Der Verbandschef der Autoindustrie, Matthias Wissmann, spricht im Interview über die Chancen der deutschen Fahrzeugbauer.

Hamburg. Die wachsenden Ansprüche an umweltverträgliche Mobilität, die Endlichkeit der Ölreserven, schleppender Absatz in der Krise und die starke Konkurrenz aus Schwellenländern stellen die deutschen Autobauer in den nächsten Jahren vor große Herausforderungen. Über die Strategien von VW, BMW oder Daimler sprach das Abendblatt mit Matthias Wissmann, dem Präsidenten des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie (VDA).

Hamburger Abendblatt: Die Mehrheit der wichtigsten 300 Automanager hält Deutschland weltweit für den stärksten Standort der Branche vor Japan und China. Wird Deutschland der Konkurrenz in zehn Jahren noch standhalten können?

Matthias Wissmann: Deutschland ist mit seinen enormen Forschungs- und Technologieanstrengungen sicherlich der innovativste Automobilstandort der Welt. Auch künftig wollen wir diese Spitzenposition ausbauen, vor allem mit Premiumfahrzeugen. Weil dieser Markt strategisch so wichtig ist, ist es besonders dumm, wenn bei uns im Land Vorurteile gegen Premiumautos geschürt werden: Deutsche Fahrzeuge kauft man weltweit vor allem deshalb, weil sie einen besonderen Markenwert haben und innovativ sind.

Abendblatt: Bisher stoßen die Flotten deutscher Hersteller aber deutlich zu viele Schadstoffe aus, um die von der EU geplanten Grenzwerte einhalten zu können. Droht ein böses Erwachen?

Wissmann: Keineswegs. Die bisherigen Abgasnormen hat die deutsche Automobilindustrie stets erfüllt, meist sogar vorzeitig. Bei der EU-weiten CO2-Reduzierung kommen wir schneller voran als unsere Wettbewerber. In neun von zehn Segmenten - vom Kleinwagen bis zum Familienvan - haben die neu zugelassenen Pkw deutscher Hersteller im Durchschnitt niedrigere CO2-Werte als die Importeure. 2007 haben wir den Kohlendioxidausstoß um 1,7 Prozent verringert, 2008 um drei und 2009 um sechs Prozent.

Abendblatt: Selbst ein Schwellenland wie China investiert allein in effizientere Antriebstechniken zwei Milliarden Euro bis 2011.

Wissmann: Und die deutsche Automobilindustrie hat im Krisenjahr 2009 ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung nochmals um 4,4 Prozent auf 20,9 Milliarden Euro erhöht, davon ging ein Großteil in Umwelt- und Klimaschutztechnologien.

Abendblatt: Intelligenten Autobau haben auch der kalifornische Hersteller Tesla mit seinem Elektrosportwagen und die Inder mit dem Billigauto Tata Nano für 2000 Euro gezeigt.

Wissmann: Gerade beim Tata sieht man die Kreativität der Automobilzulieferer: Jedes dritte Teil kommt aus Deutschland.

Abendblatt: Mercedes fertigt die C-Klasse verstärkt in den USA, BMW will die Produktion des Geländewagens X3 in sein US-Werk Spartanburg verlegen, und auch VW hat den Grundstein für ein neues US-Werk gelegt. Droht das Ende für den Autoexportweltmeister Deutschland, wenn mehr im Ausland produziert wird?

Wissmann: Wir verfolgen seit vielen Jahren eine erfolgreiche Doppelstrategie: Ausbau der Auslandsfertigung - und gleichzeitige Steigerung des Exports aus Deutschland. Unser Marktanteil bei Premiumautos beträgt weltweit 80 Prozent. Auf dem dynamischen Wachstumsmarkt China ist fast jedes fünfte Auto, das verkauft wird, eine deutsche Marke. Am US-Markt wollen wir noch ein größeres Stück vom Kuchen.

Abendblatt: Aber Jobs in Deutschland kostet dies schon?

Wissmann: Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Weil wir unsere Chancen auf den internationalen Wachstumsmärkten nutzen, haben wir von 1995 bis 2008 in Deutschland knapp 100.000 Stellen in der deutschen Autoindustrie geschaffen.

