Die Gehälter sollen 2010 stärker als die Teuerungsrate steigen. Andernfalls sind Streiks nicht ausgeschlossen.

Hamburg. Verspätungen, defekte Zugtoiletten, ICE-Achsen, die ausgewechselt werden müssen, Datenpannen, schlechter Service - im Alltagsgeschäft der Deutschen Bahn liegt immer noch vieles im Argen. Ein Hauptgrund für die Probleme ist der seit Jahren betriebene systematische Abbau von Personal, kritisieren die Gewerkschaften Transnet und GDBA. Um die Rechte der Mitarbeiter weiter zu stärken, wollen die beiden Organisationen noch 2010 fusionieren. Über ihre Ziele sprach das Abendblatt mit dem Transnet-Vorstandschef Alexander Kirchner sowie dem GDBA-Vizechef Heinz Fuhrmann.

Abendblatt : Alle sprechen vom Wetter, die Bahn zuletzt leider auch. Sind Sie beide pünktlich in Hamburg angekommen?

Alexander Kirchner : Ich muss gestehen, ich bin mit dem Auto gefahren und war zu spät.

Heinz Fuhrmann :Mein Zug war pünktlich.

Abendblatt : Transnet und GDBA wollen jetzt fusionieren und 260 000 Mitglieder unter einem Dach vereinen. Dabei waren zuletzt gerade kleinere Gewerkschaften, wie die der Piloten oder Lokführer, in Tarifkämpfen besonders erfolgreich. Springen Sie auf den falschen Zug?

Kirchner: Es stellt sich doch die Frage, ob eine Gewerkschaft künftig eine gesamte Branche oder nur bestimmte Berufe vertreten wird. Wir glauben, dass eine reine Berufsorientierung den Zusammenhalt der Menschen in den Firmen schwächt. Deshalb wollen wir die Interessenvertretung mit der Gründung einer neuen Gewerkschaft auf eine noch breitere Basis stellen.

Abendblatt : Wie schnell soll das geschehen?

Fuhrmann : Angepeilt wird die Gründung der neuen Gewerkschaft bis zum Jahresende. Derzeit fragen wir die Mitarbeiter in den Betrieben, wie sie dazu stehen. Es gibt aber hohe Hürden: Für den Zusammenschluss müssen bei Transnet 75 Prozent der Mitglieder stimmen, bei der GDBA sogar 80 Prozent. Erfolg werden wir aber nur haben, wenn uns eine Trendwende gelingt: Es müssen wieder mehr Menschen einen Vorteil darin sehen, sich zu organisieren.

Abendblatt : Ohnehin sinkt die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder unter den Eisenbahnern ...

Kirchner : ... das liegt aber in erster Linie daran, dass seit 1960 allein die Zahl der Beschäftigten bei der Bahn im Inland von einer Million auf 180 000 abgenommen hat. Von ihnen gehören mehr als 70 Prozent einer Gewerkschaft an. Dagegen sind von den übrigen 1,6 Millionen Beschäftigten im Verkehrsbereich nur 20 Prozent organisiert. Deshalb herrschen hier deutlich schlechtere Arbeitsbedingungen.

Abendblatt : Wie wollen Sie das ändern?

Fuhrmann : Die neue Gewerkschaft soll für alle Beschäftigten der Branche offen sein. Deshalb läuft die geplante neue Organisation unter dem Arbeitstitel Verkehrsgewerkschaft. Der genaue Name steht aber noch nicht fest.

Abendblatt : Welche Herausforderungen müssen die Bahn und die privaten Eisenbahnunternehmen in den kommenden Monaten vor allem bewältigen?

Kirchner : Zum einen wächst die Gefahr von Lohn- und Sozialdumping. Zum anderen haben wir es mit einer Politik zu tun, die auf die Straße und nicht auf die Schiene ausgerichtet ist und in ihrer Folge zu wenig Geld für die Schieneninfrastruktur hat. Die Eisenbahn wird in diesem Jahr 175 Jahre alt, aber zum Feiern ist derzeit kaum jemandem zumute.

Abendblatt : Was fordern Sie für die Tarifrunde 2010 ?

