Präsident der Bundesbank wettert gegen Plan zum Abbau der Staatsschulden. Teuerung in Deutschland sinkt.

Hamburg. Über die vergangenen Wochen ist es fast unmöglich geworden, nicht an Begriffe wie Staatsverschuldung oder Schuldenkrise zu denken, wenn der Name "Griechenland" fällt. Zwar hat der Balkanstaat nicht zuletzt mit seiner dreisten Bilanzfälschung die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Doch wenn es nur um die nackten Zahlen geht, ist Griechenland keineswegs allein.

Dort steigt die Quote der Staatsschulden im Vergleich zur Wirtschaftsleistung in diesem Jahr voraussichtlich auf 123 Prozent, aber in Italien werden es 127 Prozent sein. Einige andere europäische Länder kommen auf mehr als 90 Prozent und Deutschland auf 82 Prozent - alle diese Verschuldungsquoten liegen weit oberhalb der Marke von 60 Prozent, die einst im Maastricht-Vertrag als Obergrenze für die Mitgliedschaft im Euro-Währungsklub festgelegt worden war.

"Wie nach dem 3. Weltkrieg"

Dabei sieht es außerhalb Europas nicht besser aus. Immense Konjunkturpakete treiben die Staatsverschuldung in den USA auf 92 Prozent und in Japan gar auf 197 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) hoch. Nach Angaben der OECD übersteigen die Schulden der in dieser Organisation vertretenen Industrieländer im Jahr 2010 zusammengenommen ihre Wirtschaftsleistung - in Friedenszeiten sei das noch nie vorgekommen. Aus fiskalischer Sicht sei etwa die US-Volkswirtschaft in einer Situation, als ob sie gerade den Dritten Weltkrieg hinter sich hätte, schreibt Spyros Andreopoulos, Analyst der Investmentbank Morgan Stanley.

Spiel mit dem Feuer

Die Konsequenzen der Schuldenrekorde sind unerfreulich: Das Vertrauen in die Stabilität der Währungen sinkt, außerdem bedrohen steigende Zinszahlungen die Handlungsfähigkeit der Regierungen.

Doch nach Auffassung von Olivier Blanchard, Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds (IWF), gibt es ein elegantes Mittel gegen die Misere: Die Zentralbanken sollten von ihrem Ziel abrücken, die Inflation unterhalb von zwei Prozent zu halten, und Preissteigerungsraten von vier Prozent zulassen. Damit ließen sich die Schulden automatisch verringern, weil ihr nominaler (in Zahlen ausgedrückter) Betrag gleich bleibt, ihr tatsächlicher Wert bei steigenden Preisen aber abnimmt.

Auch der einflussreiche Harvard-Professor Kenneth Rogoff, einer der Vorgänger Blanchards beim IWF, plädiert für eine "kontrollierte" Inflation von vier bis sechs Prozent.

Geradezu erbost reagierte Bundesbank-Präsident Axel Weber auf den Vorstoß des Währungsfonds. "Der IWF spielt mit dem Feuer", schrieb Weber in einem Beitrag für die "Financial Times Deutschland". Der Vorschlag sei "grob fahrlässig und schädlich". Denn Inflation richte weit mehr Schaden an als sie Nutzen bringe. Die vom IWF angestoßene "Geisterdebatte" sei geeignet, die Inflationssorgen vieler Menschen anzuheizen. Ähnlich äußerte sich Jürgen Stark, Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB): "Die Öffentlichkeit würde das Vertrauen in die Kaufkraft des Geldes verlieren."

"Sehr problematisch"

Tatsächlich stößt Blanchards Idee bei zahlreichen Experten auf Kritik. "Ich finde das sehr problematisch", sagte Michael Bräuninger, Konjunkturchef des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI), dem Abendblatt. "Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass es sinnvoll ist, die Teuerungsraten niedrig zu halten."

Zudem würden Inflationsziele selten punktgenau getroffen, erklärte Carsten Klude, Chefökonom bei M.M.Warburg & CO: "Wenn man vier Prozent anpeilt, wird es Jahre geben, in denen die Inflation bei sechs, sieben oder acht Prozent liegt. Und das ist schon deshalb schädlich, weil den Teilnehmern am Wirtschaftsleben dann die Planungssicherheit fehlt."

"Rein akademische Debatte"

Allerdings gibt es auch aus anderen Gründen Bedenken, ob der IWF-Vorschlag tauglich ist. "Man muss sich fragen, ob eine höhere Inflation im aktuellen Umfeld überhaupt eine realistische Option ist", sagte Wolfgang Pflüger, Chefvolkswirt des Hamburger Bankhauses Berenberg, dem Abendblatt. Für die nächsten 18 Monate erwartet er keinen nennenswerten Preisanstieg in der Euro-Zone. Die Unternehmen hätten noch große Kapazitätsreserven und die Wirtschaft in den südeuropäischen "Problemländern" werde eher schrumpfen.

Insofern sei der Streit um die geplante Inflation eine "rein akademische Debatte", so Pflüger. Die jüngsten Zahlen zu den Verbraucherpreisen in Deutschland unterstreichen seine Auffassung: Die Teuerungsrate ist im Februar sogar auf 0,4 Prozent gegenüber 0,8 Prozent im Vormonat gesunken, wie das Statistische Bundesamt am Freitag in einer ersten Schätzung mitteilte.

Der Markt vereitelt den Plan

Abgesehen davon wäre Blanchards Strategie nach Ansicht von Thomas Mayer, Chefökonom der Deutschen Bank, schon aus markttechnischen Gründen nicht erfolgreich. "Sobald der Anleihemarkt die Absicht entdeckt, werden die Renditen steigen und einen solchen Plan vereiteln", sagte Mayer dem Abendblatt. Denn steigende Inflationsraten machen festverzinsliche Wertpapiere unattraktiver, diese lassen sich dann nur zu höheren Zinsen verkaufen. Damit müssen die Staaten mehr ausgeben, um sich frisches Geld zu beschaffen - für die Regierungen wäre also nichts gewonnen.

Es bleibt die Frage, wie die immensen Staatsschulden denn sonst abgetragen werden können. "Da gibt es nur eines: Den Gürtel enger schnallen und sparen", ist Klude überzeugt. Theoretisch gelingt der Schuldenabbau zwar am besten über hohes, lang anhaltendes Wirtschaftswachstum: Nimmt das BIP zu, sinkt automatisch die Verschuldungsquote. Leider steht dem entgegen, dass die unmittelbaren Sparzwänge der Staaten das Wachstum erheblich dämpfen.

Langfristig steigen die Preise

Experten schließen allerdings nicht aus, dass die Preise auf längere Sicht schließlich doch - ungeplant - anziehen. "Von der hohen Staatsverschuldung geht Inflationsdruck aus und das Risiko dafür ist in den angelsächsischen Ländern größer als im Euro-Raum", erwartet Mayer, "aber auch er wird sich einem Trend zu höherer Inflation nicht entziehen können." Dafür spricht laut Pflüger auch der abnehmende Wettbewerbsdruck durch die Globalisierung, weil die Masseneinkommen in den bisherigen Billiglohnländern aufholen. Doch selbst dann wäre die Inflation nicht hoch genug für Blanchards Plan, so Pflüger: "Auf Sicht von fünf bis zehn Jahren kann ich mir drei Prozent vorstellen."