Alle Werke und 5500 Arbeitsplätze sollen erhalten bleiben. Familienfirma Merckle ist nach dem Tod des Patriarchen jetzt wieder schuldenfrei.

Hamburg. Es war sein Sieg. Die Erfüllung des Traums, aus einer geerbten winzigen Tablettenfabrik im süddeutschen Blaubeuren ein Firmenimperium mit Milliardenumsatz zu schaffen. 1973 legte der Rechtsanwalt Adolf Merckle, der lange in Hamburg tätig war, mit dem ersten deutschen Generikahersteller Ratiopharm den Grundstein dafür. Jetzt musste das Unternehmen von seinen Erben verkauft werden.

Lange Zeit lief alles gut. In den Jahren mit Wirtschaftswachstum wuchs die Merckle-Gruppe immer weiter. Doch dann kam die Niederlage. Der Patriarch Merckle geriet in den Strudel der Finanzmarktkrise und verspekulierte sich mit VW-Aktien. Bis zu einer Milliarde Euro soll er damit verloren haben. Adolf Merckle legte sich im Januar 2009 unter einen Zug und beging Selbstmord. Sein Imperium stand damals am Rand des Zusammenbruchs.

Merckles Vermächtnis Ratiopharm, das einstige Herzstück des Firmenkonglomerats der Familie, wurde gestern vom israelischen Pharmakonzern Teva übernommen. Teva setzt wie das Ulmer Unternehmen auf Generika, also auf Arzneien, die nach Ablauf des Patentschutzes von Medikamenten zu günstigeren Preisen nachgemacht werden.

Der Verkaufserlös in Höhe von 3,625 Milliarden Euro geht komplett an die Gläubigerbanken, um die Schulden der Merckles zu tilgen. Die Familie verwaltet nun nur noch die in der Familiengesellschaft VEM Vermögensverwaltung zusammengefassten Reste aus dem Wirken des einstigen Shootingstars der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Wenigstens die 5500 Mitarbeiter können jetzt wieder hoffen. Ratiopharm ist zweitgrößter Anbieter Deutschlands von kopierten Arzneien. Das Unternehmen ist mit einem Jahresumsatz von 1,6 Milliarden Euro kerngesund - abgesehen davon, dass es im Jahr 2005 Ermittlungen gab, weil Ratiopharm angeblich mit Zuwendungen Apotheken zur bevorzugten Abgabe seiner Arzneien animierte. Eine Anklage wurde aber nie erhoben.

In der Verkaufsphase war auch der US-Pharmariese Pfizer (Viagra) an der Übernahme des deutschen Herstellers interessiert, kam aber nicht zum Zug. Teva, schon vor der Übernahme der weltgrößte Generikahersteller, will sämtliche Produktionsstätten von Ratiopharm erhalten und von Deutschland aus seine Position in Europa weiter ausbauen. Ratiopharm soll sogar zur Deutschlandzentrale des israelischen Konzerns werden. Kein Mitarbeiter soll entlassen werden.

Die Trennung von dem Pillenhersteller ist der vorläufige Höhepunkt eines fast beispiellosen Abstiegs. Schon im Jahr 2009 reduzierte die Merckle-Gesellschaft VEM ihren Anteil am Heidelberger Baustoffkonzern Heidelbergcement im Rahmen einer Kapitalerhöhung von 80 auf 20 Prozent. Im Februar dieses Jahres wurde zudem der Schweizer Pharmahersteller Mepha an die US-Firma verkauft.

Zum Unternehmen gehören weiterhin der Pistenraupenhersteller Kässbohrer, der Motorenproduzent VM sowie der Pharmagroßhändler Phoenix, der auch in Hamburg ein Vertriebszentrum hat. Ob Phoenix auch noch verkauft wird, muss sich noch zeigen. Zwar ist die Merckle-Holding VEM nach dem Verkauf von Ratiopharm wieder entschuldet, aber ob mit dem Erlös auch die hohen Verbindlichkeiten der Medikamenten-Handelstochter getilgt werden können, ist nicht bekannt.

Der Aufstieg und Niedergang der Familie Merckle ist auch ein Beispiel für die problematische Lage, in die sich Familienunternehmen manövrieren können, wenn der Patriarch die Geschäfte übergeben will - seinen Kindern die Nachfolge aber nicht ganz zutraut. Adolf Merckle, Vater von drei Söhnen und einer Tochter, übergab 1997 die Firmenleitung an seinen ältesten Sohn Ludwig. Der war schnell wieder raus. Nur zwei Jahre später warb Sohn Philipp Daniel an der Spitze der damaligen Merckle GmbH mit dem Ratiopharm-Slogan "Gute Preise, gute Besserung". Schon kurz danach musste auch er das Imperium wieder verlassen, da offenbar das Managementverständnis von Vater und Sohn nicht miteinander vereinbar waren. Zuvor hatten zahlreiche Führungskräfte das Unternehmen verlassen.

Diese innerfamiliären Querelen waren nicht allein der Grund für das Scheitern der Unternehmerfamilie. Vielmehr scheint es, dass Adolf Merckle sein Lebensmotto "Geld ist immer genug da", zuletzt sehr großzügig interpretierte. In den Wochen vor seinem Freitod wurde in Blaubeuren der Wahlspruch hinter vorgehaltener Hand in "Verbindlichkeiten sind immer genug da" umgewandelt. Merckle hatte sich nicht nur mit Aktien verspekuliert, sondern auch immer dann zugekauft, wenn das Übernahmeobjekt lukrativ genug erschien. Die Banken haben ihn gewähren lassen.

Jetzt geht es um Schadensbegrenzung bei einer Familie, die mit fast zehn Milliarden Dollar Vermögen noch im Mai 2008 vom amerikanischen Magazin "Forbes" auf Platz 94 der reichsten Menschen der Welt gelistet wurde. Die Merckle VEM wird von Sohn Ludwig geführt, während sich Philipp Daniel Merckle aus der Unternehmensführung komplett zurückgezogen hat.

Der zweitälteste Sohn sagte nach dem Selbstmord seines Vaters, der innere Kompass sei ihm abhanden gekommen. Er wolle jetzt seinen eigenen Weg gehen, glaubhaft und ehrlich handeln. Philipp Daniel Merckle ordnet sich eher der Kaste Gutmensch zu. Mit seiner Stiftung "World in Balance" setzt er sich für Projekte wie Unternehmensethik und Klimawandel ein. Zusätzlich ist er an zwei - im Gegensatz zum früheren Merckle-Imperium eher kleinen - Firmen beteiligt, dem Glashersteller Villiglas und der Textilfirma Gruschwitz im bayerischen Leutkirch.

Hier wollte er - wie früher sein Vater - klein und bescheiden anfangen und eine ethisch einwandfreie Unternehmensführung vorleben. Merckle hatte im Mai 2008 rund 76 Prozent der Anteile an der Firma übernommen. Doch es gab offenbar Probleme. Mitte Oktober legte er sein Aufsichtsratsmandat bei Gruschwitz nieder. Eine Begründung nannte er nicht.