Seit mehr als 100 Jahren produziert die Familie von Have erfolgreich das süße Gemisch - und gewinnt damit erfolgreich immer mehr Kunden.

Hamburg. Die unzähligen zerborstenen Eierschalen hat Christoph von Have noch lebhaft vor Augen. Fast meterhoch türmten sie sich im Hof, wenn dort vor Ostern stundenlang die Angestellten seines Vaters saßen und Eier trennten. Das Eigelb trugen sie in den Keller, wo es zu Likör verarbeitet wurde. Das Eiweiß bekam der Bäcker gegenüber. Heute ist die Produktion weniger anschaulich: "Die Eizutaten werden im Literpack angeliefert", sagt Christoph von Have. Er leitet die Bergedorfer Weinkellerei und Spirituosenmanufaktur von Have in fünfter Generation.

Die Schalen im Hof mögen Geschichte sein. Seine Traditionen hält das 142 Jahre alte Familienunternehmen aber immer noch in Ehren. Dazu gehört neben dem Hamburger Rotspon, für den die Weinhandlung bekannt ist, auch der Eierlikör. Die Osteredition hat es in Bergedorf zu Kultstatus gebracht, auch das Alsterhaus und verschiedene Wein- und Feinkosthändler setzen darauf. So gingen im vergangenen Jahr 12 500 Flaschen über den Tresen, rund 3000 Kunden hatten ihr Exemplar bereits Wochen vor Ostern bestellt. Das cremig gelbe Getränk liegt wieder im Trend: Während der gesamte Likörmarkt im Krisenjahr 2009 stagnierte, konnte der Absatz von Eierlikör nach Zahlen der Marktforschung Nielsen um fünf Prozent zulegen. Der deutsche Marktführer Verpoorten aus Bonn exportiert mittlerweile in 30 Länder der Welt, sein Umsatz wird auf rund 50 Millionen Euro geschätzt, Tendenz steigend. Im Vergleich dazu wirken die 15 000 Flaschen, die von Have in diesem Jahr verkaufen will, wie eine Marginalie. Trotzdem sind die Bergedorfer stolz, als älteste Hamburger Spirituosenmanufaktur in Familienbesitz eine Rolle für die Region zu spielen. Auch die Zahlen sprechen für sich. "Mit dem Eierlikör verdoppeln wir vor Ostern unsere Umsätze", sagt Christoph von Have.

Im Keller der Weinhandlung beginnt traditionell genau vier Wochen vor den Feiertagen die Produktion. In den engen Gängen haben schon Generationen von Nachkömmlingen zwischen Weinkisten und Destillieranlagen gespielt. Hier hat der Firmengründer Johann Heinrich Christoph von Have um 1900 seinen Weingroßhandel zur Spirituosenmanufaktur erweitert und mit ersten Likörrezepten experimentiert. Im Zweiten Weltkrieg strömten die Nachbarn zu Dutzenden in die kühlen Kellerräume, um bei Fliegeralarm Schutz zu suchen.

Seitdem hat sich nur wenig verändert: Die hölzernen Fässer mit Weinbrand, Korn und Waldmeister-Wodka sind so alt wie die Firma selbst, die Decken niedrig und übersät von feuchten Flecken. Die Kerzenhalter an der Wand mussten vor Jahrzehnten unromantischen Leuchtröhren weichen. Neben einer Destilliermaschine für Schnaps steht der Emulgator, ein moderner doppelwandiger Stahlbehälter. Aus Ei, Alkohol, Zucker, Wasser und Hitze entstehen hier in den Wochen vor Ostern 200 Liter Eierlikör am Tag. Von Hand wird das Gemisch mit einem Schneebesen umgerührt, in Flaschen abgefüllt, mit Deckel und Etikett versehen und mit einer Seilwinde von 1913 in den Laden über dem Keller gehievt. Flasche für Flasche, Tag für Tag, bis am Ostersonnabend alles ausverkauft ist.

In den übrigen Wochen des Jahres ist der Keller das Reich von Horst von Have, Christophs Vater und ältester Kellermeister in Norddeutschland. Mit 72 Jahren stellt er immer noch leidenschaftlich gern Liköre her. Kümmel, Orange, Kaffee, Kräuter, Melone - die von Haves sind erfinderisch, wenn es darum geht, das Sortiment auszuweiten. Das war schon beim Großvater so, der bis zum Alter von 85 Jahren hinter der Ladentheke stand. Im Durchhaltevermögen sieht Horst von Have das Erfolgsrezept seiner Familie: "Wir sind alle verkappte Preußen, sparsam und fleißig. Wenn ich einen Porsche fahren oder Golf spielen würde, hätte mein Vater mich wohl von der Erbschaft ausgeschlossen."

Das ist in der Familiengeschichte bislang aber noch nie passiert. Die Liebe zu Wein und Likör liegt offenbar allen Nachkömmlingen im Blut. Aber nur auf der geschäftlichen Ebene, versichern die von Haves: "Es hat noch nie einen Alkoholiker in unserer Familie gegeben."