Christian Lacroix ist am Ende. Die gesamte Haute Couture-Branche leidet - am Verschwinden einer Rolle: der feinen Dame.

Hamburg. "Alles ist noch möglich." Das stimmt, klingt aber eher wie ein Gebet, wenn Nicolas Topiol es sagt. Denn der Franzose ist der Chef des Modehauses Lacroix. Und das scheint nun endgültig am Ende des Regenbogens angekommen zu sein. Nur dass dort eben leider kein goldener Topf wartet, sondern das Lizenzgeschäft. Mit dem wird sich zwar auch Umsatz machen lassen, aber die Entscheidung des New Yorker Finanzgerichts, im Rahmen des Insolvenzverfahrens das einst glamouröse Couture-Haus nun in einen Lizenzbetrieb ummodeln zu lassen, ist nicht gerade ein schönes Ende für eine magische Modegeschichte, wie Christian Lacroix sie schrieb. Auch wenn er jetzt in guter, trauriger Gesellschaft ist.

Die Haute Couture leidet und das hat mit der aktuellen Krise zu tun, ist aber auch einer gesellschaftlichen Entwicklung zuzuschreiben. Der Niedergang der Couture beschäftigt die Szene schon länger. Yves St. Laurent, Ungaro, Balmain, Jean-Louis Scherrer, Versace, Hanae Mori - sie alle haben aufgeben. Giorgio Armani ist einer der wenigen, der neben dem handwerklichen Können auch die finanzielle Kraft hatte, überhaupt erst 2005 in die A-Liga der Mode einzusteigen.

Das "Chambre Syndicat de la Haute Couture" in Paris hat inzwischen reagiert und zu den traditionellen Couture-Schauen vom 25. bis zum 28. Januar 2010 auch bedeutende Schmuckmarken wie Cartier, Boucheron und Chaumet eingeladen, um ein "Luxus-Event" zu gewährleisten. Wobei man sicher sein kann, dass auf Chanel, Dior und Givenchy weiterhin Verlass sein wird, und auch Valentino hat bislang noch keinen Rückzug angekündigt.

Denn die Insolvenz von Lacroix sollte nicht als Menetekel für alle Häuser interpretiert werden. Dem Vernehmen nach ist es dem fantasiereichen Couturier schon lange nicht mehr gelungen, schwarze Zahlen zu schreiben. 1987 hatte Bernhard Arnault, der Luxus-Titan und Chef der größten LVMH-Gruppe (Louis Vuitton Moet Chandon ), dem begabten Lacroix ein "Modehaus" hingestellt, und der heute 58-Jährige verzauberte die Welt mit seiner Opulenz. Er entwarf Bühnenkostüme für Madonna und Helen Mirren und war auch drei Jahre als Chefdesigner bei Emilio Pucci tätig.

2005 verkaufte Arnault seine Mehrheit am Haus Lacroix mit Prêt-à-porter und Haute Couture an die Falic Gruppe, die vor allem für ihren Erfolg als Duty-Free-Shop-Betreiber in den USA bekannt ist. Nachdem im vergangenen Jahr die Verluste bei rund zehn Millionen Euro lagen, wurde im Mai dieses Jahres Insolvenz angemeldet. Das New Yorker Gericht folgte jetzt dem Sanierungsvorschlag der Falic-Gruppe, das Unternehmen Lacroix von 100 Mitarbeitern auf ungefähr zwölf zu reduzieren und sich auf das Geschäft mit Lizenzen zu fokussieren.

Gründer Christian Lacroix reagierte erwartungsgemäß entsetzt und will um seinen guten Namen kämpfen. "Was heute Mode genannt wird, ist nicht das, was ich darunter verstehe."

Eben. Die Haute Couture ist eine Klasse für sich - darin geht es nicht um modische Effekte, nichts, was mal eben von der Stange gekauft werden kann, was bereit ist zum Tragen, kein Prêt-à-porter also. Dahinter steckt vielmehr die Kombination aus schöpferischer Fantasie und Kunst gewordenem Handwerk. 200 Stunden Handarbeit für ein Kleid ist nur ein Durchschnittswert. Couture-Haus darf sich gemäß der strengen Auflagen des Syndikats nur nennen, wer dauerhaft ein Atelier mit mindestens 20 Näherinnen betreibt und mindestens 35 Modelle pro Saison fertigt.

Wer je ein Haute-Couture-Kleid in Händen hielt oder gar am Körper trug, der wundert sich nicht mehr über die mindestens fünfstelligen Preise. Es fängt schon mit der Bestellung an. Für einen Traum von Chanel etwa reist ein Spezialist aus Paris an, beziehungsweise fährt frau am besten direkt ins Atelier, dort wird aufwendig Maß genommen und individuell genäht. Für jedes Land wird Exklusivität zugesichert. Keine andere Frau dort wird schöner sein, wenn sie den Spiegel befragt.

