Kürzungen bedrohen die Hightech-Branche. 700 Menschen beschäftigt Conergy in Frankfurt/Oder. Eine Reportage von Olaf Preuß und Andreas Laible.

Die Säge ist kaum zu erkennen, auch jetzt nicht, im Stillstand während der Wartungspause. Ein Draht ist innerhalb des Maschinengehäuses gespannt, kaum dicker als ein Haar. Im Betrieb trennt er mit hoher Geschwindigkeit hauchdünne Scheiben von einem Metallblock ab, mit einer Präzision, die jeden Koch bei der Zubereitung von Carpaccio begeistern würde. Der Draht wird von einer Rolle abgespult und nur einmal verwendet. Er ist 600 Kilometer lang. Damit könnte man fast die Luftlinie zwischen der Conergy-Fabrik hier in Frankfurt an der Oder zur Conergy-Zentrale in Hamburg überspannen - und gleich noch den Weg zurück. "Die eigentliche Sägewirkung", sagt Produktionsleiter Karl-Heinz Küsters, "stammt von einem Flüssiggemisch, das Silizium- und Carbid-Partikel enthält und das während der Produktion auf den Draht geführt wird."

Bald soll die Maschine wieder starten. Dann wird sie sägen, stundenlang, Hunderte Scheiben, die aus dem Halbleitermetall Silizium bestehen. Diese Scheiben, in der Fachsprache "Wafer" genannt, sind das Herzstück bei der Produktion von Solarmodulen, die Sonnenlicht auffangen und es in elektrischen Strom umwandeln. Leistungsfähigkeit und Lebensdauer der Wafer entscheiden wesentlich über Erfolg und Misserfolg eines Solarunternehmens mit. Auf die richtige Materialmischung beim Guss des Siliziumblocks kommt es an und darauf, wie präzise und materialsparend man daraus später die Solarscheiben schneidet. Bei Conergy glaubt man, dass man Letzteres besonders gut kann. Denn, so sagt Küsters, auch "eine Reihe namhafter anderer deutscher Solarhersteller" ließen ihre Wafer derzeit in Frankfurt an der Oder sägen. Das ist etwa so, als würden Audi und BMW ihre Motoren von Mercedes beziehen.

Die Fertigungsstraßen im Erdgeschoss und im ersten Stock der Fabrik sind jeweils rund 150 Meter lang. Eine Maschine, ein Produktionsschritt reiht sich an den nächsten. Dass ein Mensch direkt in den fast vollautomatischen Prozess eingreift, ist eher die Ausnahme. An einer der Stationen legt ein Arbeiter mit Silikonhandschuhen die hauchdünnen Wafer zum Reinigen unter eine Sprühanlage. Die Maschine nebenan, die dafür eigentlich vorgesehen ist, steht still. "Sie ist noch nicht optimal eingestellt und erzeugt vier Prozent Bruch", sagt Küsters. "Bei dem Arbeiter ist es nur ein Prozent." Ein Sieg des Menschen über den Roboter, aber der wird nicht lange währen. Einige Produktionsschritte weiter im Erdgeschoss assistiert "Robi 3" mit seinem Greifarm "Robi 2" nebenan perfekt beim Auflegen und der Verlötung von Kontaktbahnen auf die Solarzellen. Kein Mensch stört die heile Maschinenwelt der beiden.

Die Fotovoltaikbranche, die Fertigung von Solarzellen und -modulen, zeigt wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig Industriegeschichte im Zeitraffer. Noch vor wenigen Jahren wurde der größte Teil der Module von Hand montiert. Die Herstellung von Solaranlagen war ein klassisches Manufakturgeschäft. Seit der Mitte des zurückliegenden Jahrzehnts aber setzt sich die Automatisierung in fast allen Fertigungsstufen durch.

Der technologische Fortschritt veränderte die Gestalt der Branche fundamental. Weltweit wurden neue Produktionskapazitäten aus dem Boden gestampft - vor allem deshalb, weil in Deutschland, in Spanien und anderen Ländern die Einspeisung von Strom aus Solaranlagen in das Netz mit lukrativen Vergütungen gefördert wurde. Spanien hat diese Förderung mittlerweile massiv zurückgefahren. In Deutschland streiten Politiker und Verbandsvertreter derzeit heftig über den Vorstoß von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU). Er will die Solarstromvergütung in diesem Jahr in einem zusätzlichen Schritt um weitere 15 bis 25 Prozent zurücknehmen (siehe Beistück).

