überzusetzen, das will er nicht riskieren, denn da draußen haben die Wellen jetzt eine Höhe von fünf bis sechs Metern. Zudem ist es keine Freude, in einem engen Werftbecken einen 366 Meter langen Frachter zu manövrieren. Dessen Bordwände sind so lang und hoch, dass man auf ihrer Fläche einen Häuserblock bauen könnte - sie sind ein riesiger Sturmfang, und das Schiff hat ohne Container wenig Ballast. "Ich schließe mich Ihrer Empfehlung an", sagt der Eigner des neuen Frachters, der Hamburger Reeder Claus-Peter Offen. So bleibt die "Savona" einen halben Tag länger auf der Werft. Dann wird sie zu ihrer ersten Beladung in den chinesischen Hafen Tianjin auslaufen.

Die "Savona" ist für Offen ein besonderes Schiff, sie ist der 100. Containerfrachter, den seine Reederei in ihrer 40-jährigen Geschichte in Fahrt setzt. Da trifft es sich gut, dass das neue, rund 170 Millionen Dollar teure Flaggschiff mit einer Kapazität von 14 069 Containereinheiten (TEU) derzeit auch noch den Weltrekord hält. Nie zuvor wurde ein Frachter mit mehr Stellplätzen für die Stahlboxen an den Markt gebracht. Das jedoch geschieht ausgerechnet in der schwersten Schifffahrtskrise seit Jahrzehnten.

Offen ist nach Südkorea gereist, um die "Savona" mit seiner Tochter Anna zu taufen. Gern hätte er das Schiff gemeinsam mit Geschäftsfreunden bei dessen Jungfernfahrt einige Meilen ins Meer hinaus begleitet. Doch das Wetter lässt das Aussteigen auf See und die Rückfahrt nach Okpo per Schlepper nicht zu. So nutzt Offen die Zeit, um in der Offiziersmesse mit Besatzungsmitgliedern und Managern der Daewoo-Werft zu Mittag zu essen und Kontakte zu pflegen. Gute Kontakte sind in dieser stürmischen Zeit wertvoller denn je.

Draußen auf der Werft liegen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Schifffahrt Bordwand an Bordwand: Schiffe, die vor Jahren bestellt wurden und die jetzt auf Fahrt gehen; Frachter, die von Reedereien nicht abgenommen werden, weil diese die letzten Raten nicht mehr bezahlen können. Und Schiffe, die den Wettbewerb in der Branche angesichts ihrer gewaltigen Größe weiter vorantreiben werden. So wie die "Savona".

Daewoo, der drittgrößte Schiffbaubetrieb der Welt, ist allem Augenschein nach gut ausgelastet, neben fertigen und fast kompletten Schiffen liegt ein halber Tanker an der Pier, der aus dem Baudock heraus musste, weil man den Platz anderweitig benötigt. Alle großen Reedereien lassen hier bauen, alle gängigen Typen von Handelsschiffen. Ein Schiff für Maersk wächst in einem der Docks und eines für Hamburg Süd, einige für die französische Reederei CMA CGM und rundherum insgesamt noch fünf Schwesterschiffe der "Savona". 18 dieser Riesen lässt Offen bei Daewoo bauen, neun gehen nach Ablieferung in das Eigentum der Reederei MSC über, neun verchartert Offen MSC für je 15 Jahre.

Nach dem Mittagessen steht er auf der Nock, dem offenen Ausleger der Brücke, und schaut über den Hafen. Kräne, Schiffe und gewaltige Bauteile, Stahl, wohin man schaut. Nach Krise sieht das nicht aus, und das ist das Problem: Bei Daewoo wie auf vielen anderen Werften läuft die Produktion noch immer auf Hochtouren, obwohl weltweit allein rund 500 Containerfrachter mangels Ladung an der Leine liegen. Der Umgang zwischen Reedern und Werften wie Daewoo gleicht hoher Diplomatie, in guten wie in schlechten Zeiten. Noch vor wenigen Jahren drängten sich die Schifffahrtsunternehmer um die knappen und begehrten Bauplätze für Großschiffe in Asien. Jetzt reisen viele der Reeder an, um Projekte verschieben zu lassen. Oder sie lassen ihre Neubauten auf der Werft liegen. Irgendwann verkauft Daewoo solche Schiffe dann an andere Reedereien. Mit der Anzahlung von 40 bis 50 Prozent, die längst geleistet wurde, und mit dem Verkaufspreis lässt sich die ursprünglich vereinbarte Summe auf Umwegen doch noch erzielen. Der Verlust bleibt vor allem bei der Reederei - und deren Anlegern und Banken.

Offen zieht sein Programm durch wie geplant. 2009 allerdings machte er eine Lücke in Milliardenhöhe aus, weil an den Finanzmärkten plötzlich die Liquidität fehlte. Seine Reederei sprach, wie auch die Konkurrenz von Peter Döhle, mit der staatlichen KfW-Bank über Kredite und Bürgschaften. Als das ruchbar wurde, stand in Deutschland rasch die ganze Branche am Pranger - und Offen als der weltweit führende Charterreeder in der ersten Reihe. Das nötige Zusatzkapital brachte er mit seiner Hausbank Commerzbank letztlich selbst auf. Doch die Weltwirtschaftskrise hat auch seine Kalkulationen erschüttert: "Der 15. September 2008, der Tag, an dem die Investmentbank Lehman Brothers zusammenbrach, war mein Geburtstag", sagt er auf der Brücke der "Savona". "Das war der teuerste Geburtstag meines Lebens." Allerdings, sagt er, schreibe seine Reederei auch in der Krise schwarze Zahlen.

Der Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise ist überwunden, glaubt Offen, die Transportpreise für die Container steigen, ebenso die Charterraten vor allem für die großen Frachter. Von der Bestellung eines Schiffes bis zur Ablieferung vergehen Jahre. Die vergangenen zwei Jahre waren für viele Reedereien eine Art Blindflug. Jetzt lichtet sich der Dunst. "Vor allem die großen Containerschiffe sind wieder voll", sagt Offen. "Und Riesenfrachter wie die ,Savona' werden die wirtschaftlichsten sein." Je größer der Frachter, desto billiger der Transport jedes Containers und seines Inhalts. Das bringt dem Welthandel neuen Schwung. Denn in der Schifffahrt herrscht das Gesetz der großen Zahl.