Selbst Konzernchef Enders schließt den Ausstieg aus dem Projekt nicht aus. Ein Besuch in der Produktionshalle in Bremen.

Bremen/Hamburg. Auf den Mausklick des Technikers hin schwenken kräftige Hydraulikarme das vier mal fünf Meter große Aluminiumgitter vom Hallenboden nach oben. Dort rastet es mit einem satten metallischen Geräusch in die Halterungen eines schräg stehenden Rahmens ein. Ein zweiter Mausklick, und das Gitter wird wieder nach unten gedrückt. Polternd setzt die Hinterkante auf dem Steinboden auf.

Nur mit viel Fantasie kann man sich ein Bild davon machen, was hier im Airbus-Werk in Bremen getestet wird: Es ist die noch unverkleidete Heckrampe des neuen Militärtransporters A400M.

In Bremen arbeiten mehr als 1000 Beschäftigte an dem Projekt, bei Airbus in Hamburg sind mehr als 200 Mitarbeiter für Entwicklungsaufgaben und Tests eingesetzt. Alle norddeutschen Standorte sind in das Programm des A400M eingebunden, der in der kommenden Woche im spanischen Sevilla zu seinem Erstflug abheben soll, zuletzt aber immer wieder negative Schlagzeilen geliefert hat: Der Kostenrahmen wird um mehrere Milliarden Euro überschritten, der Zeitplan um drei Jahre - was in der Branche allerdings keineswegs die Ausnahme ist: "Kein anderes militärisches Flugzeugprogramm ist so schnell so weit gekommen", sagt ein Firmensprecher.

In einer anderen Halle des Bremer Werks wird an vier Rümpfen des Fliegers gearbeitet. Noch sind sie nicht lackiert, sondern tragen die schon von allen bisherigen Airbus-Typen vertraute gelblich-grüne Korrosionsschutzfarbe. Doch auf den zweiten Blick wird deutlich, dass dies ein Flugzeug einer völlig anderen Art ist: Der Rumpf ist hinten offen, hier sorgt später die Heckklappe für den Abschluss. Auch im Dach klafft ein großes Loch, dort wird bei der Endmontage in Sevilla die Tragfläche aufgesetzt. Die bei Passagierjets übliche Zwischendecke - oben die Fluggastkabine, darunter der Frachtraum - gibt es nicht. Cord Siefken, Leiter der Rumpfmontage, weist auf eine weitere Besonderheit hin: An den Innenwänden sind 246 Lautsprecher montiert, die mittels Gegenschall in der Kabine den Lärm der vier riesigen Propeller dämpfen sollen.

Verglichen mit allen vorherigen Airbus-Modellen sind die Anforderungen an den Militärtransporter unvergleichlich komplexer: Der A400M soll von staubigen Schotterpisten starten, und er soll in zwölf Kilometer Höhe eine Tür öffnen können, aus der Fallschirmjäger abspringen. Er soll in der Luft betankt werden können und seinerseits andere Flugzeuge betanken. Er soll bei Dunkelheit in 150 Meter Höhe durch enge Gebirgstäler kurven können. Und er soll bei Gefahr schwindelerregende Ausweichmanöver fliegen, bei denen sich die 141 Tonnen schwere Maschine fast auf den Rücken legt.

"Das Besondere am A400M ist, dass er alles kann", sagt Airbus-Manager Siefken. Aber welche Herausforderung darin liegt, einen solchen Alleskönner zu entwickeln, hat das Unternehmen erheblich unterschätzt. Zwar verursachte die Entscheidung der Politik, die Triebwerke gegen den Willen von Airbus durch ein europäisches Konsortium ohne einschlägige Erfahrung entwickeln zu lassen und nicht bei Pratt & Whitney aus Kanada, einen erheblichen Teil der Verzögerungen. Doch wie es in der Branche heißt, ist der Flieger noch um etliche Tonnen zu schwer und hat unter anderem Probleme bei besonders steilen Landeanflügen.

Laut einem Gutachten der Wirtschaftsprüfungsfirma PricewaterhouseCoopers wird das A400M-Programm mindestens fünf Milliarden Euro mehr kosten als die ursprünglich geplanten 20 Milliarden. Bis Jahresende soll klar sein, wie man damit umgeht. Zwar sieht der Vertrag eindeutig vor, dass der Hersteller eventuelle Mehrkosten trägt. Doch Airbus-Chef Thomas Enders hat bereits klargemacht, dass er nicht um jeden Preis an dem Projekt festhalten will - zumal ihm nachgesagt wird, er würde die durch den Militärauftrag gebundenen Ingenieurkapazitäten lieber in der Entwicklung des zivilen Langstreckenjets A350 einsetzen, um wenigstens diesen termingerecht liefern zu können.

Noch ist unklar, ob die Bestellerländer des A400M bereit sind, einen großen Teil der Mehrkosten zu übernehmen oder Abstriche an den geforderten Leistungen zu machen. Gestern beauftragten die Kunden ein Expertengremium, mit der Industrie zu verhandeln.

Abgesehen vom Beschäftigungseffekt würde ein Projektstopp bedeuten, dass Europas Staaten zwei unterschiedliche Flugzeuge aus US-Produktion beschaffen müssten: Den großen Düsentransporter Boeing C-17 für Langstrecken und die kleinere, propellergetriebene Lockheed C-130 Hercules - dabei war es das Entwicklungsziel des A400M, mit einem Typ auszukommen.

Zu der besonderen Flexibilität des Airbus-Transporters trägt auch die Rellinger Firma Autoflug mit einem neuartigen Passagiersitz bei: Die nur vier Kilo schweren, weitgehend aus Textilien bestehenden Sitze werden hängend montiert und lassen sich sehr schnell aus- und einbauen. "Wir rechnen mit einer Fertigung von insgesamt 22 000 Stück, dies ist unser bisher größter Einzelauftrag", sagt Produktmanager Heiko Fröhlich. "Alle Belastungstests hat der Sitz bestanden."

Für 40 000 Beschäftigte bei Airbus und den Zulieferern in Europa bleibt jedoch weiter ungewiss, ob das A400M-Programm, an dem sie arbeiten, außer den technischen auch die politischen Tests besteht.