Kirchner : Wir wollen nicht nur einen Ausgleich für die Teuerung, sondern es darf schon etwas mehr sein. Es geht also um ein reales Plus bei den Entgelten. Derzeit reden wir bundesweit noch mit den Mitgliedern darüber, was sie erwarten. In der kommenden Woche soll die Forderung festgelegt werden. Die Bahn schreibt für 2009 voraussichtlich schwarze Zahlen und hat ein Topergebnis erzielt. Spielräume für Lohnerhöhungen sind da. Es wird aber bei den Verhandlungen um mehr gehen als um mehr Geld.

Abendblatt : Um was genau?

Fuhrmann : Um einen Branchentarifvertrag für alle Bahnunternehmen, für den notfalls auch gestreikt werden soll. Denn innerhalb eines Arbeitslebens muss ein Lokführer oder ein Zugbegleiter im Regionalverkehr damit rechnen, dass die Strecken, auf denen er fährt, bis zu viermal neu ausgeschrieben werden. Unsere Forderung lautet: Wenn ein anderes Unternehmen die Strecke übernimmt, muss die Übernahme der Mitarbeiter zum gleichen Lohn festgeschrieben sein. Das europäische Recht lässt dieses Vorgehen zu. Bisher wird es in Deutschland aber nicht angewandt.

Abendblatt : Der Beschäftigungspakt bei der Bahn läuft Ende 2010 aus. Wird es danach einen Stellenabbau geben?

Kirchner : Derzeit sollen bis zu 14 000 der 220 000 Bahnstellen innerhalb von vier Jahren wegfallen. Das ist völlig überzogen. Statt über einen Stellenabbau nachzudenken, sollte die Bahn sich vielmehr darum bemühen, mehr junge Leute ins Unternehmen zu holen und älteren Mitarbeitern den Übergang in die Rente zu ermöglichen - ohne dass sie vorher arbeitslos werden. Dazu kommt: Qualifiziertes Personal wird künftig knapp werden.

Abendblatt : Wirkt sich das auch bei technischen Problemen wie den ICE-Achsen, defekten Oberleitungen oder verschlossenen Toiletten aus ?

Kirchner : Für einen besseren Service bei der Bahn wären tatsächlich kürzere Wartungsfristen nötig, aber für die braucht man eben mehr Personal. Derzeit gehen die Leute dort auf dem Zahnfleisch. Auch beim Winterdienst fehlte es an Personal. Aber gerade bei der Technik liegt nicht die gesamte Verantwortung bei der Bahn.

Abendblatt : Sondern?

Fuhrmann : Die Fahrzeuglieferanten sollten stärker und länger für ihre Produkte haften müssen. Es muss also eine längere Herstellerhaftung für die Fahrzeuge geben ähnlich wie bei Autos und Flugzeugen. Derzeit ist die Industrie nach zwei bis drei Jahren aus dem Schneider. Weil zudem die Bahnfirmen ihren Wettbewerb über den Preis führen, wird immer nur das billigste Gerät eingekauft und es stehen nicht genügend Ersatzfahrzeuge bereit.

Abendblatt : Daher auch das Dauerthema Verspätungen?

Fuhrmann : Sicher ist dies einer der Gründe. Aber der Anspruch der Kunden an die Bahn ist auch höher als im Flugverkehr. Pünktlichere Abfahrten würde es aber auch geben, wenn die Verbindungen in den Fahrpläne etwas entzerrt würden. Dann würden die Fahrten vielleicht einige Minuten länger dauern, aber es gäbe eben auch mehr Spielraum bei kleineren Verspätungen.

Abendblatt : Herr Kirchner, Transnet hat immer den Kurs von Ex-Bahnchef Mehdorn für einen Börsengang der Bahn mitgetragen. Bleibt es dabei?

Kirchner : Uneingeschränkt dafür waren wir nie. Aber die Bahn braucht nun einmal Milliarden Euro, um sich weiterzuentwickeln. Allein für die Nachfolgegeneration des ICE sind sechs Milliarden Euro, für neue Schienen und Anlagen derzeit fünf Milliarden Euro notwendig. Wir sagen klar: Wenn der Bund die Summen bereitstellt, ist uns das lieber, als wenn private Investoren ins Unternehmen kommen.

Abendblatt : Wie gefällt Ihnen denn der Kurs des neuen Vorstandschefs Rüdiger Grube?

Kirchner: Er hat den Datenskandal gut aufgearbeitet und ist agil. Wie gut wir uns verstehen, wird sich im Sommer zeigen, wenn es um die Zukunft der Beschäftigten geht.