Mehrere Hundert Geschädigte allein in Hamburg. Forderungen der Firmen im Internet nachzulesen.

Hamburg. Auch mehr als ein Jahr nach der Pleite von Lehman Brothers werden immer neue Millionenverluste deutscher Unternehmen bekannt, die mit der US-Investmentbank Geschäfte gemacht haben. Nach Informationen des Abendblatts hat allein die Volkswagen AG gut 223 Millionen Dollar durch die Insolvenz verloren, die als Auslöser der weltweiten Finanzkrise gilt. Christine Ritz, Leiterin Investor Relations bei dem Autobauer, wollte zu Daten des US-Dienstleisters Epiq Systems, die dem Abendblatt vorliegen, keinen Kommentar abgeben: "Wir geben grundsätzlich keine Auskunft über Beziehungen zu Banken."

Derzeit laufen Fristen für die Rückforderung der Millioneinbußen aus. Daher melden immer mehr deutsche Unternehmen ihre Ansprüche gegenüber Lehman an. In Hamburg gehören dazu neben den bekannten Fällen wie bei der Haspa auch die Privatbanken. So hat M.M. Warburg sieben Millionen Dollar mit Lehman-Geldanlagen verloren. "Die Summe wurde bereits abgeschrieben, und sie betrifft keine Gelder von Kunden", sagte ein Warburg-Sprecher. Die Berenberg Bank fordert 2,8 Millionen von Lehman. "Wir haben Forderungen sowohl für Kunden als auch in für uns völlig unproblematischer Größenordnung für unseren eigenen Bestand angemeldet", sagte Karsten Wehmeier von der Berenberg Bank. Im Verhältnis zu den über 20 Milliarden Euro verwalteten Vermögens seien die Lehmann-Engagements aber "verschwindend gering", sagte Wehmeier.

Da in den USA ein lascherer Datenschutz als in Deutschland gilt, sind gut 109 000 Fälle, in denen Firmen, Institutionen oder Privatleute Geld zurückfordern, im Internet genau einzusehen, meist auch mit der Adresse der Betroffenen. Aus der Liste des Lehman-Insolvenzverwalters geht etwa hervor, dass Ludwig Merckle rund drei Milliarden Dollar von Lehman fordert. Ludwig Merckle ist der älteste Sohn des Ratiopharm-Gründers Adolf Merckle, der sich in der Krise verspekuliert und sich im Januar dieses Jahres das Leben genommen hatte. Auch die Namen und Adressen von Hunderten betroffenen Hamburger Privatleuten stehen im Netz. Zuletzt hatte ein Millionenverlust beim Hamburger Arbeitgeberverband Nordmetall für Schlagzeilen gesorgt: Die dort organisierten Firmen der Metallindustrie haben in ihrem Verband und der dazu gehörigen Stiftung 41,7 Millionen Dollar verloren. Die deutsche Stiftung mit dem größten Schaden dürfte derweil die Klaus Tschira Stiftung vom gleichnamigen SAP-Mitgründer sein: Die in Heidelberg ansässige Organisation fordert laut der Liste 630 Millionen Dollar von Lehman. "Nur in Ausnahmefällen können Geschädigte beantragen, dass ihr Fall nicht im Internet veröffentlicht wird", sagt dazu Michael Rützel von der Kanzlei White & Case, die unter anderem Sparkassen im Lehman-Insolvenzverfahren vertritt.

Dazu kommt, dass die für viele Betroffene als peinlich empfundene Veröffentlichung ihrer finanziellen Verluste auch noch wenig Sinn hat: Kaum jemand rechnet noch damit, wirklich viel Geld aus der Insolvenzmasse zu erhalten. Laut Lehman-Insolvenzverwalter Harvey Miller verfügt die Bank nur über Anlagen in Höhe von rund 639 Milliarden Dollar. Demgegenüber standen schon lange vor dem Auslaufen der Fristen für die Geschädigten Forderungen in Höhe von mehr als einer Billion Dollar. Inzwischen könnte sich diese Summe leicht vervielfacht haben, sagten Brancheninsider dem Abendblatt. Außerdem erwartet Finanzrechtler Rützel, dass sich das Verfahren noch über Jahre hinziehen wird. In den Bilanzen werden die Millioneneinbußen daher in der Regel abgeschrieben. Prominenter Fall auf der Liste ist neben Merckle auch die KfW-Bank, der die Lehman-Pleite den Titel "Deutschlands dümmste Bank" eingebracht hatte: Noch drei Tage nach der Insolvenz hatte die KfW Lehman mehr als 500 Millionen Dollar aus einem Termingeschäft überwiesen.