Die Branche fürchtet harte Einschnitte und zahlreiche Firmenpleiten - gerade erst zum Jahresbeginn war die letzte reguläre Senkung der Einspeisevergütungen vollzogen worden, und die nächste folgt Anfang 2011. Doch Röttgen argumentiert mit den deutlich gefallenen Herstellungskosten. Der Endkundenpreis für Dachanlagen ist nach Angaben des Bundesverbandes Solarwirtschaft von 5000 Euro je 100 Kilowatt Spitzenleistung im Jahr 2006 auf mittlerweile rund 3100 Euro gefallen. Die gesetzlich geregelte Förderung müsse deshalb stärker sinken als zunächst geplant, so der Umweltminister: "Wenn wir die Aufgabe politisch stemmen wollen, unsere Energieversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen, dann geht das nicht mit Subventionswirtschaft", sagte er gestern angesichts des Protests der Solarbranche gegen die Senkungspläne.

Jahrelang ging es für die Fotovoltaikindustrie hierzulande nur aufwärts. Komfortable Förderbedingungen und bewährte deutsche Ingenieurskunst sorgten für steigende Umsätze, Gewinne und eine wachsende Zahl von Arbeitsplätzen. Rund 60 000 Menschen arbeiten mittlerweile in der deutschen Solarstromwirtschaft, in den Fabriken und bei der Montage der Module auf Hausdächer und in Freilandparks. Die Produktionsbetriebe siedelten sich in den vergangenen Jahren vor allem an ostdeutschen Standorten an wie in Franfurt an der Oder, im ehemaligen Chemiedreieck von Bitterfeld oder im sächsischen Freiberg.

Doch die Zeit des sorglosen Wachstums ist vorbei. Die jährliche Produktionskapazität für Solarmodule liegt weltweit mittlerweile nach gängigen Branchenschätzungen bei 14 Gigawatt Modulleistung, das ist das Doppelte der aktuellen Nachfrage. Vor allem chinesische Unternehmen wie Yingli drängen verstärkt auf den Weltmarkt und unterbieten die Preise der deutschen Hersteller um 20 bis 30 Prozent.

Conergy will den Verdrängungswettbewerb mit der Vermarktung von Topqualität bestehen, mit hohen Investitionen in Forschung und Entwicklung, mit besonders langlebigen und leistungsfähigen Solarmodulen. Einen Preiskampf gegen die chinesische Konkurrenz, gegen Löhne, die nur ein Zehntel der hiesigen betragen, kann man aus Deutschland heraus nicht mehr gewinnen, weiß Michael Erler, der kaufmännische Geschäftsführer der Conergy-Fabrik: "China baut seine Solarwirtschaft als strategische Industriebranche aus, so wie es dort schon mit vielen anderen Wirtschaftszweigen geschehen ist", sagt Erler in einem Konferenzraum der Fabrik. "Das bedeutet, dass chinesische Solarhersteller nicht nur geringere Personalkosten haben, sondern auch besser an günstige Finanzierungen und an preiswerten Industriestrom herankommen. Das ist ein erheblicher Wettbewerbsvorteil."

Im Jahr 2007 weihte Conergy die Fabrik in Brandenburg ein, doch erst 2009 wurde dort erstmals mit voller Kapazität produziert. 3000 Solarmodule in der Woche schafft man derzeit. Und erst seit Ende Januar steht überhaupt fest, dass Conergy, das seit Ende 2007 Verluste schreibt, in absehbarer Zeit wieder profitabel arbeiten kann. Vor Kurzem erst gelang es Konzernchef Dieter Ammer, einen seit Jahren umstrittenen Vertrag mit dem amerikanischen Siliziumhersteller MEMC neu zu verhandeln und den Rohstoff nun deutlich billiger zu beziehen. "Ein riesengroßes Damoklesschwert" sei vom Unternehmen genommen worden, sagte Ammer seinerzeit.

In Frankfurt will man die Chance nutzen und bald dauerhaft profitabel fertigen: "Wir haben in den vergangenen Jahren in einer schwierigen Lage unsere Hausaufgaben gemacht", sagt Geschäftsführer Erler. "Jedenfalls sehen wir keinerlei Grund dafür, uns der Konkurrenz aus China zu ergeben. Unsere Ingenieure sind hoch kreativ. Jetzt kommt es darauf an, den technologischen Vorsprung zu bewahren."