Besonders Karl Lagerfeld und Chanel haben sich verdient gemacht um die Bewahrung von Know-how und Künsten, die vom Aussterben bedroht sind, indem sie kleine Handwerksbetriebe kauften, wie die Federkünstler Lemarié, die Perlenstickerei Lesange, die Schmuckwerkstatt Desrues, die Hutmacher Michel.

Doch wer soll die kostbaren Unikate tragen? Wann, wo? Sie bezahlen zu können oder eben nicht, ist nur ein Teil des Gewichts, das die Couture in den Abgrund zu ziehen droht. Selbstverständlich merkt die Branche, wenn die amerikanischen und russischen Käuferinnen plötzlich Zurückhaltung üben müssen, weil unangemessener Protz in Zeiten der Krise verpönt ist. Wobei Haute Couture gar kein Protzen ist, sondern Kulturgut. Deswegen ist deren Problem weniger monetären Umständen als gesellschaftlichen Entwicklungen geschuldet. Chanel hat immer noch 300 Kundinnen weltweit und spürt eher Aufwind, weil in Zeiten der Designerprodukte die vermögenden Frauen wirkliche (und kopiergeschützte) Exklusivität suchen.

Gleichwohl haben Emanzipation und Medienhype Spuren im Mode-Olymp hinterlassen. Die Extravaganz der Welt der Haute Couture passt nicht mehr so recht in den Alltag der "working woman". Spätestens seit sogar Michelle Obama zu Staatsbesuchen in J.Crew-Strickjacke anreist, sind die alten Statusregeln aufgehoben. Die "feine Dame" ist ein Auslaufmodell weltweit. An der noblen Park Avenue in New York regieren nicht mehr die Esteé-Lauder-Scheckheft-gepflegten, hochkultivierten Damen, sondern die markenaffinen Carrie Bradshaws oder Gossip-Girls. Die Label haben das Dressing übernommen. Wobei darunter nicht wenige sind, die sich mehr und mehr an Couture-Qualitäten orientieren. Chanel sowieso, aber auch Akris, Bottega Veneta, Hermès, Wunderkind, um nur einige zu nennen. Gutes Marketing allein funktioniert nicht mehr wie noch in den 1990er-Jahren. Qualität und Tradition sind die Umsatz-Schlüsselwörter in der Krise. Auf der einen Seite.

Auf der anderen heißt das Zauberwort: Demokratisierung des Luxus. Damit ist nicht nur die durch das Internet erleichterte Möglichkeit der Beschaffung von Konsumgütern gemeint. Sondern vor allem der Trend, ganz ohne Arroganz vom hohen Ross der Mode zum Fußvolk herabzusteigen.

Es war ein genialer Schachzug, als die schwedische Billig-Modekette Hennes & Mauritz 2004 (dem Jahr, als von einst 59 Haute-Couture-Häusern nur noch zehn gezählt wurden) Karl Lagerfeld dazu überredete, eine Kollektion zu entwerfen. Damals unfassbar. Doch Lagerfeld hatte nur instinktiv wie stets die Zeitenwende interpretiert, wie in einem Interview mit der "Welt am Sonntag" nachzulesen war: "Die Welt ist extremer, schnelllebiger, austauschbar. Jeans, T-Shirts und der Mix haben alles geändert. Das Konzept, wie man sich anzieht, entspricht nicht mehr den alten Ideen. Das grauenhafte Wort ,exklusiv' klingt nach Mottenkiste. Heute gibt es nur noch zwei Wörter: erschwinglich und unerschwinglich. Modisch müssen beide richtig liegen."

H&M ist erfolgreich dieser Vorgabe gefolgt. Hat Madonna verpflichtet, Victor&Rolf, Mathew Williamson, Roberto Cavalli, sogar Rei Kawakubo von Comme des Carcons, oder Stella McCartney (die floppte, das passiert eben auch). Gerade erst wurden hysterische Schlachten um die Schuhe, Taschen und das Lederkleid von Jimmy Choo geschlagen. Nun folgt die Strickkönigin Sonja Rykiel.

Der Clou liegt darin, dass die Designer nur "teasen", also temporär sehr begrenzt bei H&M auftreten. Die Kundinnen heute sind informierter denn je, auch der Massenmarkt will teilhaben am Hype. Und die Designer-Teile bei H&M sind in gewisser Weise auch Originale und damit weitaus besser als jedes Plagiat. Sorgen um die Designermarken muss man sich dennoch nicht machen. Denn die, die es sich leisten können, werden weiterhin das handwerklich aufgeladene Original kaufen.

Die Krise bereinigt die Branche. Sie zerstört sie nicht.