Abendblatt: Die Autohersteller nennen die Reduzierung der Überkapazitäten als wichtiges Rezept gegen die Krise. Welche Folgen wird das haben?

Wissmann: Bei Überkapazitäten muss man differenziert argumentieren. Es kommt immer auf das einzelne Modell an. Nicht nur ein Golf VI hat heute längere Lieferfristen, weil er so begehrt ist. Gerade die deutschen Hersteller haben ihre Produktion im vergangenen Jahr schnell der veränderten Nachfrage angepasst. Wir erwarten, dass der Weltautomobilmarkt in diesem Jahr wieder um vier Prozent auf 52 Millionen Pkw wachsen wird, in den Folgejahren ist mit einem noch höheren Wachstum zu rechnen.

Abendblatt: Was macht Sie für diese Prognose so sicher?

Wissmann: Der Wunsch der Menschen nach dem eigenen Auto ist ausgeprägt. Und es besteht erheblicher Nachholbedarf: So kommen in China derzeit auf 1000 Einwohner 21 Autos, in Indien sind es elf - in Deutschland über 500. Insbesondere in Asien, aber auch in Südamerika und Russland erwarten wir ein nachhaltiges Wachstum in den nächsten Jahren.

Abendblatt: Um die Förderung der umweltverträglichen Technologien wird es beim Elektrogipfel im Mai gehen. Was erwarten Sie von der Regierung? Mehr Subventionen?

Wissmann: Deutschland soll Leitmarkt für Elektromobilität werden. Einen Großteil der dazu notwendigen Investitionen wird unsere Industrie stemmen. Aber auch der Staat ist gefordert.

Abendblatt: Inwiefern?

Wissmann: Er muss die geeigneten Rahmenbedingungen schaffen und die Infrastruktur bereitstellen. Auch bei der Forschung - etwa bei der Batterietechnologie - müssen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik im Schulterschluss handeln und Schwerpunkte bilden: Wir brauchen einige wenige, leistungsfähige Kernstandorte bei der Entwicklung der Speichertechnologie - und nicht viele einzelne Zentren. Es geht um mehr Reichweite, schnellere Aufladung, höhere Leistung der Batterie - und um eine bezahlbare Lösung. Es bringt nichts für Deutschland, wenn die Automobilindustrie das Elektroauto baut, aber die Batterien teuer aus dem Ausland importiert werden.

Abendblatt: Ist eine Förderung von 2500 Euro je Auto realistisch?

Wissmann: Bisher ist der Preisabstand zwischen einem Fahrzeug mit Elektro- und einem mit Verbrennungsmotor noch sehr hoch. Wenn die Regierung eine breite Durchdringung des Marktes wünscht - Ziel ist es, bis zum Jahr 2020 eine Million Elektroautos auf unseren Straßen zu haben -, muss man Anreize schaffen.

Abendblatt: Wie entwickeln sich die Preise für deutsche Autokäufer? Immerhin kostet ein einigermaßen ausgestatteter Golf heute 25 000 Euro.

Wissmann: Neuwagen deutscher Hersteller sind nicht nur kraftstoffeffizienter, sondern verfügen über eine Serienausstattung, die früher meist als Sonderausstattung zusätzlich bezahlt werden musste. Insofern sind die Autos wertiger geworden.

Abendblatt: Andererseits zeigt der Dacia Logan ohne Servolenkung oder elektrische Fensterheber, dass auch ein einfaches Auto gefragt ist. Der Dacia war 2009 einer der Verkaufsschlager in Deutschland.

Wissmann: In allen zehn Fahrzeugsegmenten sind - nach neuesten KBA-Zahlen - deutsche Modelle auf dem obersten Treppchen. Die Top-Ten-Bestseller sind ausschließlich deutsche Autos. Das von Ihnen erwähnte Modell kommt mit all seinen Varianten auf einen Marktanteil von gut zwei Prozent, während die deutschen Konzernmarken ihren Marktanteil auf deutlich über 70 Prozent ausbauen. Der Weg in die Zukunft führt nicht über die Fensterkurbel.

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