Arbeitslosenquote liegt bei weniger als vier Prozent. Viele Seeleute gehen in den nächsten Jahren in Rente. Zahl der Lehrstellen aber gesunken.

Hamburg. Es klingt fast unglaublich: Mitten in der größten Schifffahrtskrise seit Jahrzehnten sucht die deutsche Handelsschifffahrt dringend Führungspersonal. "Hintergrund ist die in den nächsten drei Jahren weiter wachsende Flotte. Schließlich haben deutsche Reeder allein bis zum Jahr 2013 noch 1117 Neubauten bestellt. Sie brauchen Besatzungen, auch wenn einige der Schiffe zunächst noch nicht eingesetzt werden", sagte Max Johns, Sprecher des Verbandes Deutscher Reeder (VDR), dem Abendblatt.

Der Verband rechnet ohnehin damit, dass mit der anziehenden Weltkonjunktur die Schiffe in den nächsten Jahren wieder stärker genutzt und die Verschrottungen mit weniger als drei Prozent kaum zu Buche schlagen werden. Dazu kommt: Gerade beim Führungspersonal unter deutscher Flagge steht eine Pensionswelle bevor. "Allein 539 Kapitäne, das sind 41 Prozent aller Schiffsführer, sind älter als 55 Jahre", so Johns.

Die seit 2003 in Hamburg zentralisierte, für ganz Deutschland zuständige Heuerstelle bei der Hamburger Arbeitsagentur sieht ebenfalls ein hohes Interesse der Arbeitgeber an qualifizierten deutschen Seeleuten: Das Krisenjahr 2009 hat sich für sie auf dem Arbeitsmarkt kaum ausgewirkt. Nur 389 Nautiker und Ingenieure sind derzeit arbeitslos gemeldet. Das entspricht bei rund 10 000 deutschen Seeleuten einer Quote von nicht einmal vier Prozent. Aktuell gibt es 152 offene Stellen, die zu besetzen sind, sagte Susann Marohl, die Leiterin der Zentralen Heuerstelle, die selbst als Funkoffizier zur See gefahren ist.

Die Krise ist bei der Heuerstelle zwar spürbar, wirkt sich aber weniger deutlich aus als erwartet. Im vergangenen Jahr nahmen exakt 2344 Seeleute den Service der Heuerstelle in Hamburg aktiv in Anspruch, um unter anderem nach neuen Jobs zu fragen. Dies waren 120 Seeleute mehr als im Vorjahr. "Bei ihnen handelt es sich keineswegs nur um Arbeitslose, sondern auch um Offiziere und Kapitäne, die noch beschäftigt sind und einen neuen Arbeitgeber suchen", sagte Marohl. Die Zahl der Stellenangebote ging im vergangenen Jahr zwar auf 554 zurück, nach noch 678 im Vorjahr. Die Vermittlungen blieben aber mit 291 gegenüber 302 im Jahr 2008 annährend konstant. Auch Offiziere und Kapitäne, die älter als 60 Jahre sind, lassen sich nach Angaben der bundesweiten Heuerstelle vermitteln.

"Grundsätzlich wollen die Reedereien ihre Besatzungen halten", sagte Marohl. Denn auch bei ausländischen Gesellschaften sind gut ausgebildete deutsche Seeleute begehrt. 2500 von ihnen, so schätzt der Reederverband, sind derzeit unter fremden Flaggen unterwegs. 7232 dagegen fahren unter deutscher Flagge. Die meisten von ihnen auf den 485 international eingesetzten Handelschiffen.

Die deutsche Flotte ist damit wieder leicht unter die Marke von 500 Frachtern gerutscht, welche die Reeder Bundeskanzlerin Angela Merkel zuvor zum Stichtag 1. Januar 2009 zugesagt hatten. "Wir wollen diese Flotte künftig konstant halten", so VDR-Sprecher Johns. Mindestens fünf Besatzungsmitglieder müssen bei Schiffen unter schwarz-rot-gold Deutsche oder andere Einwohner der EU sein. Unter ihnen ist auch ein Schiffsmechaniker Pflicht. Für sie ist jedoch nach den Jahren 2006 bis 2008 die Zahl der Lehrstellen deutlicher gesunken. Nach 308 im Jahr 2008 waren es 2009 noch 257. "Auch diese Zahl wird künftig erhalten bleiben ", so Johns. Zum 1. Januar hat der Verband die Förderung jedes Ausbildungsplatzes erhöht. Der Zuschuss stieg von 10 000 auf 12 000 Euro.

Insgesamt blieb 2009 die Zahl der Berufsanfänger, zu denen auch Studenten gehören, auf "hohem Niveau", so der VDR. Ihre Zahl ging nur leicht um 27 auf 829 zurück. 20 Prozent von ihnen sind heute bereits Frauen. Zum Vergleich: 2003 hatte es nur 363 Bewerber gegeben.

Schiffsmechaniker, die sowohl den nautischen als auch den technischen Betrieb an Bord kennengelernt haben, können nach ihrer Ausbildung über Fachschulen bis zum Kapitän oder leitenden Ingenieur aufsteigen. "Wir empfehlen den Weg zum Schiffsingenieur. Sie werden derzeit noch stärker gesucht als Nautiker", sagt die Chefin der Heuerzentrale. In jedem Fall würden die Reeder eine Weiterbildung fördern. "Damit ergeben sich gute Karrierechancen."

Ohnehin liegt der Tariflohn schon im ersten Ausbildungsjahr bei 895 Euro. Kapitänen stehen mehr als 6200 Euro zu. In der Boomphase hatten die meisten Reedereien die Sätze für ihre ausgebildeten Kräfte aufgestockt - die Verhandlungsposition der Seeleute dürfte sich bis heute allenfalls leicht verschlechtert haben.