Neuer Opel-Chef Deutschland schickt 12 000 Beschäftigte in Kurzarbeit. Eine Analyse zur Zukunft der Branche.

Hamburg. Auch wenn die Wirtschaft sich wieder erholt, kommt Deutschlands bedeutendste Industriebranche aus dem Schlingern nicht heraus: Den Autoherstellern steht ein hartes Jahr bevor. So muss Opel schon wieder 12 000 Beschäftigte in die Kurzarbeit schicken. Im Januar und Februar werde die Tochter von General Motors (GM) in den Werken Rüsselsheim, Bochum, Kaiserslautern und Eisenach die Produktion drosseln, sagte ein Firmensprecher und bestätigte damit einen Bericht der "Süddeutschen Zeitung".

Grund dafür seien die allgemeine Nachfrageschwäche und die Pleite der schwedischen Schwestergesellschaft Saab, die ursprünglich eine Baureihe in Rüsselsheim produzieren wollte. Mit diesen Schwierigkeiten muss nun ein neuer Mann an der Opel-Spitze umgehen: Nach fast sechs Jahren im Amt macht Hans Demant (59) nach einem Beschluss des Aufsichtsrats vom Freitag Platz für den GM-Manager Nick Reilly (60), von dem ein harter Sanierungskurs erwartet wird.

Dabei geben die Prognosen für den Pkw-Weltmarkt nach dem Krisenjahr 2009 durchaus Anlass zu Hoffnung: Der deutsche Branchenverband VDA erwartet ein Wachstum der globalen Produktion von bis zu drei Prozent auf gut 57 Millionen Wagen, der Auto-Experte Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des CAR-Instituts an der Universität Duisburg-Essen, sieht ein Wachstum von 4,1 Prozent.

Das Abendblatt analysiert, wie vor diesem Hintergrund die Perspektiven der deutschen Hersteller eingeschätzt werden.

Katerstimmung in Deutschland

Die Abwrackprämie hat den Inlandsabsatz im vergangenen Jahr um rund ein Viertel auf 3,8 Millionen Autos nach oben schnellen lassen. Doch dieser künstliche Anschub fehlt nun - und damit wird der Absturz umso tiefer. Dudenhöffer rechnet für 2010 mit einem Nachfrageeinbruch auf 2,8 Millionen Stück. Nach seiner Ansicht werden besonders diejenigen Anbieter leiden, die 2009 am stärksten von der Abwrackprämie profitierten. Unter den deutschen Herstellern ist dies der Volkswagen-Konzern, der in den zurückliegenden zwölf Monaten einen Mehrabsatz von fast 200 000 Pkw erreichte. Nennenswerte Zuwächse von je gut fünf Prozent auf dem deutschen Markt könnten in diesem Jahr allenfalls die Premiummarken BMW und Porsche erzielen, erwartet der Experte.

Dabei konnten die inländischen Werke branchenweit nicht einmal von der zurückliegenden Abwrack-Party profitieren: Nach Angaben des VDA sank die Produktion innerhalb Deutschlands im Jahr 2009 um fast eine halbe Million Pkw. Der Grund dafür: Mithilfe der Prämie wurden zahlreiche Günstigautos osteuropäischer und asiatischer Marken gekauft. Aber auch stark nachgefragte Kleinwagen deutscher Konzerne werden häufig im Ausland gebaut - so wie etwa der VW Polo, der in Spanien vom Band rollt.

Für 2010 prognostiziert Dudenhöffer eine leichte Erholung der Inlandsproduktion auf 5,2 Millionen Autos. Die Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) ist pessimistischer, sie rechnet sogar mit einem weiteren Rückgang auf 4,9 Millionen Wagen. "Wir erwarten, dass die deutsche Autoindustrie insgesamt erst 2012 wieder an das Produktionsniveau vor Beginn der Krise anknüpft und deutlich über fünf Millionen Pkw herstellen kann", sagte PwC-Branchenspezialist Harald Kayser.

Eine Branche wandert ab

Langfristig sei das Wachstum allerdings ohnehin begrenzt, "weil die deutschen Hersteller ihre Produktion zunehmend internationalisieren", so Kayser. Aktuelles Beispiel sei die teilweise Fertigungsverlagerung der Mercedes C-Klasse in die USA. Dudenhöffer sieht das ähnlich. "Im Hinblick auf die Beschäftigung bei Autoherstellern und Zulieferern in Deutschland haben wir den Zenit überschritten", sagte der Experte dem Abendblatt. Er geht davon aus, dass die Zahl der Mitarbeiter in dem Sektor von zuletzt rund 725 000 in den kommenden fünf bis sieben Jahren auf 650 000 absinkt.

"Auf Exporte nach Russland müssen 30 Prozent Zoll gezahlt werden, nach China sind es 25 Prozent und bei Ausfuhren in die USA macht der Wechselkurs die Erträge zunichte", erklärt Dudenhöffer die Motive für die Produktionsverlagerungen. Schon in diesem Jahr werden die deutschen Autofirmen laut VDA im Ausland genauso viele Pkw bauen wie im Inland.

Werksschließungen möglich

"Von der Erholung des Weltmarktes werden vor allem diejenigen Hersteller profitieren, die in den richtigen Ländern tätig sind: In China, Indien und in den USA", sagte Dudenhöffer. In Westeuropa dagegen bestehen nach Schätzung von PwC Überkapazitäten von rund 6,5 Millionen Autos. Anfällig sind nach Einschätzung von Dudenhöffer in erster Linie Renault in Frankreich und Fiat in Italien. "Auch die Schließung eines kompletten Werks in Deutschland halte ich aber für möglich", sagte der Experte.

Das Händlersterben beginnt

Kurzfristig leiden jedoch die Autohändler besonders unter dem Platzen der Abwrackprämien-Blase, denn sie können nicht auf ferne Märkte ausweichen. "Bis zu ein Viertel der 18 000 Händler in Deutschland sind akut bedroht", schätzt Dudenhöffer. Etwa die Hälfte der gefährdeten Händler werde sich unter die Fittiche stärkerer Betriebe retten, die anderen müssten voraussichtlich aufgeben. Die Unternehmensberatung Roland Berger sieht sogar fast jeden zweiten Händler von Insolvenz bedroht.